Entscheidungsstichwort (Thema)
Klage - Zulässigkeit - Rechtsschutzinteresse - Beitragszahlung - Arbeitgeber - Rentenversicherung - einstufige Juristenausbildung - Bielefelder Modell - Einzugsstelle - Verjährung
Leitsatz (redaktionell)
Die gegen ein Bundesland als Arbeitgeber gerichtete Klage eines Absolventen der einstufigen Juristenausbildung (Bielefelder Modell) auf Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen an den Rentenversicherungsträger ist unzulässig.
Normenkette
SGG § 54 Abs. 1; AVG § 121 Abs. 2; RVO § 1399 Abs. 2; SGB IV § 28h Abs. 1-2; AVG § 118 Abs. 1 S. 1; RVO § 1396 Abs. 1 S. 1; SGB IV § 28e Abs. 1 S. 1, § 28d Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen.
Der Kläger studierte von 1980 bis 1987 im Rahmen der einstufigen Juristenausbildung Rechtswissenschaften an der Universität Bielefeld. Am 1. August 1983 wurde er in das Rechtspraktikantenverhältnis aufgenommen und absolvierte in der Folgezeit verschiedene Praxiszeiten. Ein im März 1988 gestellter Antrag auf deren Nachversicherung blieb erfolglos. Nachdem das Bundessozialgericht (BSG) in einem anderen Verfahren mit Urteil vom 21. Februar 1990 (BSGE 66, 211 = SozR 3-2940 § 2 Nr 1) die Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung während der Praxiszeiten festgestellt hatte, teilte das beklagte Land dem Kläger im Mai 1991 mit, es werde auf Antrag die noch nicht verjährten Beiträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) entrichten. Dem im Juli 1992 gestellten Antrag des Klägers entsprach der Beklagte für die Zeit ab Dezember 1986, lehnte jedoch die Beitragsentrichtung für Praxiszeiten vor diesem Zeitpunkt unter Berufung auf Verjährung ab (Schreiben vom 18. August 1992). Auf den Widerspruch des Klägers teilte der Beklagte mit, bei dem Schreiben vom 18. August 1992 handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt. Über die Versicherungspflicht und die Beitragshöhe habe nach § 28h des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) die Einzugsstelle zu entscheiden. Sie habe auch Beitragsansprüche, die nicht rechtzeitig erfüllt worden seien, geltend zu machen. Er berufe sich weiterhin auf Verjährung.
Während des anschließenden Klageverfahrens hat sich der Beklagte bereit erklärt, Beiträge bereits für die Praxiszeiten ab 1. Dezember 1983 zu entrichten. Nachdem der Kläger das Teilanerkenntnis angenommen hatte, hat das Sozialgericht (SG) die Klage hinsichtlich der Beitragsentrichtung auch für die Zeit vom 1. August bis 30. November 1983 abgewiesen, weil die Ansprüche verjährt seien (Urteil vom 9. Juni 1993).
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 25. August 1995 das Urteil des SG geändert und den Beklagten verurteilt, für den Kläger und die Zeit von August bis November 1993 die Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zur Rentenversicherung an die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zu entrichten. Für den Anspruch des Klägers gegen den Beklagten als Arbeitgeber auf Entrichtung von Beiträgen gelte die Verjährungsvorschrift des § 25 Abs 1 Satz 1 SGB IV entsprechend. Die Beitragsansprüche seien danach zwar verjährt. Die vierjährige Verjährungsfrist sei auch nicht gehemmt oder unterbrochen gewesen. Die Einrede der Verjährung sei aber unbeachtlich, weil sie gegen das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung verstoße.
Mit der Revision rügt der Beklagte eine Verletzung der in der Rechtsprechung zum Verbot der unzulässigen Rechtsausübung entwickelten Grundsätze.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG vom 25. August 1995 aufzuheben und die Berufung des
Klägers gegen das Urteil des SG vom 9. Juni 1993 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend und macht weitere Gesichtspunkte für einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben geltend.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, jedoch darauf hingewiesen, daß sie sich bereits zur Entgegennahme der Beiträge für die Zeit von August bis November 1983 bereit erklärt habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision des beklagten Landes ist begründet. Das LSG hat der Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zu Unrecht stattgegeben. Das SG hat die Klage im Ergebnis zutreffend abgewiesen. Allerdings ist die Klage nicht unbegründet, sondern unzulässig.
