Beteiligte
…Kläger und Revisionskläger |
…Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
G r ü n d e :
I.
Streitig sind die Rücknahme einer Vormerkung und die Auswirkungen auf die Rentenhöhe.
Der 1920 geborene Kläger bezieht seit 1. September 1980 Altersruhegeld als Schwerbehinderter. Im Bewilligungsbescheid vom 23. Oktober 1980 teilte die Beklagte ihm mit, über die Zeit von November 1939 bis Mai 1945 werde gesondert entschieden, zu gegebener Zeit erhalte er darüber weitere Nachricht. In dieser Zeit hatte der Kläger der SS angehört und vom 20. April 1942 bis Kriegsende in der Ergänzungsstelle Südost VIII Bewerbungsunterlagen von SS-Freiwilligen bearbeitet. Mit Bescheid vom 27. Juli 1981 merkte die Beklagte die SS-Zeiten als Ersatzzeit des militärischen Dienstes nach § 28 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) vor. Unter dem 7. Juni 1982 stellte sie das Altersruhegeld ab Rentenbeginn neu fest. Dabei berücksichtigte sie verschiedene Abschnitte des SS-Dienstes als Ersatzzeit; für die übrigen, darunter die Zeit vom 20. April 1942 bis 14. Mai 1945, nahm sie den Vormerkungsbescheid vom 27. Juli 1981 gemäß § 45 Abs 2 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) zurück. Hiergegen wandte sich der Kläger mit der Klage; er habe auf die Vormerkung vertrauen können und im übrigen bei der SS auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers gedient. Während des Verfahrens vor dem Sozialgericht (SG) berechnete die Beklagte unter Berücksichtigung weiterer Zeiten das Altersruhegeld im Bescheid vom 28. Oktober 1983 nochmals ab Rentenbeginn neu. Im Streit geblieben ist dabei die Zeit vom 20. April 1942 bis 31. Dezember 1944.
Das SG hat die Klage insoweit abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurückgewiesen, nachdem die Beklagte am 12. Juni 1985 noch einen Widerspruchsbescheid erteilt hatte. Es hält die Berechnung des Altersruhegeldes ohne die streitige Dienstzeit für rechtmäßig. Der Kläger habe bei der Ergänzungsstelle weder militärischen noch militärähnlichen Dienst iS von § 28 Abs 1 Nr 1 AVG geleistet, sondern für Zwecke der SS gedient (Hinweis auf BSGE 49, 170; 55, 205; SozR 2200 § 1251 Nr 105). Für die Rücknahme des Vormerkungsbescheides als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung seien die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 und 3 SGB 10 erfüllt. Bedenken wären aus § 45 Abs 4 SGB 10 herzuleiten, falls die Rücknahme "mit Wirkung für die Vergangenheit" erfolgt wäre. Dies sei aber nicht der Fall. Bei der Rücknahme vorgemerkter Zeiten könne eine Wirkung für die Vergangenheit in der Regel gar nicht auftreten. Vorliegend werde ein solcher Anschein nur darum erweckt, weil der Leistungsfall vor der Vormerkung liege. In Wahrheit habe die Rücknahme auch hier für die Vergangenheit keine Wirkung.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision meint der Kläger, das LSG habe Entscheidungen des Bundessozialgerichts - BSG - (SozR 1300 § 45 Nrn 6 und 15) nicht berücksichtigt, wonach Vormerkungsbescheide Verwaltungsakte mit erhöhtem Vertrauensschutz seien. Gelte dies bereits für die vor dem Leistungsfall erteilten, so erst recht dann, wenn eine "Vormerkung" einen Bestandteil des Leistungsfeststellungsbescheides bilde, die es hier aufgrund des Vorbehalts in der Anlage 6 zum Bescheid vom 27 Oktober 1980 der Fall sei.
Der Kläger beantragt,die vorinstanzlichen Urteile und den Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 1985 aufzuheben, die Bescheide vom 7. Juni 1982 und 28. Oktober 1983 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, beim Altersruhegeld ab Rentenbeginn die Zeit vom 20. April 1942 bis 31. Dezember 1944 als Ersatzzeit rentensteigernd zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist teilweise begründet.
