Beteiligte
Bezirk Mittelfranken – Sozialverwaltung – |
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4. Dezember 1997 und des Sozialgerichts Nürnberg vom 20. August 1996 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist, ob die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe die Kosten der Entgiftungsbehandlung einer Suchtkranken zu erstatten hat.
Als überörtlicher Träger der Sozialhilfe führte der Bezirk Mittelfranken bei der heroin- und medikamentenabhängigen Cornelia C., die Mitglied der BfA war, als Maßnahme der Eingliederungshilfe nach § 39 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) vom 18. bis 25. Januar 1993 im Klinikum N. eine Entgiftungsbehandlung durch. Anschließend nahm C. ab 25. Januar 1993 an einer am 11. Januar 1993 beantragten und ihr von der BfA mit Bescheid vom 22. Januar 1993 als Maßnahme zur Rehabilitation (Reha) bewilligten Entwöhnungsbehandlung teil, die sie im März 1993 vorzeitig abbrach. Am 7. Oktober 1994 verstarb C.
Unter dem 8. März 1993 beantragte der Bezirk Mittelfranken die Erstattung seiner für die Entgiftungsbehandlung aufgewandten Kosten nach § 102 ff SGB X; dies lehnte die BfA mit Schreiben vom 1. April 1993 und 13. Oktober 1994 ab. Auf die vom Bezirk Mittelfranken erhobene (Zahlungs-)Klage hat das SG Nürnberg die beklagte BfA verpflichtet, dem Kläger die Kosten der für die Versicherte C. in der Zeit vom 18. bis 25. Januar 1993 durchgeführten Entgiftungsbehandlung gemäß § 104 SGB X zu erstatten. Das SG hat hierzu ausgeführt, zwischen der Entgiftungs- und der Entwöhnungsbehandlung bestehe ein derart funktioneller Zusammenhang, daß beide Maßnahmen unabdingbar zu einer den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit genügenden Reha Suchtkranker gehörten. Die Entgiftungsbehandlung sei als Reha-Maßnahme iS von § 10 des Rehabilitationsangleichungsgesetzes (RehaAnglG) anzusehen; eine Trennung zwischen Entziehung und Entwöhnung laufe dem mit den Reha-Regelungen verfolgten Gesetzeszweck zuwider (Urteil vom 20. August 1996). Das SG hat die Berufung zugelassen. Das Bayerische LSG hat die Berufung mit Urteil vom 4. Dezember 1997 zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und eine Verletzung von § 13 Abs 2 SGB VI gerügt. Bei der Entgiftungsmaßnahme handele es sich um eine nicht der medizinischen Reha zuzurechnende Krankenhausbehandlung. Die Kosten hierfür habe nicht sie, sondern der Träger der Krankenversicherung bzw – bei fehlendem Krankenversicherungsschutz – der Träger der Sozialhilfe zu tragen. Dem Urteil des 13. Senats des BSG vom 6. Mai 1998 (B 13 RJ 11/97 R) sei zuzustimmen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4. Dezember 1997 und des Sozialgerichts Nürnberg vom 20. August 1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend und meint, das og Urteil des 13. Senats des BSG sei als „Entscheidung des Einzelfalles” anzusehen und mit „dem streitgegenständlichen Fall nicht ohne weiteres vergleichbar”. Bei der Versicherten C. habe bei Antritt der Entgiftungsbehandlung kein derart schwerwiegender Tatbestand vorgelegen, daß unabhängig von der geplanten Entwöhnungsbehandlung von einer Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit auszugehen gewesen sei.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht entgegen der Ansicht der Vorinstanzen kein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die von ihm bei der Versicherten C. durchgeführte Entgiftungsbehandlung gegen die beklagte BfA zu.
Ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X, der hier als Anspruchsgrundlage allein in Betracht kommt, setzt ua voraus, daß der Kläger als nachrangig verpflichteter Leistungsträger eine Leistung erbracht hat, die er bei „rechtzeitiger Erfüllung der Leistungspflicht eines anderen Leistungsträgers” (hier: der beklagten BfA) selbst nicht hätte erbringen müssen (vgl § 104 Abs 1 Satz 2 SGB X). Dies ist nicht der Fall: Zwar sind Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 2 Abs 1 BSHG gegenüber Leistungen aus der Sozialhilfe vorrangig; an dieser sog Systemnachrangigkeit ändert nach § 2 Abs 2 Satz 2 BSHG auch der Umstand nichts, daß die beantragte Entwöhnungsbehandlung als Maßnahme der Reha keine Pflicht-, sondern eine Kannleistung ist, die im pflichtgemäßen Ermessen des Trägers der Rentenversicherung steht (so der erkennende Senat in seinem Urteil vom 17. November 1987, BSG SozR 2200 § 1237 Nr 21 mwN). Die Entstehung eines Erstattungsanspruchs des vorleistenden Leistungsträgers setzt zwar nicht voraus, daß der Leistungsanspruch des Berechtigten gegen den anderen Leistungsträger gemäß § 40 Abs 2 SGB I entstanden ist; es genügt, ist aber auch erforderlich, daß das Ermessen des anderen Leistungsträgers bei fehlerfreier Ausübung zur Bewilligung eines Leistungsanspruchs geführt hätte, der ganz oder teilweise der Vorleistung entsprochen hätte. Dies erfordert, daß der Berechtigte ein subjektives Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung gegen den anderen Leistungsträger hatte, also alle tatbestandlichen Voraussetzungen dieses Rechts erfüllte (BSG SozR 3-1200 § 39 Nr 1).
Hierauf ist nicht näher einzugehen, weil die Beklagte der Versicherten C. eine Krankenhausbehandlung zur Entgiftung nur rechtswidrig, nämlich unter Überschreitung der rechtlichen Grenzen ihres Ermessens hätte gewähren können. Dies ist ihr nicht erlaubt. Ein Erstattungsanspruch des Klägers scheitert vorliegend daher schon daran, daß die beklagte BfA ihrer Versicherten C. gemäß § 9 iVm § 13 SGB VI keine Krankenhauspflege zur Entgiftungsbehandlung gewähren durfte.
Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VI erbringt der Träger der Rentenversicherung medizinische, berufsfördernde und ergänzende Leistungen zur Reha, um den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden (Nr 1 aaO) und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern (Nr 2 aaO). Gemäß § 9 Abs 2 Satz 1 SGB VI können die Leistungen nach Abs 1 erbracht werden, wenn die persönlichen (vgl § 10 SGB VI) und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (vgl § 11 SGB VI) dafür erfüllt sind und kein Ausschlußtatbestand nach § 12 SGB VI vorliegt.
Allerdings kann auch eine stationäre Entgiftungsbehandlung im Krankenhaus – ihrer Art nach betrachtet – den in § 9 Abs 1 SGB VI angesprochenen medizinischen Leistungen zur Reha zugeordnet werden; denn diese umfassen gemäß § 15 Abs 1 SGB VI insbesondere Behandlung durch Ärzte und Angehörige anderer Heilberufe, soweit deren Leistungen unter ärztlicher Aufsicht oder auf ärztliche Anordnung durchgeführt werden, einschließlich der Anleitung der Versicherten, eigene Abwehr- und Heilungskräfte zu entwickeln (Nr 1), Arznei- und Verbandmittel, Heilmittel einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie und Beschäftigungstherapie (Nr 2), Belastungserprobung und Arbeitstherapie (Nr 3) sowie Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel einschließlich der notwendigen Änderungen, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie der Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel (Nr 4). Zudem sollen nach § 10 RehaAnglG die medizinischen Leistungen zur Reha „alle Hilfen” umfassen, die erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, eine Behinderung zu beseitigen, zu bessern oder eine Verschlimmerung zu verhüten. Dieser Leistungskatalog erfaßt – abstrakt gesehen – auch die stationäre Entgiftungsbehandlung eines Alkohol- bzw Suchtkranken in einem Krankenhaus, die einer stationären Entwöhnungsbehandlung vorausgeht, ebenso wie diese.