Der Senat hat bereits entschieden, daß die von einem nach seinem Vorbringen als Arbeitnehmer Versicherten gegen seinen angeblichen Arbeitgeber erhobene Klage auf Feststellung der Versicherungspflicht unzulässig ist. Ihr fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, weil zur Klärung von Streitigkeiten über die Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses und die Beitragshöhe zwingend und abschließend das Einzugsstellenverfahren vorgesehen ist, das jetzt § 28h Abs 2 SGB IV regelt: Bei Zweifeln oder Streit hat eine Entscheidung der Einzugsstelle zu ergehen, die auch einen Widerspruchsbescheid zu erlassen hat. Der Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist mit der gegen die Einzugsstelle zu richtenden Klage anfechtbar. Einzugsstelle ist hier eine Krankenkasse. Das Verwaltungsverfahren der Einzugsstelle kann durch einen Antrag des Arbeitnehmers eingeleitet werden (BSG SozR 3-2400 § 28h Nrn 4 bis 6).
Das Einzugsstellenverfahren ist auch für die Zahlung der Beiträge zur Rentenversicherung vorgeschrieben: Für versicherungspflichtig Beschäftigte sind die Beiträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) vom Arbeitgeber zu zahlen (früher § 118 Abs 1 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes ≪AVG≫ und § 1396 Abs 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫, jetzt § 28d Abs 1 Satz 1 iVm § 28e Abs 1 Satz 1 SGB IV), und zwar an die Einzugsstelle (früher § 121 Abs 2 AVG und § 1399 Abs 2 RVO, jetzt § 28h Abs 1 Satz 1 SGB IV). Die Beiträge werden von den Einzugsstellen eingezogen (früher § 121 Abs 1 AVG und § 1399 Abs 1 RVO). Beitragsansprüche, die nicht rechtzeitig erfüllt worden sind, sind von der Einzugsstelle geltend zu machen (§ 28h Abs 1 Satz 2, seit 1. Januar 1996 Satz 3 SGB IV). Nach diesen Vorschriften ist der Arbeitgeber ausschließlich gegenüber der Einzugsstelle zahlungspflichtig; sie ist für die Geltendmachung der Beitragsansprüche zuständig. Besteht wie hier kein Zweifel über die Versicherungspflicht oder die Beitragshöhe, kommt der Arbeitgeber seiner Zahlungspflicht jedoch aus anderen Gründen nicht nach (hier: wegen Verjährung), hat die Einzugsstelle darüber zu entscheiden, ob die Beiträge noch zu zahlen sind. Der versicherte Arbeitnehmer kann das Beitragseinzugsverfahren durch einen Antrag bei der Einzugsstelle einleiten und, wenn es erfolglos bleibt, in einem Rechtsstreit gegen die Einzugsstelle, zu dem der Arbeitgeber und der Rentenversicherungsträger beizuladen sind, die Verpflichtung zum Beitragseinzug klären lassen. Unter diesen Umständen ist für eine Klage gegen seinen Arbeitgeber auf Zahlung der Beiträge an die Einzugsstelle oder gar den Rentenversicherungsträger kein Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Das gilt auch für die vom Kläger gegen den Beklagten als seinen früheren Arbeitgeber erhobene Klage.
Der Senat konnte demnach mangels Zulässigkeit der Klage nicht in der Sache entscheiden. Das klagabweisende Urteil des SG erwies sich somit im Ergebnis als zutreffend. Das Urteil des LSG war daher aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Im übrigen wäre die Klage auch bei einer Sachentscheidung schon deswegen zu Recht abgewiesen worden, weil es für einen Anspruch des Klägers auf Beitragszahlung an den Rentenversicherungsträger keine gesetzliche Grundlage gibt. Der Arbeitgeber ist nur zur Zahlung an die Einzugsstelle verpflichtet. Sollte diese vom Kläger angerufen werden, so weist der Senat zu Verjährungsfragen auf sein zur Juristenausbildung in Bremen ergangenes Urteil vom 13. August 1996 (12 RK 76/94, zur Veröffentlichung vorgesehen) hin.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 60256 |
RegNr, 22695 (BSG-Intern) |
DOK 1997, 237 (K) |
ZBR 1997, 31 (L) |
Breith 1997, 307-309 (LT1) |
EzBAT § 36 BAT, Nr 1 (ST1) |
EzS, 50/311 (LT1) |
MDR 1997, 374-375 (LT) |
NZS 1997, 370 (L) |
SozR 3-2400 § 28h, Nr 7 (LT1) |
SozSich 1997, 197 (LT1) |
Breith. 1997, 307 |
SozSi 1997, 197 |