Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Genehmigungsfiktion. Begrenzung auf erforderliche Leistung. Verwaltungsakt. Wirksamkeit der Genehmigungsfiktion
Orientierungssatz
1. Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung des § 13 Abs 3a SGB 5 es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen (stRspr, vgl BSG vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R = BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 21 mwN). Dieser Auslegung steht weder das Qualitätsgebot noch das Wirtschaftlichkeitsgebot entgegen. Die in der Durchbrechung dieser Grundsätze liegende Ungleichbehandlung Versicherter ist als gezielte, durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln vermeidbare Sanktion in eng begrenzten Ausnahmefällen noch vor dem allgemeinen Gleichheitssatz gerechtfertigt (stRspr, vgl zB BSG vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R aaO).
2. Eine Beschränkung der Genehmigungsfiktion auf sonstige materiell-rechtlich bestehende Leistungsansprüche außerhalb von § 13 Abs 3a SGB 5 lässt sich auch nicht dem "gesetzgeberischen Willen" entnehmen.
3. Nach dem Wortlaut der Norm des § 13 Abs 3a S 1 SGB 5 hat die Krankenkasse über den Antrag innerhalb der dort genannten Fristen zu entscheiden. Durch die Bezugnahme auf den Antrag steht außer Zweifel, dass damit kein verwaltungsinterner Vorgang gemeint ist, sondern eine Entscheidung durch Verwaltungsakt, dh mit Außenwirkung.
4. Eine fingierte Genehmigung bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (stRspr, vgl zB BSG vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R = BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 31 mwN).
Normenkette
GG Art 3 Abs. 1; SGB V § 2 Abs. 1 S. 3, § 12 Abs. 1, § 13 Abs. 3a S. 1, § 27 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1, 5, § 28 Abs. 1, § 39 Abs. 1; SGB X § 31 S. 1, § 33 Abs. 1, § 37 Abs. 1 S. 1, § 39 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 28. März 2018 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit Liposuktionen.
Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin beantragte befundgestützt die Versorgung mit Liposuktionen an beiden Beinen, Oberarmen, Hüften und Knien zur Behandlung ihres Lipödems (15.9.2016). Die Beklagte informierte die Klägerin, dass sie eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) einhole (Schreiben vom 16.9.2016). Der MDK hielt die beantragten Liposuktionen für nicht notwendig (30.9.2016). Die Beklagte lehnte es ab, die beantragte Leistung zu bewilligen (Bescheid vom 19.10.2016, der Klägerin zugegangen am 22.10.2016; Widerspruchsbescheid vom 15.3.2017). Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Ablehnungsentscheidung verurteilt, die "Kosten für die am 15.9.2016 beantragten Liposuktionsbehandlungen der Lipödeme an den Ober- und Unterschenkeln beidseits, an den Oberarmen beidseits, an der Hüfte beidseits sowie um/am Knie beidseits zu übernehmen": Die Klägerin habe aus der fingierten Genehmigung ihres Antrags einen Anspruch auf Versorgung mit den beantragten Liposuktionen. Die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a S 6 SGB V seien erfüllt (Urteil vom 28.3.2018).
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 2 Abs 1, § 12 Abs 1, § 13 Abs 1 und Abs 3a S 1, 2, 6 und 7 sowie § 135 Abs 1 SGB V. Die Genehmigungsfiktion sei vorliegend nicht eingetreten, weil die am 20.10.2016 abgelaufene Fünf-Wochen-Frist mit dem Bescheid vom 19.10.2016 eingehalten worden sei. Das SG habe unzutreffend auf die Bekanntgabe dieses Bescheides am 22.10.2016 abgestellt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 28. März 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Zu Recht hat das SG die Beklagte zur Leistungserbringung verurteilt. Die zulässige Klage (dazu 1.) ist begründet. Die Klägerin hat aufgrund fingierter Genehmigung ihres Antrags einen Naturalleistungsanspruch auf Versorgung mit den beantragten Liposuktionen (dazu 2.).Die spätere Ablehnung der beantragten Leistung verletzt die Klägerin in ihren Rechten (dazu 3.).