§ 13 Abs 2 SGB VI schließt jedoch – iS einer Systemabgrenzung – die Entgiftungsbehandlung im Krankenhaus aus diesem Leistungskatalog aus; der Rentenversicherungsträger darf keinen Anspruch auf diese Leistung bewilligen. Die BfA war deshalb nicht befugt, ihrer Versicherten C. im Ermessenswege diese – nicht zugelassene – Behandlung (gesetzwidrig) zu gewähren. Nach § 13 Abs 2 SGB VI erbringt der Träger der Rentenversicherung nicht
- medizinische Leistungen zur Reha in der Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit einer Krankheit, es sei denn, die Behandlungsbedürftigkeit tritt während der medizinischen Leistungen zur Reha ein,
- medizinische Leistungen zur Reha anstelle einer sonst erforderlichen Krankenhausbehandlung,
- medizinische Leistungen zur Reha, die dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse nicht entsprechen.
Diese umfassende Ausschlußklausel (dazu unten) wird im folgenden ergänzt durch Spezialregelungen über das Zusammenwirken und die Abgrenzung von Kranken- und Rentenversicherungsträger. § 13 Abs 3 SGB VI regelt, daß der Träger der Rentenversicherung nach Abs 2 Nr 1 im Benehmen mit dem Träger der Krankenversicherung für diesen Krankenbehandlung und Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft erbringt (Satz 1), und von dem Träger der Krankenversicherung Erstattung der hierauf entfallenden Aufwendungen verlangen kann (Satz 2). Nach § 13 Abs 4 SGB VI vereinbaren die Träger der Rentenversicherung mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen gemeinsam und einheitlich im Benehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Näheres zur Durchführung von Abs 2 Nrn 1 und 2. Demgemäß muß nach der „Vereinbarung zur Leistungsabgrenzung” nach § 13 Abs 4 SGB VI vom 21. Juni 1993 (abgedruckt in: Die Ersatzkasse 1993, S 172) für und bei Beginn von medizinischen Maßnahmen zur Reha (durch den Träger der Rentenversicherung) Reha-Fähigkeit des Patienten gegeben sein; eine Behandlung im Krankenhaus darf nicht oder nicht mehr erforderlich sein (vgl § 3 dieser Vereinbarung). Dies bedeutet, daß bei Gewährung stationärer Maßnahmen für Alkohol- und Drogenabhängige die zu Beginn erforderliche stationäre Entgiftungsbehandlung in die Zuständigkeit des Trägers der Krankenversicherung fällt, während der Träger der Rentenversicherung nur für die sich hieran anschließende Entwöhnungsbehandlung Leistungspflicht übernehmen kann (so der erkennende Senat bereits zu den Vorschriften der RVO, vgl BSG, Urteil vom 30. August 1979 - 4 RJ 65/77 - USK 79232).
