Entscheidungsstichwort (Thema)
abweichende Regelung. Bestandskraft. Berichtigung, rechnerische und gebührenordnungsmäßige. Erstattungsanspruch. Frist. Honorarbescheid. Indizienbeweis. Nebenbestimmung. Rückforderung. Rücknahme. Schätzung. Tagesprofil. Vertrauensschutz. Vorbehalt. Wirtschaftlichkeit
Leitsatz (amtlich)
Auf die rechnerische und gebührenordnungsmäßige Berichtigung von Honorarbescheiden der Kassenärztlichen Vereinigungen findet § 45 SGB X keine Anwendung.
Normenkette
RVO §§ 368e, 368f, 368g, 368n, 525c; SGB I § 37; SGB V § 106; SGB X §§ 32, 44-45; BMV-Ä § 34 Fassung: 28.10.1978; EKV-Ä § 12 in der bis 30.9.1990 gültigen Fassung; SGG § 77; VwVfG § 1; ZPO § 287
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 29.06.1990; Aktenzeichen L 5 Ka 17/89) |
SG Mainz (Urteil vom 19.04.1989; Aktenzeichen S 1b Ka 90/88) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Juni 1990 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten war zunächst streitig, ob die Beklagte die Honorarbescheide für die Quartale III/86 und IV/86 teilweise aufheben und vom Kläger einen Betrag von 20.862,81 DM zurückfordern konnte.
Der Kläger war von Herbst 1980 bis zu seinem Verzicht im Sommer 1987 als Arzt für Allgemeinmedizin zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen und an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligt. Seine Quartalsabrechnungen wurden wiederholt beanstandet und wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise gekürzt. Aufgrund seiner Angaben erstellte die Beklagte Tagesprofile und errechnete hieraus für einzelne Tage im III. und IV. Quartal des Jahres 1986 Arbeitszeiten des Klägers von 18 bis 24 Stunden, sogar bis 35 Stunden am Tag. Die Tagesprofile für das Quartal III/86 mit den von der Beklagten eingesetzten Zeitvorgaben lagen dem Vorstand der Beklagten in der Sitzung vom 10. Dezember 1986 vor.
Mit Bescheid vom 19. Januar 1988 hob die Beklagte die Honorarbescheide III/86 und IV/86 bis auf den Fachgruppendurchschnitt auf und forderte die Differenz von 20.862,81 DM mit der Begründung zurück, die Tagesprofile erhärteten den Verdacht, der Kläger habe Leistungen abgerechnet, die zeitlich in einer der Leistungslegende qualitativ entsprechenden Weise nicht hätten erbracht werden können. Den Widerspruch des Klägers wies sie durch Bescheid vom 25. März 1988 zurück.
Klage und Berufung des Klägers sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 19. April 1989, Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 29. Juni 1990). Zur Begründung hat das Berufungsgericht im wesentlichen ausgeführt: In einem Verfahren der rechnerischen und gebührenordnungsmäßigen Prüfung, wie es hier vorliege, seien Fragen der Wirtschaftlichkeit und folglich Kürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise nicht zu entscheiden. Auf entsprechende Einwände des Klägers sei daher nicht einzugehen und auch nicht festzustellen, ob und welche Beträge er den Krankenkassen durch kompensatorische Aufwendungen erspart habe. Die Honorarabrechnungsbescheide für die Quartale III/86 und IV/86 seien zwar bindend geworden. Der Kläger habe jedoch keinen Vergütungsanspruch in der geforderten Höhe gehabt, sondern Leistungen berechnet, die er nicht den Gebührenordnungen entsprechend erbracht habe oder habe erbringen können. Die Bescheide seien demzufolge als rechtswidrig nach § 45 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren – (SGB X) aufzuheben, die Vergütung neu festzusetzen und die Differenz nach § 50 Abs 1 SGB X zurückzuzahlen. Die Aufhebung sei nicht durch § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X