1. Gegenstand des Rechtsstreits sind zwei in einer Klage im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 56 SGG) zusammen verfolgte zulässige Klagebegehren: Die allgemeine Leistungsklage auf Versorgung mit den beantragten Leistungen (dazu a) und die (isolierte) Anfechtungsklage gegen die Ablehnungsentscheidung (dazu b).
a) Die von der Klägerin erhobene allgemeine Leistungsklage ist zulässig. Nach § 54 Abs 5 SGG kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Hierfür genügt es, dass ein bindender Verwaltungsakt vorliegt, der Leistungsträger aber gleichwohl nicht leistet (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 9 mwN, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSG Urteil vom 11.9.2018 - B 1 KR 1/18 R - Juris RdNr 9, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Die Genehmigung kraft Fiktion steht der Bewilligung durch einen Leistungsbescheid gleich und bewirkt, dass dem Versicherten - wie hier - unmittelbar ein Anspruch auf Versorgung mit der hinreichend inhaltlich bestimmt beantragten Leistung zusteht (vgl zum Ganzen BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 8 mwN).
Die allgemeine Leistungsklage tritt nicht hinter die Feststellungsklage zurück (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG). Mit der allgemeinen Leistungsklage kann ein Kläger effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG) erlangen, wenn sich eine KK - wie hier - weigert, eine durch Verwaltungsakt zuerkannte Leistung zu erbringen. Ihm bleibt nur die Leistungsklage, um einen Vollstreckungstitel zu erhalten (§ 199 Abs 1 Nr 1 SGG). Eine Vollstreckung aus Verwaltungsakten gegen die öffentliche Hand ist nicht vorgesehen (vgl BSGE 50, 82, 83 = SozR 1500 § 54 Nr 40 S 23; BSGE 75, 262, 265 = SozR 3-8560 § 26 Nr 2 S 15). Die allgemeine Leistungsklage und nicht eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) ist statthaft. Denn die Klägerin stützt ihr Begehren gerade auf den Eintritt der fingierten Genehmigung ihres Antrags (§ 13 Abs 3a S 6 SGB V), auf einen fingierten Leistungsbescheid, der in Bestandskraft erwachsen ist. § 86 SGG findet keine Anwendung.
b) Die gegen die Ablehnungsentscheidung neben der allgemeinen Leistungsklage erhobene isolierte Anfechtungsklage ist zulässig (stRspr, vgl zB BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 10; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 37 RdNr 9 mwN). Die Beklagte setzt mit ihrer Leistungsablehnung nicht das mit Eintritt der Genehmigungsfiktion beendete, ursprüngliche Verwaltungsverfahren fort, sondern eröffnet ein eigenständiges Verfahren.
2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Versorgung mit den beantragten Liposuktionen als Naturalleistung. Er entstand kraft fingierter Genehmigung des Antrags (dazu a). Die Voraussetzungen des Eintritts der Fiktion der Genehmigung sind erfüllt. § 13 Abs 3a SGB V (idF durch Art 2 Nr 1 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten ≪PatRVerbG≫ vom 20.2.2013, BGBl I 277) erfasst die von der Klägerin beantragte Leistung als eine ihrer Art nach der Genehmigungsfiktion zugängliche Leistungsart (dazu b). Die Klägerin war leistungsberechtigt (dazu c). Sie erfüllte mit ihrem Antrag die Voraussetzungen eines genehmigungsfähigen, den Lauf der Frist auslösenden Antrags auf Versorgung mit Liposuktionen (dazu d). Die Klägerin durfte die beantragte Leistung für erforderlich halten (dazu e). Die Beklagte hielt die gebotene Frist für eine Verbescheidung nicht ein (dazu f). Die Genehmigung ist schließlich auch nicht später erloschen (dazu g).