Mit mehreren Urteilen vom 6. Mai 1998 (B 13 RJ 11/97 R, zur Veröffentlichung vorgesehen, B 13 RJ 29/97 R, B 13 RJ 75/97 R, B 13 RJ 69/97 R) hat der 13. Senat des BSG geklärt, daß diesen Bestimmungen sich nicht entnehmen läßt, sie regelten eine Abgrenzung der „Leistungszuständigkeit” der Rentenversicherungsträger gegenüber derjenigen allein der Krankenversicherungsträger; vielmehr stellt § 13 Abs 2 SGB VI eine allgemeine, dh umfassende Ausschlußklausel dar, die sich auch auf das Verhältnis zu allen anderen Reha-Trägern und somit auch zu den Trägern der Sozialhilfe bezieht. Regelte nämlich § 13 Abs 2 SGB VI ausschließlich das Verhältnis zwischen Renten- und Krankenversicherungsträgern, hätte es nahegelegen, dort – wie in den Abs 3 und 4 der Vorschrift – eine allein auf das Verhältnis zu den Trägern der Krankenversicherung bezogene Regelungsabsicht zum Ausdruck zu bringen. Dies sei indes nicht geschehen. Dem schließt sich der erkennende Senat an. Im Zeitpunkt der Ermessensentscheidung des Rentenversicherungsträgers über den zu bewilligenden Leistungsanspruch (über das „Wie” der Reha) bleibt ihm im Normalfall gerade keine Zeit, vorab hinreichend zu klären, ob ein anderer Leistungsträger vorrangig verpflichtet ist, und davon den Umfang des Leistungskatalogs in der Rentenversicherung abhängig zu machen. Da der Rentenversicherungsträger in den typischen Situationen des Bedarfs nach Krankenhauspflege ohnehin nur nachrangig gegenüber den Trägern der Kranken- und Unfallversicherung verpflichtet wäre, ist es unbedenklich, daß § 13 Abs 2 SGB VI die Bewilligung eines Anspruchs auf Krankenhauspflege durch den Rentenversicherungsträger auf den Fall beschränkt, daß die Behandlungsbedürftigkeit während einer – anderen – medizinischen Leistung zur Reha eintritt.
Die Voraussetzungen des Ausschlußtatbestandes nach § 13 Abs 2 Nr 1 SGB VI sind vorliegend gegeben. Die Versicherte C. litt während der Dauer der Entgiftungsbehandlung (18. bis 25. Januar 1993) unter einer „behandlungsbedürftigen Krankheit”, die nicht während, sondern vor der Entstehung des von der BfA bewilligten Anspruchs auf medizinische Leistungen zur Reha eingetreten war. Sie befand sich dabei in einer „Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit”. Daß sie im genannten Zeitraum behandlungsbedürftig krank war, kann keinen Zweifeln unterliegen, zumal ihr Gesundheitszustand, was letztlich ausschlaggebend ist (vgl etwa BSGE 35, 10, 12 = SozR Nr 52 zu § 182 RVO; Kasseler Komm-Höfler, § 27 SGB V RdNr 19; jeweils mwN), aufgrund der Alkohol- bzw Suchtmittelintoxikation von dem eines gesunden Menschen in so beträchtlichem Maße abwich, daß sie ärztlicher Betreuung und sogar der Krankenhauspflege bedurfte.
Diese Entgiftung erfolgte in einer „Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit”, zumal akut behandlungsbedürftig jedenfalls ein Zustand ist, der – im Gegensatz zu einem chronischen Krankheitsgeschehen – zeitnahe ärztliche Behandlungen oder Überwachung erfordert. Darum geht es auch bei einer Entgiftungsbehandlung, denn die Beseitigung einer Suchtmittelintoxikation ist nur unter tage- oder wochenlanger ärztlicher Beobachtung und Behandlung möglich; dies ist aber Voraussetzung dafür, den Betroffenen auf die anstehende Entwöhnungsbehandlung vorzubereiten. Ob sich während der Entgiftungsbehandlung Entzugsdeliri oder sonstige krankhafte Begleiterscheinungen einstellen, ist unerheblich. Maßgebend ist, daß mit der Entgiftungsbehandlung Komplikationen – zB Entzugsdeliri, Krampfanfälle, Leberversagen, Halluzinationen und Kreislaufzusammenbrüche – einhergehen „können”, die, sofern sie auftreten, ärztlicher Betreuung bedürfen (vgl ua BSG, Urteil des 13. Senats vom 6. Mai 1998 - B 13 RJ 11/97 R).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG.
Fundstellen
NZS 1999, 560 |
SGb 1999, 295 |
SozSi 1999, 376 |