ausgeschlossen. Die hier für die Rücknahme vorgeschriebene Jahresfrist ab Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen sei jedenfalls noch nicht abgelaufen; es könne offenbleiben, ob sie überhaupt schon zu laufen begonnen habe. Die Tagesprofile, die dem Vorstand der Beklagten bei der Sitzung im Dezember 1986 vorgelegen hätten, hätten als “Tatsachen” lediglich den Tag der Leistung, die Leistungsziffer sowie ihre abgerechnete Anzahl enthalten. Der eingesetzte Zeitfaktor sei keine Tatsache, sondern zunächst nur eine Annahme für die Bewertung; folglich sei auch der errechnete Zeitaufwand keine Tatsache. Allein aus der Anzahl der an einem Tag abgerechneten Gebührenziffern könne sich noch nicht ergeben, daß diese nicht in einer der Leistungslegende entsprechenden Weise erbracht worden seien. Da der zeitliche Mindestumfang einer gebührenordnungsmäßigen Leistungserbringung das entscheidende Merkmal für die Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Bescheides sei, könne die “Tatsache” der zeitlichen Unterschreitung frühestens dann dem Vorstand bekannt geworden sein, wenn er selbst Mindestzeiten als unumgänglich erforderlich bewertet habe. In den mehr als ein Jahr vor dem Aufhebungsbescheid liegenden Beratungen des Vorstandes sei das nicht geschehen. Aus dem Umstand, daß der Vorstand erst mit Schreiben vom 20. Januar 1987 die Einleitung eines Disziplinarverfahrens beantragt habe, ergebe sich, daß die Abrechnung für das Quartal IV/86 und das hierzu angefertigte Tagesprofil dem Vorstand nicht bis zum 18. Januar 1987, dh ein Jahr vor Bescheiddatum, vorgelegen haben könne.
Selbst wenn die eigene Darstellung des Klägers als wahr unterstellt werde, sei keine ordnungsgemäße Leistungserbringung gegeben. Bei der Behauptung, er habe nur die Hälfte der von der Beklagten angenommenen Zeit benötigt, sei nicht die Vielzahl anderer Leistungen berücksichtigt, die die Beklagte nicht in die Tagesprofile eingerechnet habe. Die Tagesprofile enthielten auch nicht die Abrechnungen zu Lasten anderer Leistungsträger wie etwa Selbstzahler, Bundeswehr, Postkrankenkasse. Das vom Kläger in seiner Musterrechnung angegebene Vorgehen bei Wiederholungsrezepten sei selbst mit einem überdurchschnittlichen Gedächtnis und/oder dem Einsatz einer automatischen Datenverarbeitungsanlage nicht möglich. Ebensowenig könnten die behaupteten, durch Rationalisierung eingesparten Zeiten von täglich mindestens zwei Stunden bei den Besuchen vorliegen. Hinsichtlich des Ansatzes für eingehende therapeutische Gespräche zeige eine Vergleichsberechnung, daß die Leistungen selbst unter Berücksichtigung anderer als von der Beklagten zugrunde gelegter Zahlen nicht ordnungsgemäß erbracht worden sein könnten. Wenn der Kläger für einzelne Leistungsziffern mit bestimmten Zeitvorgaben bei den von der Beklagten beanstandeten Leistungen geringere Arbeitszeiten errechnet habe, verkenne er, daß eine wirklichkeitsnahe Arbeitszeitschätzung nicht allein den Mindestzeitaufwand berücksichtigen dürfe, der für eine nach einer bestimmten Gebührenziffer abzurechnende Tätigkeit unbedingt erforderlich sei, sondern den tatsächlichen durchschnittlichen Zeitaufwand für alle nach der gleichen Ziffer abrechenbaren ärztlichen Tätigkeiten erfassen müsse.
In der Höhe sei die Rückforderung nicht zu beanstanden. Zulässig sei eine Schadensschätzung nach § 287 der Zivilprozeßordnung (ZPO), die für den Kläger die günstigere Regelung sei, denn die Beklagte wäre berechtigt gewesen, von ihm den Nachweis zu verlangen, daß er die berechneten und beanstandeten Leistungen tatsächlich und ordnungsgemäß erbracht habe.