a) Gilt eine beantragte Leistung als genehmigt, erwächst dem Antragsteller hieraus ein Naturalleistungsanspruch als eigenständig durchsetzbarer Anspruch. Der Anspruch ist entsprechend den allgemeinen Grundsätzen auf Freistellung von der Zahlungspflicht gerichtet, wenn die fingierte Genehmigung eine Leistung betrifft, die nicht als Naturalleistung erbracht werden kann (stRspr, vgl zB BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 25; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 12 mwN). Ausdrücklich regelt das Gesetz, dass, wenn keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes erfolgt, die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt gilt (§ 13 Abs 3a S 6 SGB V). Ohne den nachfolgenden S 7 bliebe es allein bei diesem Anspruch. Denn eine KK darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (vgl § 2 Abs 2 SGB V) Kosten nur erstatten, soweit es das SGB V oder das SGB IX vorsieht (vgl § 13 Abs 1 SGB V). Nach dem Regelungssystem entspricht dem Naturalleistungsanspruch der im Anschluss hieran geregelte, den Eintritt der Genehmigungsfiktion voraussetzende naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch im Ansatz (vgl § 13 Abs 3a S 7 SGB V). Der Naturalleistungsanspruch kraft Genehmigungsfiktion ermöglicht auch mittellosen Versicherten, die nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, ihren Anspruch zu realisieren (vgl BSG Urteil vom 26.9.2017 - B 1 KR 8/17 R - Juris RdNr 11 f mwN; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 23.5.2014 - L 5 KR 222/14 B ER - Juris RdNr 7 mwN). Für diese Auslegung spricht auch der Sanktionscharakter der Norm (vgl zum Ganzen BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 25; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 12 mwN; zum Sanktionscharakter: Entwurf der Bundesregierung eines PatRVerbG, BT-Drucks 17/10488 S 32, zu Art 2 Nr 1).
Berechtigte sollen nach dem Regelungszweck des § 13 Abs 3a SGB V sehr schnell zur Feststellung ihrer Ansprüche kommen. Dazu erzeugt die Vorschrift bei den KKn einen erheblichen Zeit- und Handlungsdruck. Schlösse § 13 Abs 3a S 7 SGB V den Naturalleistungsanspruch aus, wäre der mittellose Versicherte zur Durchsetzung seiner Ansprüche im wirtschaftlichen Ergebnis weiterhin darauf verwiesen, den Abschluss des Verwaltungsverfahrens durch Bekanntgabe eines bewilligenden Bescheides abzuwarten und müsste im Falle von grundlosen Verzögerungen Untätigkeitsklage erheben (§ 88 Abs 1 SGG). Wäre der Naturalleistungsanspruch ausgeschlossen, kämen gerade die Berechtigten nicht in den Genuss der neu geregelten Sanktionswirkung, die in besonderem Maße schutzbedürftig sind, weil ihnen entweder eine Vorfinanzierung überhaupt nicht möglich ist oder sie auch bei durchschnittlichem Einkommen und Vermögen finanziell überfordert sind, eine teure Leistung vorzufinanzieren, die regelhaft mit schwerwiegenden bis hin zu lebensbedrohlichen Krankheiten assoziiert ist (stRspr, vgl zum Ganzen zB BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 13 mwN; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 16 mwN, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).
b) Die Regelung des § 13 Abs 3a S 6 SGB V ist auf den Antrag der Klägerin sachlich und unproblematisch zeitlich anwendbar. Die Regelung erfasst ua Ansprüche auf Krankenbehandlung, nicht dagegen Ansprüche gegen KKn, die unmittelbar auf eine Geldleistung oder auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gerichtet sind (vgl zum Ganzen BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 11 ff; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 14 mwN); auf Letztere finden die §§ 14 f SGB IX (idF des Art 1 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch ≪SGB IX≫ Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen ≪SGB IX aF≫ vom 19.6.2001, BGBl I 1046; seit 1.1.2018: §§ 14 f, 18 idF des Art 1 Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen ≪Bundesteilhabegesetz - BTHG≫ vom 23.12.2016, BGBl I 3234) Anwendung (§ 13 Abs 3a S 9 SGB V). Die Klägerin begehrt demgegenüber die Gewährung von Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 1 oder Nr 5 SGB V).