Unbegründet ist sie, soweit sie sich gegen die Rücknahme der Vormerkung der streitigen Zeit als Ersatzzeit richtet. Die Beklagte hat die Rücknahme auf § 45 SGB 10 gestützt. Nach dieser Vorschrift darf ein Verwaltungsakt unter den dort genannten Voraussetzungen "mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit" zurückgenommen werden. Demzufolge muß der Versicherungsträger im Rücknahmebescheid erklären, inwieweit er den Verwaltungsakt zeitlich zurücknimmt. Diese Erklärung gehört zu der Regelung (Verfügungssatz), die er im Rücknahmebescheid zu treffen hat. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte im Bescheid vom 7. Juni 1982 nicht zum Ausdruck gebracht, daß sie den Vormerkungsbescheid für die Vergangenheit zurücknehme. Spricht das schon regelmäßig für eine Rücknahme allein für die Zukunft, so kommt hinzu, daß sich die Beklagte hier zu den besonderen Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs 4 SGB 10 für die Vergangenheit nicht geäußert hat. Sie hat daher den Vormerkungsbescheid vom 27. Juli 1981 im Bescheid vom 7. Juni 1982 nur mit Wirkung für die Zukunft, dh ab der Bekanntgabe dieses Bescheides zurückgenommen, wovon sie Rechtsstreit ebenfalls ausgeht. Zu prüfen ist daher nur, ob sie die Vormerkung der streitigen Zeit als Ersatzzeit nach § 45 SGB 10 für die Zukunft zurücknehmen durfte. Das hat das LSG zutreffend bejaht.
§ 45 setzt zunächst voraus, daß der zurückgenommene begünstigende Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Die Vormerkung war hier rechtswidrig. Das LSG hat zu Recht dargelegt, daß die streitige Zeit keine Ersatzzeit gemäß § 28 Abs 1 Nr 1 AVG iVm §§ 2 und 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ist, weil der Kläger damals weder einen militärischen noch einen militärähnlichen Dienst geleistet habe. Militärischer Dienst sei nicht gegeben, da Dienst in der SS dem deutschen Wehrrecht nicht unterlegen habe, militärähnliche Dienste nicht, da die Einberufung nicht durch eine militärische Dienststelle oder einen militärischen Befehlshaber veranlaßt gewesen und der Einsatz nicht für Zwecke der Wehrmacht erfolgt sei. Mit dieser auf unangefochtenen Tatsachen gegründeten Rechtsansicht befindet sich das LSG in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BSG (BSGE 49, 170; 55, 205; SozR 2200 § 1252 Nrn 104, 105, 114), gegen die Bedenken verfassungsrechtlicher Art nicht bestehen (BVerfG in SozR 2200 § 1251 Nrn 110, 121). Der Kläger wendet zu diesem Punkt auch nichts mehr ein.
Für die Rücknahme mußte des weiteren die Voraussetzungen ("Einschränkung") des § 45 Abs 2 und 3 erfüllt sein. Auch das war hier der Fall. Die zweijährige Rücknahmefrist des Abs. 3 war gewahrt; die nach Abs 2 anzustellende Vertrauensabwägung erlaubte die Rücknahme. Da die in Abs 2 Satz 2 für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens aufgeführten Regeltatbestände - Verbrauch erbrachter Leistungen und Vermögensdisposition - ersichtlich nicht sind, hat die Feststellung, ob das Vertrauen in die Bestandskraft des Bescheides unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Berichtigung schutzwürdig ist, unter Berücksichtigung aller sonstigen Fallumstände zu erfolgen (SozR 1300 § 45 Nrn 9, 19, 20, 24). Sie verbieten hier eine Rücknahme nicht. Durch den im ursprünglichen Bewilligungsbescheid erfolgten Hinweis, über die Zeit werde gesondert entschieden, blieb für den Kläger ein künftiger Erfolg zunächst ungewiß. Die Vormerkung vom 27. Juli 1981 brachte mangels Anrechnung der vorgemerkten Ersatzzeiten noch keinen unmittelbaren Vorteil. Auch konnte er sich auf eine positive Regelung nur kurze Zeit einstellen, denn schon Anfang März des folgenden Jahres wies die Beklagte ihn anläßlich einer Anhörung auf die Rechtswidrigkeit hin. Besonders schutzwürdige Umstände hat der Kläger weder bei seiner schriftlichen Anhörung noch später geltend gemacht. Hiernach hat sein erkennbar nur geringer Vertrauensschaden gegenüber dem Interesse an einer Korrektur des fehlerhaft zu Lasten der Versichertengemeinschaft ergangenen Vormerkungsbescheides zurückzutreten.
Schließlich hat die Beklagte die in § 45 Abs 1 SGB 10 vorgeschriebene Ermessensprüfung (BSGE 55, 250 = SozR 1300 § 50 Nr 3; BSGE 19, 157 = SozR 1300 § 45 Nr 19; aaO Nr 12; SozR 1300 § 48 Nr 11; Urteil vom 9. September 1986, 11a RA 2/85, zur Veröffentlichung vorgesehen) bei Erlaß des Bescheides vom 7. Juni 1982 durchgeführt. In der Anlage 6 zu diesem Bescheid hat sie darauf hingewiesen, daß sie über die Teilrücknahme nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden habe und hinzugefügt, daß Anhaltspunkte dafür, daß sie ihr Ermessen fehlerhaft ausübe, nicht ersichtlich seien. Diese Begründung ist angesichts der hier vorliegenden Gesamtumstände als ausreichend zu betrachten.
Begründet ist die Revision des Klägers jedoch hinsichtlich der Rentenberechnung, wenn auch nur für die Zeit vor der Bekanntgabe des ersten Neufeststellungsbescheides vom 7. Juni 1982. Gegenstand des Rechtsstreits ist insoweit der zweite Neufeststellungsbescheid vom 23. Oktober 1983, der gemäß § 96 des Sozialgerichtsgesetzes VGG) an die Stelle des ersten Neufeststellungsbescheides vom 7. Juni 1982 getreten ist. Soweit die Beklagte bei der Neufeststellung für Rentenbezugszeiten nach der Bekanntgabe des Bescheides vom 7. Juni 1982 die streitige Zeit nicht als Ersatzzeit berücksichtigt hat, entspricht das, wie oben zur Vormerkungsrücknahme dargelegt, der Sach- und Rechtslage. Für die Zeit vorher mußte jedoch beachtet werden, daß der Vormerkungsbescheid nicht für die Vergangenheit und demnach nicht für diese Zeit zurückgenommen worden ist. Infolgedessen ist er bis zur Bekanntgabe des Rücknahmebescheides (Bescheid vom 7. Juni 1982) bindend geblieben.
Für die Bindungswirkung spielt es dabei keine Rolle, daß Vormerkungsbescheide Verwaltungsakte mit Dauerwirkung sind. Entscheidend ist hier ihr Regelungsgehalt. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (BSGE 42, 159, 160; 56, 165, 171 f; 58, 49, 53; vgl auch BSGE 31, 226, 229 f) sind sie Verwaltungsakte, die über beitragslose Zeiten (Ersatzzeiten und Ausfallzeiten) verbindliche Feststellungen treffen. Wenn daher eine Zeit als Ersatzzeit iS des § 28 Abs 1 Nr. 1 AVG vorgemerkt wird, so ist damit festgestellt, daß sie eine solche Ersatzzeit ist.
Da der Vormerkungsbescheid vom 27. Juli 1981 gerade dies für die streitige Zeit festgestellt hatte, ist die Feststellung für den Zeitraum als bindend anzusehen, für den der Vormerkungsbescheid wirksam geblieben ist. Das war hier der Zeitraum vor der Bekanntgabe des Rücknahmebescheides vom 7. Juni 1982. Er schließt die Zeit vom Rentenbeginn bis zur Erteilung des Vormerkungsbescheides ein, weil der Kläger angesichts des Vorbehalts im Bewilligungsbescheid vom 23. Oktober 1930 davon ausgehen durfte, daß die Vormerkung für die Zeit ab dem Rentenbeginn wirksam sein sollte.
Die Beklagte mußte daher, als sie die Rente ab 1. September 1980 neu feststellte, berücksichtigen, daß für die Rentenbezugszeiten bis zur Bekanntgabe des Bescheides vom 7. Juni 1982 die streitige Zeit als Ersatzzeit bindend festgestellt worden ist und daß der Rücknahmebescheid hieran nichts geändert hat. Für diesen Zeitraum ist dem Kläger daher die Zeit als Ersatzzeit im genannten Sinne rentensteigernd anzurechnen. Dem steht nicht entgegen, daß die Beklagte in dem Vormerkungsbescheid nicht entschieden hat, ob die Ersatzzeit mit Rücksicht auf 3 28 Abs 2 AVG angerechnet werden kann und daß das LSG insoweit keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat. Der Senat ist gleichwohl zu einer sachlichen Entscheidung in der Lage. Daß die nach § 28 Abs 2 AVG erforderlichen Anrechnungsvoraussetzungen im Falle des Klägers erfüllt sind, ergibt sich nämlich ohne Zweifel daraus, daß die Beklagte hinsichtlich der übrigen anerkannten Teile der Ersatzzeiten die Anrechenbarkeit auf die Rente anerkannt hat; zum Teil wird dem Kläger hieraus bereits Rente gewährt.
Nach alledem war der Revision mit der Maßgabe stattzugeben, daß vom 1. September 1980 bis zur Bekanntgabe des Neufeststellungsbescheides vom 7. Juni 1982 die Rente an den Kläger unter Berücksichtigung der strittigen Zeit als Ersatzzeit zu zahlen ist; im übrigen war die Revision zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 518067 |
BSGE, 223 |