Mit der vom Senat bezüglich des Quartals III/86 zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X. Bei der Rücknahme von Honorarbescheiden aufgrund von Tagesprofilen reiche zur Kenntnis iS dieser Vorschrift aus, daß die Beklagte die Profile kenne. Das sei bereits am 11. November und 10. Dezember 1986 der Fall gewesen. Die Frist beginne nicht erst zu laufen, wenn die Beklagte bestimmte Zeiten als Mindestzeiten bewertet habe. Für den Lauf einer gesetzlichen Frist bedürfe es objektivierbarer Kriterien, damit genau festgestellt werden könne, wann eine Frist beginne und wann sie ende. Es könne daher nur darauf ankommen, ob die Behörde sämtliche erforderlichen Tatsachen kenne, nicht aber, ob sie sie auch richtig bewertet habe. Zudem sei das angefochtene Urteil fehlerhaft, weil es sich auf Tagesprofile stütze. Es sei grundsätzlich unzulässig, zeitliche Vorgaben für die Erbringung ärztlicher Leistungen zu machen und diese Zeitvorgaben zu einem Tagesprofil zusammenzufassen. Entscheidend für die Frage der Vergütung einer ärztlichen Leistung sei allein, ob der Inhalt der einzelnen Leistungsziffer erfüllt sei. Mindestzeiten dürften nur berücksichtigt werden, wenn die Gebührenordnung solche Mindestzeiten ausdrücklich vorschreibe. Die von der Beklagten zugrunde gelegten Mindestzeiten erfüllten aber diese Anforderung nicht.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Juni 1990 und das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 19. April 1989 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 19. Januar 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 1988 insoweit aufzuheben, als darin für das Quartal III/86 kassen- oder vertragsärztliches Honorar zurückgefordert wird.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer Auffassung, daß es auch auf die Bewertung etwaiger Zeitvorgaben ankomme. Zwischen der Vorstandssitzung am 10. Dezember 1986 und dem Rückforderungsbescheid sei eine Änderung in den Zeitvorgaben vorgenommen worden. Sie (die Beklagte) habe auch keine Mindestzeiten festgelegt, sondern ihre Schätzung auf der Grundlage durchschnittlicher Zeitangaben vorgenommen. Zudem sei zu berücksichtigen, daß dem Kläger gemäß § 24 SGB X Gelegenheit hätte gegeben werden müssen, sich zu den Tagesprofilen zu äußern. Hieraus sei zu folgern, daß dem Vorstand am 10. Dezember 1986 noch nicht alle Tatsachen bekanntgewesen seien, denn er hätte auch alle diejenigen Tatsachen berücksichtigen und würdigen müssen, die der Kläger in einer zu erwartenden Stellungnahme vorbringen würde. Daß die Stellungnahme des Klägers in einem Disziplinarverfahren abgegeben worden sei, sei unerheblich, weil der Vorstand diese Stellungnahme zur Kenntnis erhalten und in dem hier anhängig gewesenen Verwaltungsverfahren berücksichtigt habe.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet. Das LSG hat das klageabweisende Urteil des SG in dem sachlichen Umfang, der in der Revisionsinstanz allein noch in Streit steht, zu Recht bestätigt. Der Berichtigungs- und Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 19. Januar 1988 idF des Widerspruchsbescheides vom 25. März 1988 ist in seinem auf das Quartal III/86 bezogenen Teil nicht fehlerhaft.
Bei einer reinen Anfechtungsklage, wie sie vom Kläger erhoben worden ist, ist der Prüfung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zugrunde zu legen (vgl zuletzt Bundessozialgericht ≪BSG≫ Urteil vom 24. November 1993 – 6 RKa 70/91 = SozR 3-2500 § 95 Nr 4 mwN). Maßgebend für die Entscheidung über die Revision sind daher a) hinsichtlich der Aufhebung des Honorarbescheides für das Quartal III/86 im RVO-Kassenbereich § 34 Abs 1 Buchst a, Abs 2 Satz 1 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) idF vom 28. Oktober 1978, im Ersatzkassenbereich § 12 Abs 3 des Arzt-Ersatzkassenvertrages (EKV-Ärzte) in seiner bis 30. September 1990 gültigen Fassung, b) hinsichtlich der Rückforderung des über den Fachgruppendurchschnitt hinausgehenden Honorarbetrages die kraft Gewohnheitsrechtes geltende Rechtsfigur des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs (vgl dazu BSGE 69, 158, 160 = SozR 3-1300 § 113 Nr 1). Nach § 34 Abs 1 Buchst a, Abs 2 Satz 1 BMV-Ä waren die KÄVen befugt, die vom Arzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf zu berichtigen; § 12 Abs 3 EKV-Ärzte räumte den KÄVen die gleiche Befugnis ein. Mit dem allgemeinen öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch konnte und kann ein Verwaltungsträger eine öffentlich-rechtliche Leistung, die ohne Rechtsgrund erbracht worden ist, von dem Empfänger wieder zurückfordern. Diese Rückforderung trägt als Umkehrung der ursprünglichen Leistungsgewährung (actus contrarius) den gleichen öffentlichrechtlichen Charakter wie die erbrachte Leistung und wird in der Form eines Verwaltungsaktes geltend gemacht. Die Beklagte hat die Anforderungen, die hiernach an die von ihr durchgeführte Prüfung und Berichtigung der Honoraranforderung des Klägers sowie die daran angeschlossene Rückforderung der den Fachgruppendurchschnitt übersteigenden Differenz zu stellen waren, mit ihrem Bescheid vom 19. Januar 1988 erfüllt.
Der Bescheid war nicht schon deshalb fehlerhaft, weil er eine nach § 32 Abs 1 SGB X unzulässige Nebenbestimmung enthielt. Zwar hieß es in ihm, daß die neuen Honorarbescheide für den fraglichen Zeitraum vorläufig entsprechend dem Fachgruppendurchschnitt für die Quartale festgesetzt würden und eine Änderung dieser korrigierten Bescheide bei Vorliegen weiterer Kenntnisse zur Schadenshöhe und des Schadenszeitraumes vorbehalten blieben. Im Widerspruchsbescheid wurde dies als zutreffend bestätigt und im Anschluß an die Feststellung, daß die Ausschlußfrist nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X noch nicht abgelaufen sei, hinzugefügt, es stehe auch der vorliegende Bescheid unter Vorbehalt weiterer Erkenntnisse zur Schadenshöhe und zum Schadenszeitraum. Die Auslegung des Bescheides, die auch dem Revisionsgericht obliegt (BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11), führt jedoch zu dem Ergebnis, daß die Beklagte nach dem Gesamtinhalt ihrer Entscheidung, den allein der Kläger als zweifelsfrei dem Bescheid entnehmen konnte, keine Nebenbestimmung iS des § 32 SGB X getroffen hat. Offensichtliche Zielrichtung der angeführten Sätze war, deutlich zu machen, daß der Rückforderungsanspruch nach Auffassung der Beklagten eigentlich höher sei, als er jetzt mit dem Rückforderungsbescheid konkret beziffert werde; lediglich aus Beweisgründen werde davon abgesehen, die Gesamtsumme einzufordern, und die Honorarkürzung dementsprechend auf das beschränkt, was beweismäßig ausreichend zu substantiieren sei. Mit einer solchen Aufteilung der Honorarminderung in einen bereits aktuell bestimmbaren, konkret zurückgeforderten Betrag und einen erst potentiell bezifferbaren, noch nicht geltend gemachten weiteren Betrag ist keiner der Tatbestände erfüllt, den § 32 SGB X als Möglichkeit einer – selbständigen oder unselbständigen – Nebenbestimmung vorsieht. Im besonderen war damit keine Einschränkung der Aufhebung der ursprünglichen Honorarbescheide oder der Rückforderung des konkret festgesetzten Betrages gemeint.
Die Beklagte versäumte mit dem Erlaß des Bescheides erst am 19. Januar 1988 auch keine von ihr dafür einzuhaltende Handlungsfrist. Entgegen der Auffassung der Revision stand der Teilaufhebung des Honorarbescheids für das Quartal III/86 insbesondere nicht § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X entgegen, wonach die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach § 45 Abs 2 Satz 3 und Abs 3 Satz 2 SGB X innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen zu erfolgen hat, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Diese Vorschrift ist auf die rechnerische und gebührenordnungsmäßige Berichtigung der Honoraranforderungen eines Arztes gemäß § 34 Abs 1 Buchst a BMV-Ä, § 12 Abs 3 EKV-Ärzte nicht anzuwenden.
Honorarbescheide sind Verwaltungsakte, dh Entscheidungen zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (BSGE 68, 97, 98 = SozR 3-2500 § 106 Nr 4 S 11; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 2 S 8; SozR 3-2500 § 120 Nr 3 S 20). Die allgemein für Verwaltungsakte geltenden Vorschriften der §§ 39 ff SGB X und des § 77 SGG sind daher grundsätzlich auf sie anzuwenden, dh auch Honorarbescheide werden in der Regel inhaltlich wirksam mit Bekanntgabe an den abrechnenden Arzt (§ 39 Abs 1 SGB X), erlangen formelle Bestandskraft bei Nichteinlegung oder Erfolglosigkeit des gegebenen Rechtsbehelfs (§ 77 SGG) und können bei Rechtswidrigkeit nur unter den Voraussetzungen der §§ 44 ff SGB X zurückgenommen werden. Die prinzipielle Geltung der allgemeinen Bestimmungen ist jedoch aufgrund der Vorschrift des § 37 Satz 1 SGB I, nach der Abweichungen vom Zehnten Buch SGB durch spezifische Regelung im Zweiten bis Neunten Buch und den sonstigen besonderen Teilen des SGB möglich sind, für den Bereich der rechnerischen und gebührenordnungsgemäßen Prüfung und Berichtigung der Honoraranforderungen eines Arztes durchbrochen. Honorarbescheide ergehen kraft Gesetzes stets nur unter dem Vorbehalt einer derartigen späteren Kontrolle und Abänderung und erlangen insofern keine Wirksamkeit im oben bezeichneten Sinn. Sie können daher, falls sie rechnerisch oder gebührenordnungsmäßig zu beanstanden sind, ohne die Einschränkungen des § 45 SGB X, insbesondere ohne die Fristbestimmung des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X zurückgenommen und durch eine abgewandelte Honorarfestsetzung ersetzt werden.
Der Senat hat bereits für die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise eines Arztes entschieden (Urteile vom 16. Januar 1991 – 6 RKa 10/90 = BSGE 68, 97, 98 = SozR 3-2500 § 106 Nr 4 – und vom 31. Juli 1991 – 6 RKa 18/90 = SozR 3-2500 § 106 Nr 7 S 32 –), daß die Rücknahme eines Honorarbescheides jedenfalls insoweit nicht den Einschränkungen des § 45 SGB X unterliegt, als dem Kassenarzt die vorab bezahlten Honorare durch die spätere Überprüfung der Wirtschaftlichkeit seiner Leistungen gekürzt werden. Ein Honorarbescheid ergehe unter dem Vorbehalt der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Leistungen nach § 368n Abs 5 RVO bzw § 106 SGB V und einer entsprechenden Richtigstellung. § 45 SGB X, der die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nur zulasse, wenn dem im Einzelfall kein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand auf der Seite des Begünstigten entgegenstehe, sei daher auf die Rücknahme eines solchen Honorarbescheides schon wegen dieses Vorbehaltes nicht anwendbar. Der Verwaltungsakt als solcher werde zwar schon mit seiner Bekanntgabe wirksam und binde bereits ab hier – unabhängig von seiner später eintretenden Rechtsverbindlichkeit – die Behörde. Da er aber nur mit der vorgenannten Einschränkung wirksam werde, stehe der Honorarkürzung keine Bindungswirkung der bezeichneten Art entgegen.
Für die rechnerische und gebührenordnungsmäßige Prüfung der Honoraranforderungen hat der Senat zwar noch in drei Urteilen vom 9. Mai 1990 und 13. März 1991 (6 RKa 5/89 = USK 9074; 6 RKa 6/89, unveröffentlicht; 6 RKa 35/89 = SozR 3-2500 § 85 Nr 2) entschieden, die Berichtigung von Honorarabrechnungen für die Vergangenheit richte sich grundsätzlich nach § 45 SGB X. Schon im Urteil vom 13. März 1991 sind aber zum wesentlichen Teil die Gründe angeführt, aus denen der Senat in Bestätigung seines Beschlusses vom 15. Juni 1992 – 6 BKa 57/91, unveröffentlicht – die Anwendbarkeit des § 45 SGB X für die Rücknahme von Honorarbescheiden generell, dh nicht nur für die Aufhebung aufgrund Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Leistungen, sondern auch wegen nachträglicher rechnerischer und gebührenordnungsmäßiger Richtigstellung, verneint.
Zu den besonderen Regelungen iS des § 37 Satz 1 SGB I gehörten das – zur Zeit des Erlasses des Widerspruchsbescheides noch in der RVO geregelte – Recht der gesetzlichen Krankenversicherung und damit auch das Kassenarztrecht als Teilgebiet der gesetzlichen Krankenversicherung (BSG SozR 1300 § 63 Nr 12 S 41 f; SozR 3-1300 § 63 Nr 4 S 16). Zum Kassenarztrecht wiederum zählten nicht nur die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen. Vielmehr konnten auch solche vom SGB X inhaltlich abweichende Vorschriften verdrängende Wirkung haben, die zwar nicht unmittelbar im SGB enthalten, aber aufgrund einer darin geregelten Ermächtigung erlassen worden waren (BSG SozR 3-1300 § 63 Nr 4 S 16 mwN; vgl auch für die § 37 SGB I inhaltlich entsprechende Vorschrift des § 1 Abs 1 Verwaltungsverfahrensgesetz ≪VwVfG≫: Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫ DVBl 1994, 409, 410 mwN, wonach sich die Abweichung einer außerhalb des VwVfG bestehenden Vorschrift auch erst aufgrund deren Auslegung ergeben kann).
Inhaltlich abweichende Vorschriften mit verdrängender Wirkung im bezeichneten Sinn stellten die vertraglichen Regelungen der rechnerischen und gebührenordnungsmäßigen Prüfung und Richtigstellung ärztlicher Honoraranforderungen dar, wie sie in § 34 Abs 1 und 2 BMV-Ä und § 12 Abs 3 EKV-Ärzte enthalten waren. Die Ermächtigung zu diesen Regelungen ergab sich aus § 368 f Abs 1, § 368g Abs 1 und 3, § 525c Abs 2 Satz 1 RVO. Die hier gesetzlich vorgesehene Art der Honorarzahlung – schuldbefreiende Ausschüttung einer Gesamtvergütung an die Kassenärztliche Vereinigung und anschließende Verteilung unter die beteiligten Ärztev – sowie der zugleich normierte Auftrag an die Kassenverbände und KÄVen, die kassen- und vertragsärztliche Versorgung nach bestimmten Maßstäben im einzelnen vertraglich zu regeln, hatten sich ua auch an § 368e Satz 2 RVO auszurichten, der den Leistungsanspruch des Versicherten und den Leistungsauftrag des Arztes auf Maßnahmen beschränkte, die zur Erzielung des Heilerfolges notwendig und wirtschaftlich waren. Es heißt nichts anderes als diese materielle Orientierung der Honorarabwicklung folgerichtig fortzuführen, wenn die Honoraranforderungen vor ihrer rechtsgültigen, dh endgültig wirkenden Erfüllung in einem förmlichen Verfahren nach Grund und Betrag geprüft und von der zahlenden Stelle gebilligt wurden oder jedenfalls geprüft bzw gebilligt werden konnten. Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung eines Prüfverfahrens, wie es § 368n Abs 5 RVO für das Leistungskriterium der Wirtschaftlichkeit vorsah, waren daher nach dem Sachgehalt der Ermächtigungsnormen der § 368 f Abs 1, § 368g Abs 1 und 3, § 525c Abs 2 Satz 1 RVO Verfahren zur rechnerischen und gebührenordnungsmäßigen Prüfung und ggf Richtigstellung ärztlicher Honoraranforderungen iS des § 34 Abs 1 Buchst a BMV-Ä und § 12 Abs 3 EKV-Ärzte rechtlich zulässig.
Für die Rechtswirkung der Honorarbescheide, die dem einzelnen Arzt aufgrund seiner eingereichten Abrechnungsunterlagen quartalsweise erteilt wurden, bedeutete diese Regelung, daß eine Bindungswirkung im oben bezeichneten Sinn nicht schon mit der Bekanntgabe an den Arzt eintrat, sondern grundsätzlich auf einen späteren Zeitpunkt aufgeschoben war. Denn die vorgesehene Prüfung und ggf Richtigstellung konnten aus der Natur der Sache heraus nur aufgrund eingereichter Unterlagen erfolgen, erforderten also wie jedes andere Kontrollverfahren nicht nur eine bestimmte zeitliche Abfolge ihrer verschiedenen Einzelabschnitte, sondern setzten für ihre Gesamtabwicklung auch eine gewisse Zeitspanne voraus. Zugunsten des Arztes wurden jedoch in der Regel schon vor der Einleitung und Durchführung des Prüfverfahrens Zahlungen an ihn aufgrund seiner Abrechnungsunterlagen erbracht, um ihm nicht das finanzielle Risiko aufzulasten, das sich aus dem verfahrensbedingten Aufschub der endgültigen Gewißheit seines Zahlungsanspruchs ergab. Diese Zahlungen hatten wegen der Zulässigkeit des Prüfverfahrens lediglich vorläufigen Charakter (vgl hierzu unter dem Gesichtspunkt der Fälligkeit auch Urteil des Senats vom 20. Dezember 1983 – 6 RKa 19/82 = BSGE 56, 116, 118 f = SozR 1200 § 44 Nr 10). Ihnen zugrundeliegende Honorarbescheide erlangten in Übereinstimmung damit ebenfalls nicht sogleich mit ihrem Erlaß endgültige Wirkung, sondern standen zunächst unter dem Vorbehalt der nachträglichen rechnerischen und gebührenordnungsmäßigen Prüfung. Sie wurden erst dann in vollem Umfang – dh formell wie materiell – verbindlich, wenn die vom Arzt vorgelegte Abrechnung in einem Prüfverfahren bestätigt wurde oder ein Prüfverfahren unzulässig geworden war. Ein Hinweis auf diese Vorläufigkeit brauchte im Honorarbescheid oder bei der Zahlung nicht zu erfolgen; der Vorbehalt trat aufgrund der genannten gesetzlichen und vertraglichen Regelungen vielmehr ipso iure ein und war nicht von den Voraussetzungen des § 32 Abs 2 SGB X abhängig. Der Arzt mußte prinzipiell mit einer nachträglichen Prüfung und ggf Richtigstellung seiner Honoraranforderungen rechnen und konnte sich insofern auch nicht auf einen Vertrauensschutz berufen.
Diese Art der Honorarabwicklung unterschied sich in ihrer zunächst bloßen Vorläufigkeit wesentlich von der Sachlage, wie sie § 45 SGB X für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes voraussetzt. Der hier zum Regelungsansatz genommene Tatbestand, daß der Verwaltungsakt bestandskräftig geworden und demzufolge mit den allgemeinen Rechtsbehelfen nicht mehr zu beseitigen ist, war bei der Zahlung der kassen- und vertragsärztlichen Vergütung typischerweise nicht erfüllt. Um eine unzutreffende Honorarabrechnung richtigzustellen, bedurfte es daher nicht einer Norm, die wie § 45 SGB X die Durchbrechung der formellen und materiellen Endgültigkeit eines Verwaltungsaktes ermöglichte. Mit § 34 Abs 1 und 2 BMV-Ä und § 12 Abs 3 EKV-Ärzte waren iS des § 37 Satz 1 SGB I abweichende Regelungen gegeben, die eine spezielle Art der Kontrolle und ggf Korrektur gestatteten. Das hier eröffnete Verfahren war nicht an eine Frist gebunden, wie sie § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X für die Rücknahme eines Verwaltungsaktes vorschreibt. Damit aber schied, sollte die Ersetzung nicht in sich inkonsequent sein, auch die Anwendung dieser Fristbestimmung auf die rechnerische und gebührenordnungsmäßige Prüfung der ärztlichen Honoraranforderungen generell aus.
Die Frage, ob außer durch § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X für die Beklagte bei der rechnerischen und gebührenordnungsmäßigen Prüfung des angefochtenen Honorarbescheids eine Handlungsfrist aus allgemeinen rechtlichen Erwägungen bestand, wie sie der 14a-Senat des BSG in seinem Urteil vom 16. Juni 1993 – 14a/6 RKa 37/91 (BSGE 72, 271 = SozR 3-2500 § 106 Nr 19 – angestellt hat, kann offen bleiben. Der 14a-Senat des BSG hat eine Ausschlußfrist für den die Wirtschaftlichkeitsprüfung abschließenden Bescheid von vier Jahren befürwortet. Im vorliegenden Fall betrug der Abstand zwischen den Honorarbescheiden und der Berichtigung durch die Beklagte noch nicht einmal die Hälfte dieser Frist. Schon aus diesem Grund scheidet der Gedanke aus, die vom 14a-Senat für die Wirtschaftlichkeitsprüfung angestellten Überlegungen auch auf die sachliche und rechnerische Berichtigung von Honorarbescheiden zu übertragen.
Bestand damit für die Prüfung und Berichtigung der Honoraranforderung keine Frist, die die Beklagte nicht einhielt, so galt gleiches für die Rückforderung der überzahlten Differenz. Die Rückforderung von Honorarleistungen, die im Zusammenhang mit den allgemeinen Prüfungsmaßnahmen erfolgten, unterlag nicht § 45 SGB X. An dieser vom Senat bereits in seinem Beschluß vom 20. Juli 1988 – 6 BKa 71/87; nicht veröffentlicht – geäußerten Rechtsansicht wird festgehalten.
Der angefochtene Berichtigungsbescheid war schließlich auch nicht deshalb fehlerhaft, weil die Beklagte Tagesprofile erstellte und für die Berichtigung der Honorarabrechnung zur Grundlage nahm. Wie sich aus der Begründung des Bescheides ergibt, benutzte die Beklagte die Tagesprofile nur dazu, um aus ihnen – im Wege des Indizienbeweises – auf eine übermäßige Abrechnung von Leistungen durch den Kläger zu schließen. Eine solche Verwendung der Tagesprofile hat der Senat in seinem Urteil vom 24. November 1993 – 6 RKa 70/91 = SozR 3-2500 § 95 Nr 4 – für zulässig erklärt. Es hätte demzufolge am Kläger gelegen, diesen Indizienbeweis zu entkräften, dh die ordnungsgemäße Leistungserbringung durch ihn im einzelnen nachzuweisen, um die Rechtswidrigkeit des Berichtigungsbescheides substantiiert darzutun. Das ist jedoch nicht geschehen.
Nicht zu prüfen hat der Senat die Frage, ob die Ermittlung des dem Kläger zustehenden Honorars bzw des Überzahlungsbetrages durch die Beklagte im Wege der Schätzung rechtlich fehlerfrei war oder nicht. Eine derartige Schätzung kommt unter dem Gesichtspunkt der materiell-rechtlichen und von Amts wegen zu beachtenden Beweislastverteilung nach dem Grundsatz in Betracht, daß die objektive Beweislast erst nach Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen Anwendung findet. Insoweit ist auch zu prüfen, ob eine Schätzungsbefugnis in Anwendung des § 287 ZPO besteht und ausgeübt wird. Das BSG hat in mehreren Entscheidungen ausgesprochen, daß eine solche Möglichkeit der Tatsachenermittlung auch für das Sozialrecht in Betracht kommt (vgl etwa Urteile vom 20. Mai 1987 – 10 RKg 12/85 = BSGE 62, 5, 8 mwN –, vom 14. Juli 1988 – 11/7 RAr 41/87 = SozR 4100 § 115 AFG Nr 2 S 14 – und vom 27. Juli 1989 – 11/7 RAr 99/87 = SozR 4100 § 138 AFG Nr 26 S 144). Die Schätzung ist jedoch Teil der Tatsachenfeststellungen und muß deshalb den Tatsacheninstanzen vorbehalten bleiben. Das Revisionsgericht kann sie nur auf Rüge eines Beteiligten – und zwar in engen Grenzen – überprüfen (BSGE 62, 5, 8 mwN; BSG SozR 4100 § 115 AFG Nr 2 S 14). Eine entsprechende Rüge ist jedoch im vorliegenden Fall nicht erhoben worden.
Nach alledem ist die Revision gemäß § 170 Abs 1 Satz 1 SGG als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG (BSGE 72, 148, 156 ff) die Vorschrift des § 193 Abs 4 SGG in der durch Art 15 Nr 2 des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 1. Dezember 1992 (BGBl I S 2266) geänderten Fassung nicht in Verfahren anzuwenden, in denen das Rechtsmittel vor dem 1. Januar 1993 eingelegt worden ist.
Fundstellen