c) Die Klägerin ist als bei der Beklagten Versicherte leistungsberechtigt im Sinne der Regelung. "Leistungsberechtigter" ist derjenige, der berechtigt ist, Leistungen nach dem SGB V zu beanspruchen. Hierzu zählen ua in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Versicherte im Verhältnis zu ihrer jeweiligen KK (stRspr, vgl zB BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 22; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 16 mwN).
d) Die Klägerin beantragte als Leistung hinreichend bestimmt Liposuktionen. Damit eine Leistung als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Der Antrag hat eine Doppelfunktion als Verfahrenshandlung (vgl dazu oben, unter II.1.) und als materiell-rechtliche Voraussetzung (stRspr, vgl zB BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 20, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSG Urteil vom 11.9.2018 - B 1 KR 1/18 R - Juris RdNr 17, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits iS von § 33 Abs 1 SGB X hinreichend bestimmt ist (vgl stRspr, zB BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 23; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 17 mwN). Ein Verwaltungsakt ist - zusammengefasst - inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X), wenn sein Adressat objektiv in der Lage ist, den Regelungsgehalt des Verfügungssatzes zu erkennen und der Verfügungssatz ggf eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bildet. So liegt es, wenn der Verfügungssatz in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (stRspr, vgl zB BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 17 mwN; BSG Urteil vom 11.9.2018 - B 1 KR 1/18 R - Juris RdNr 17, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Der Verfügungssatz, einen Naturalleistungsanspruch auf eine bestimmte Krankenbehandlung (hier § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 oder Nr 5 SGB V) zu gewähren, verschafft dem Adressaten - wie dargelegt - eine Rechtsgrundlage dafür, mittels Leistungsklage einen Vollstreckungstitel auf das Zuerkannte zu erhalten. Die Vollstreckung erfolgt nach den Regelungen über vertretbare Handlungen (vgl § 199 Abs 1 Nr 1, § 198 Abs 1 SGG, § 887 ZPO). Es genügt hierfür, dass das Behandlungsziel klar ist. Dass hinsichtlich der Mittel zur Erfüllung der Leistungspflicht verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung stehen, beeinträchtigt den Charakter einer Leistung als vertretbare Handlung nicht (vgl Seibel in Zöller, ZPO, 32. Aufl 2018, § 887 ZPO RdNr 2 mwN). Diese allgemeinen Grundsätze gelten ebenso, wenn Patienten zur Konkretisierung der Behandlungsleistung auf die Beratung des behandelnden Arztes angewiesen sind (stRspr, vgl zB BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 18 mwN; BSG Urteil vom 7.11.2017 - B 1 KR 24/17 R - Juris RdNr 21, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 13 Nr 39 vorgesehen).
Der Antrag der Klägerin vom 15.9.2016 genügte diesen Anforderungen. Er war auf die Versorgung mit Liposuktionen zur Behandlung ihrer Lipödeme an beiden Ober- und Unterschenkeln, beiden Oberarmen, beiden Hüften und beiden Knien gerichtet (vgl entsprechend BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 19 mwN). Der Antrag war auch ohne Eingrenzung auf eine ambulante oder stationäre Leistungserbringung ausreichend bestimmt. Die Klägerin war nicht darauf festgelegt, sich nur stationär oder nur ambulant behandeln zu lassen, sondern wollte nach ihrem klaren Antrag das medizinisch Erforderliche (vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 37 RdNr 20). Es bedarf keiner Vertiefung, ob - wofür viel spricht - ein solcher Antrag grundsätzlich auf die Behandlung durch zugelassene Leistungserbringer gerichtet ist, wenn die begehrte Leistung konkret im Naturalleistungssystem vorgesehen ist. So lag es weder hinsichtlich der stationären (vgl zB BSG Urteil vom 24.4.2018 - B 1 KR 13/16 R - Juris RdNr 9 ff, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 137e Nr 1 vorgesehen) noch der ambulanten Liposuktionen. Letztere konnte die Beklagte als neue, nicht im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) enthaltene Behandlungsmethode mangels Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses und Verankerung im EBM ohnehin nur im Wege der Kostenfreistellung verschaffen (vgl zum Grundsatz BSGE 124, 1 = SozR 4-2500 § 27 Nr 29, RdNr 8 mwN; Hauck, NZS 2007, 461). Eine solche Beschränkung wirkt jedenfalls nach der Ablehnungsentscheidung der Beklagten nicht mehr.
e) Der Antrag der Klägerin betraf auch eine Leistung, die sie für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV lag. Die Gesetzesregelung ordnet diese Einschränkungen für die Genehmigungsfiktion zwar nicht ausdrücklich an, aber sinngemäß nach dem Regelungszusammenhang und -zweck.
Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen (stRspr, vgl zB BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 26; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 21 mwN).
Dieser Auslegung steht weder das Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) noch das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 SGB V) entgegen. Die in der Durchbrechung dieser Grundsätze liegende Ungleichbehandlung Versicherter ist als gezielte, durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln vermeidbare Sanktion in eng begrenzten Ausnahmefällen noch vor dem allgemeinen Gleichheitssatz (vgl Art 3 Abs 1 GG) gerechtfertigt (stRspr, vgl zB BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 22; BSG SozR 4-2500 § 137e Nr 1 RdNr 22, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). § 13 Abs 3a SGB V weicht gerade als Sanktionsnorm von deren Anforderungen ab, indem er in seinem S 6 selbst in den Fällen, in denen eine KK einen im oben dargestellten Sinn fiktionsfähigen Antrag völlig übergeht, die Fiktion der Genehmigung anordnet und damit bewusst in Kauf nimmt, dass die Rechtsauffassung des Antragstellers nur "zufällig" rechtmäßig ist, mithin die Leistung auch dann als genehmigt gilt, wenn der Antragsteller auf diese ohne die Genehmigungsfiktion keinen materiell-rechtlichen Anspruch hat. Wären nur die auf sonstige materiell-rechtlich bestehende Leistungsansprüche gerichteten Anträge fiktionsfähig, wäre die Regelung des § 13 Abs 3a S 6 SGB V obsolet (stRspr, vgl zB BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 22 mwN; BSG Urteil vom 11.9.2018 - B 1 KR 1/18 R - Juris RdNr 21, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; dies verkennend zB LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 26.5.2014 - L 16 KR 154/14 B ER, L 16 KR 155/14 B - Juris RdNr 26 ff = NZS 2014, 663; Schneider, NZS 2018, 753, 756 f, zudem unzutreffend auf die ursprünglich geplante Regelung in Art 2 Nr 1 PatRVerbG-Entwurf der Bundesregierung ≪BT-Drucks 17/10488 S 7≫ abstellend; ebenso v Koppenfels-Spies, NZS 2016, 601, 604; Knispel, SGb 2014, 374 ff; zur Unmaßgeblichkeit des Ursprungsentwurfs in Art 2 Nr 1 PatRVerbG vgl dagegen BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 13 mwN; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 17, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).
Eine Beschränkung der Genehmigungsfiktion auf sonstige materiell-rechtlich bestehende Leistungsansprüche außerhalb von § 13 Abs 3a SGB V lässt sich - entgegen der Ansicht der Beklagten - auch nicht dem "gesetzgeberischen Willen" entnehmen (vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ≪14. Ausschuss≫ zum Entwurf eines PatRVerbG, BT-Drucks 17/11710 S 29 f). Die Begründung enthält keine Hinweise darauf, die Regelung solle sich auf sonstige materiell-rechtlich bestehende Leistungsansprüche beschränken. Im Gegenteil knüpft die Begründung des Gesetzentwurfs eines BTHG zur gleichlautenden Neuregelung in § 18 Abs 3 SGB IX an die Rspr des erkennenden Senats zu § 13 Abs 3a S 6 SGB V an und stellt klar, dass nur "Evidenzfälle ('Urlaub auf Mallorca')" ausgenommen sein sollen (BR-Drucks 428/16 S 236 zu § 18 SGB IX).
Die von der Klägerin begehrten Liposuktionen liegen nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV (vgl entsprechend BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 37 RdNr 22). Die Klägerin durfte die beantragten Liposuktionen aufgrund der fachlichen Befürwortung durch ihren Arzt auch für erforderlich halten.
f) Die Beklagte beschied den Antrag nicht innerhalb der ab Freitag, dem 16.9.2016 (dazu aa) laufenden Fünf-Wochen-Frist (dazu bb), sondern erst nach Fristablauf (dazu cc).
aa) Maßgeblich für den Fristbeginn war der Eingang des Antrags bei der Beklagten. Hierbei ist es unerheblich, ob die betroffene KK meint, der maßgebliche Sachverhalt sei noch aufzuklären (stRspr, vgl zB BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 25; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 29 ff, mwN, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSG Urteil vom 11.9.2018 - B 1 KR 1/18 R - Juris RdNr 24, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Danach begann die Frist am 16.9.2016 zu laufen. Denn der maßgebliche Antrag der Klägerin ging der Beklagten am Donnerstag, dem 15.9.2016 zu (vgl § 26 Abs 1 SGB X iVm § 187 Abs 1 BGB).
bb) Die Frist endete am Donnerstag, dem 20.10.2016 (§ 26 Abs 1 SGB X iVm § 188 Abs 2 BGB). Es galt die gesetzliche Fünf-Wochen-Frist (vgl § 13 Abs 3a S 1 Fall 2 SGB V). Denn die Beklagte informierte die Klägerin innerhalb der Frist von drei Wochen nach § 13 Abs 3a S 1 SGB V über die Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme des MDK (Schreiben vom 16.9.2016). Sie informierte die Klägerin nicht über die voraussichtliche, taggenau bestimmte Dauer der Fristüberschreitung jenseits der Fünf-Wochen-Frist (§ 13 Abs 3a S 5 SGB V) und führte keine Fristverlängerung herbei (vgl hierzu zB BSG Urteil vom 11.9.2018 - B 1 KR 1/18 R - Juris RdNr 29 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
cc) Die Beklagte beschied den Antrag nicht bis zum Fristablauf am Donnerstag, dem 20.10.2016, sondern erst später mit Erlass des Bescheides vom 19.10.2016. Maßgeblich ist - entgegen der Ansicht der Beklagten - der Zeitpunkt der Bekanntgabe dieses Verwaltungsakts am 22.10.2016. Schon nach dem Wortlaut der Norm des § 13 Abs 3a S 1 SGB V hat die KK über den Antrag innerhalb der dort genannten Fristen zu entscheiden. Durch die Bezugnahme auf den Antrag steht außer Zweifel, dass damit kein verwaltungsinterner Vorgang gemeint ist, sondern eine Entscheidung durch Verwaltungsakt (§ 31 S 1 SGB X), dh mit Außenwirkung. Ohne diese gebotene Information kann der Leistungsberechtigte nach Ablauf der gesetzlichen Frist annehmen, dass sein Antrag als genehmigt gilt (vgl BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 28). Es gelten die Grundsätze über die Wirksamkeit von Verwaltungsakten (vgl §§ 39, 37 SGB X und dazu BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 28; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 29 mwN; Helbig in jurisPK-SGB V, 3. Aufl 2016, Stand der Bearbeitung: 15.1.2019, § 13 Anm 62.2; Schifferdecker in Kasseler Komm, Stand September 2018, § 13 SGB V RdNr 125; unzutreffend Bayerisches LSG Beschluss vom 25.4.2016 - L 5 KR 121/16 B ER - Juris RdNr 26). Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekanntgegeben wird (vgl § 39 Abs 1 S 1 SGB X). Deshalb ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird (vgl § 37 Abs 1 S 1 SGB X). Die abweichende Rspr des BAG zur Zustimmungsfiktion des § 18 Abs 3 S 2 SchwbG (in der Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf, und Gesellschaft ≪Schwerbehindertengesetz - SchwbG aF≫ vom 8.10.1979, BGBl I 1649; vgl BAGE 44, 22 = AP Nr 6 zu § 18 SchwbG), des § 21 Abs 3 S 2 SchwbG (in der Bekanntmachung der Neufassung des SchwbG vom 26.8.1986, BGBl I 1421; vgl BAGE 75, 358) und des § 91 Abs 3 S 2 SGB IX aF (vgl BAG AP Nr 5 zu § 91 SGB IX = Juris RdNr 26; geregelt seit 1.1.2018 in § 174 Abs 3 S 2 SGB IX idF des BTHG) betrifft eine im Gesetzeskomplex (vgl § 15 Abs 2 S 1, § 18 Abs 3 S 1 SchwbG aF; § 18 Abs 2 S 1, § 21 Abs 3 S 1 SchwbG; § 88 Abs 2 S 1, § 91 Abs 3 S 1 SGB IX aF; seit 1.1.2018 § 171 Abs 2 S 1, § 174 Abs 3 S 1 SGB IX) anders formulierte Regelung mit abweichender Interessenlage und abweichender Gesetzesbegründung.
g) Die entstandene Genehmigung ist auch nicht später erloschen. Auch eine fingierte Genehmigung - wie jene der Klägerin - bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (§ 39 Abs 2 SGB X; stRspr, vgl zB BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 31 mwN; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 35, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; vgl hierzu bei nicht fingierter Genehmigung zB BSG SozR 4-2500 § 55 Nr 2 RdNr 24). Sind Bestand oder Rechtswirkungen einer Genehmigung für den Adressaten erkennbar von vornherein an den Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden, so wird sie gegenstandslos, wenn die betreffende Situation nicht mehr besteht (stRspr, vgl zB BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 31; BSG SozR 3-1300 § 39 Nr 7 S 13 f; BSG SozR 4-5540 Anl 9.1 Nr 5 RdNr 18 mwN). In diesem Sinne ist eine KK nach Fristablauf nicht mit allen Einwendungen gegen die fingierte Genehmigung ausgeschlossen. Die fingierte Genehmigung schützt den Adressaten dadurch, dass sie ihre Wirksamkeit ausschließlich nach den allgemeinen Grundsätzen über Erledigung, Aufhebung, Widerruf und Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts verliert.
Die Beklagte regelte mit der Ablehnung der Leistung weder ausdrücklich noch sinngemäß, weder förmlich noch inhaltlich eine Rücknahme, eine Aufhebung oder einen Widerruf (vgl §§ 45, 47, 48 SGB X) der fingierten Genehmigung (stRspr, vgl zB BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 32; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 36 mwN; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 35 mwN, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; unzutreffend die Möglichkeit einer Rücknahme nach der Senats-Rspr verneinend Felix, KrV 2018, 177, 182). Geänderte Umstände, die die Genehmigung durch Eintritt eines erledigenden Ereignisses entfallen lassen könnten, hat weder das SG festgestellt noch sind sie sonst ersichtlich.
3. Die Ablehnungsentscheidung der Beklagten (Bescheid vom 19.10.2016, Widerspruchsbescheid vom 15.3.2017) ist rechtswidrig. Sie verletzt die Klägerin in ihrem sich aus der fiktiven Genehmigung ihres Antrags ergebenden Leistungsanspruch (vgl dazu oben, II.2.).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen