Leitsatz (redaktionell)
Konnte ein bis zur Erkrankung tätiger Lehrhauer bei widersprochener Änderungskündigung begründete Hoffnung haben, wieder als Lehrhauer verwendet zu werden, hat er sich vom Hauptberuf des Lehrhauers noch nicht gelöst. Die Tatsacheninstanz hat Feststellungen darüber zu treffen, ob in einer neuen Lohnordnung wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeiten enthalten sind, die dem Versicherten gesundheitlich auch zumutbar sind.
Normenkette
RKG § 45 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-05-21; SGG § 103 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. März 1971 wird zurückgewiesen, soweit sie die Bergmannsrente bis zum 31. Mai 1971 betrifft.
Im übrigen wird das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben. Insoweit wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Unter den Beteiligten ist der Anspruch des Klägers auf Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit in Streit.
Der 1920 geborene, seit 1946 im Bergbau tätig gewesene Kläger war bis November 1961 hauptsächlich als Lehrhauer im Gedinge beschäftigt. In der Folge wurde er von der Zeche - nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) "unter Ausübung eines gewissen Drucks" und gegen seinen "beträchtlichen Widerstand" - im wesentlichen als Grubenlokführer eingesetzt. Hierbei führte ihn allerdings die Zeche bis Ende April 1965 weiterhin als Lehrhauer und zahlte ihm auch den Lehrhauerlohn (tariflicher Hauerdurchschnittslohn abzüglich 5 v. H.), ab Mai 1965 führte und entlohnte die Zeche den Kläger zwar als Grubenlokführer, stockte aber den Lohn durch eine Prämie bis zur Höhe des Lehrhauerlohns auf. Von November 1965 bis Anfang Mai 1967 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Seitdem war er nur noch als Anknebler , Kauenwärter und - zuletzt - Maschinenputzer beschäftigt.
Einen Antrag des Klägers auf Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit lehnte die Beklagte mit dem streitigen Bescheid vom 18. Juli 1966, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 29. November 1967, mit der Begründung ab, daß der Kläger seinem Hauptberuf als Grubenlokführer im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige und sozial zumutbare Tätigkeiten noch verrichten könne.
Mit der hiergegen erhobenen Klage hatte der Kläger in den Vorinstanzen Erfolg. Durch die angefochtene Entscheidung vom 25. März 1971 hat das LSG die Berufung der Beklagten gegen das dem Kläger Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit zusprechende Urteil des Sozialgerichts (SG) zurückgewiesen und ausgeführt: Bei der Frage, ob der Kläger vermindert bergmännisch berufsfähig i. S. des § 45 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) sei, sei davon auszugehen, daß bisheriger Hauptberuf des Klägers der des Lehrhauers sei. Trotz der Tatsache, daß der Kläger jahrelang als Grubenlokführer eingesetzt gewesen sei, habe sich dieser nicht vom Beruf des Lehrhauers gelöst, weil er sich mit allen zumutbaren Mitteln einem Berufswechsel widersetzt und angesichts des Verhaltens des Arbeitgebers - Weiterführung als Lehrhauer, zwischenzeitlicher Einsatz als solcher, Zahlung des Lehrhauerlohns - berechtigte Aussicht habe hegen dürfen, daß er die "Hauptberufstätigkeit" wieder werde aufnehmen können. Da der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nur noch die mit dem Lehrhauerberuf wirtschaftlich nicht gleichwertigen Arbeiten der Lohngruppen IV und V über Tage ausüben könne, sei er vermindert bergmännisch berufsfähig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten. Sie ist der Ansicht, nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats verliere ein Versicherter seinen bisherigen Hauptberuf, wenn ihn der Arbeitgeber für eine andere Tätigkeit einsetze; anderes könne nur für eine aus gesundheitlichen Gründen erzwungene Aufgabe des bisherigen Berufs gelten. Während der Zeit des Einsatzes als Grubenlokführer sei das Bestreben des Klägers sicher nur auf Beibehaltung des Lehrhauerlohns, nicht aber auf Ausübung der bisherigen Tätigkeit gerichtet gewesen; es müsse angenommen werden, daß er sich mit dem Berufswechsel selbst abgefunden gehabt habe. Im übrigen komme es für die Bestimmung des Hauptberufs nur auf die tatsächlich verrichtete Tätigkeit und deren tarifliche Einstufung an, nicht aber auf die Gewährung eines der Tätigkeit nicht entsprechenden Lohnes. Der Tätigkeit des Grubenlokführers seien die Arbeiten eines Magazinarbeiters, Markenausgebers, Motorenwärters und Telefonisten nach Lohngruppe IV über Tage im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig und der Kläger daher noch nicht vermindert bergmännisch berufsfähig.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12. August 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für richtig und betont, daß er sich von seinem Hauptberuf als Lehrhauer nicht gelöst habe.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist nur zum Teil mit ihrem Hilfsantrag auf Zurückverweisung der Streitsache an die Vorinstanz begründet.
Nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RGK erhält Bergmannsrente der Versicherte, der vermindert bergmännisch berufsfähig ist und als Wartezeit eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt hat (§ 49 Abs. 1 aaO). Vermindert bergmännisch berufsfähig ist nach § 45 Abs. 2 aaO ein Versicherter, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen und geistigen Kräfte weder imstande ist, die von ihm bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit auszuüben noch imstande ist, andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlichen Betrieben auszuüben. Unter den Beteiligten ist in Streit, welches i. S. dieser Bestimmung die vom Kläger "bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit" ist.
Zu dieser Frage hat der erkennende Senat bereits am 9. Februar 1960 (BSG 2, 183) grundsätzlich - und unter teilweiser Abkehr von der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes - entschieden, daß unter der "bisher" verrichteten Tätigkeit nicht die "zuletzt" ausgeübte Arbeit zu verstehen sei. Es komme vielmehr darauf an, welche knappschaftliche Tätigkeit des Versicherten die "eigentliche Berufstätigkeit" oder - wie der Senat später in ständiger Rechtsprechung formuliert hat - sein "Hauptberuf" ist. Der Senat hat aaO bereits hervorgehoben, daß bei der Ermittlung des Hauptberufs in erster Linie die eine berufliche Qualifizierung enthaltenden Merkmale der Berufsausbildung oder einer "üblichen Berufsentwicklung", an nächster Stelle aber auch die Dauer der einzelnen Tätigkeit zu berücksichtigen seien. Unter diesen Aspekten kann als Hauptberuf des Klägers nur die qualifizierte Tätigkeit eines Gedingearbeiters (Lehrhauers) unter Tage angesehen werden: Er hat, nachdem er im Jahre 1946 im Bergbau angelegt hatte, bis 1947 zunächst als Schlepper und Gedingeschlepper, von da an aber bis November 1961 im wesentlichen als Lehrhauer gearbeitet.
Freilich hat der Senat schon aaO darauf hingewiesen, daß eine als Hauptberuf des Versicherten in Frage kommende Tätigkeit dann nicht mehr als "bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit" in Betracht komme, wenn sich der Versicherte von ihr endgültig "gelöst" hat, d. h. sie mit dem Willen aufgegeben hat, sie nicht mehr auszuüben. Um keine Lösung vom bisherigen Hauptberuf in diesem Sinne handelt es sich, wenn sich der Versicherte aus gesundheitlichen Gründen einer anderen Tätigkeit zugewandt hat; denn für diesen Fall einer durch gesundheitliche Gründe erzwungenen Berufsaufgabe hat die Knappschaftsversicherung gerade einzustehen. Im übrigen kommt es bei einer Berufsaufgabe, wie der Beklagten einzuräumen ist, nicht allein auf den Willen des Versicherten im Zeitpunkt des Arbeitsplatzwechsels, sondern auf den Willen auch zu einem späteren Zeitpunkt an: Ist der Versicherte z. B. aus betrieblichen Gründen ohne sein Einverständnis auf einem anderen Arbeitsplatz eingesetzt worden, so liegt gleichwohl eine Lösung vom bisherigen Hauptberuf vor, wenn sich der Versicherte später mit dem neuen Arbeitsplatz abgefunden hat (so der erkennende Senat z. B. in seinen Entscheidungen BSG 15, 213, 214 = SozR Nr. 16 zu § 35 RKG aF und vom 27. Oktober 1966 - 5 RKn 74/64).
Die Frage, ob sich ein Versicherter mit einem zunächst unfreiwilligen Berufswechsel, wie ihn etwa die durch den Betrieb angeordnete Beschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz darstellt, abgefunden hat, wird in der Regel zu bejahen sein, wenn der Versicherte die neue Tätigkeit längere Zeit ausgeübt hat, ohne zur alten Arbeit zurückgekehrt zu sein. Einer solchen Annahme kann grundsätzlich auch nicht entgegenstehen, daß sich der Versicherte - verständlicherweise und ggf. mit Erfolg - darum bemüht, im Vergleich zur früheren Tätigkeit nicht geringer entlohnt zu werden: Ebenso wie bei der Bestimmung des Hauptberufs im Rahmen des § 45 Abs. 2 RKG rechtlich erheblich nur eine Tätigkeit ist, die tatsächlich auch ausgeübt worden ist, kommt es auch in diesem Zusammenhang nur darauf an, ob die Bemühungen des Versicherten erkennbar darauf gerichtet gewesen sind, zur früheren Berufstätigkeit zurückzukehren.
Eine Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt folgendes: Das LSG hat nach eingehender Würdigung der von ihm erhobenen Beweise, insbesondere der Aussagen von Angehörigen des Beschäftigungsbetriebs des Klägers, folgenden Sachverhalt festgestellt: Der Kläger habe nach dem 1961 auf betriebliche Weisung vollzogenen Wechsel seiner Haupttätigkeit bei der Betriebsleitung dauernd darauf gedrängt, wieder echt als Lehrhauer eingesetzt zu werden. Er sei tatsächlich immer wieder mit der Arbeit eines Lehrhauers beschäftigt worden; seine Umsetzung als Grubenlokführer sei nur unter Ausübung eines gewissen Drucks, also gegen den beträchtlichen Widerstand des Klägers möglich gewesen, und er habe immer wieder mit dem Schichtsteiger R. deswegen Differenzen gehabt. Erfolgreicher Ausdruck "seiner immer wiederholten Vorstellungen bei den Aufsichtspersonen, ihn wieder als Lehrhauer einzusetzen", sei es, daß er über November 1961 hinaus bis Mai 1965 von der Zeche nicht nur als Lehrhauer entlohnt, sondern als solcher auch durchgehend geführt und zeitweise auch eingesetzt worden sei. Während der verhältnismäßig kurzen Zeit von Mai bis November 1965 - Eintritt der Arbeitsunfähigkeit -, während welcher der Kläger von der Zeche als Grubenlokführer geführt, wenn auch - durch Gewährung einer Prämie - wie bisher entlohnt worden sei, habe der Kläger dieser Änderung "mit allem Nachdruck und unter Einschaltung des Betriebsrats widersprochen"; mit einer Änderungskündigung habe er sich im Gegensatz zu seinen ähnlich betroffenen Arbeitskollegen nicht einverstanden erklärt. Der Kläger habe die Angelegenheit dadurch so weit getrieben, daß ihm vom Betriebsführer eine Klärung in Aussicht gestellt worden sei. Zu dieser Klärung sei es nur wegen der Erkrankung des Klägers nicht mehr gekommen.
An diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden, es sei denn, die Beklagte hätte hiergegen zulässige und begründete Revisionsrügen vorgebracht. Das ist indessen nicht der Fall. Zwar hat die Beklagte vorgetragen, es sei "nach der Lebenserfahrung unwahrscheinlich", daß der Kläger nach dem im November 1961 auf betriebliche Anforderung vollzogenen Wechsel von der Tätigkeit des Lehrhauers zur Tätigkeit eines Grubenlokführers sich mit allem Nachdruck darum bemüht habe, wieder mit Gedingearbeiten beschäftigt zu werden; sein Bemühen sei "mit Sicherheit" allein darauf gerichtet gewesen, weiterhin als Lehrhauer entlohnt zu werden; ein Streben, Lehrhauerarbeiten verrichten zu können, hätte in dem Zeitraum von 1961 bis 1965 zweifellos Erfolg gehabt. Bei diesen Ausführungen der Beklagten handelt es sich jedoch nicht um verfahrensrechtlich beachtliche Angriffe gegen die vorstehend aufgeführten Feststellungen des LSG, sondern um eine für das Revisionsgericht unverbindliche andere Würdigung der Tatumstände und Beweismittel. Dem Vortrag der Beklagten könnte der Senat nur dann nähertreten, wenn sie gemäß § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG bezeichnet hätte, welche Verfahrensnorm das LSG bei der Feststellung des Sachverhalts ihrer Ansicht nach verletzt hat, und wenn sie außerdem die Tatsachen und Beweismittel angegeben hätte, die den Verfahrensmangel ergeben. In dieser Richtung ist dem Vortrag der Beklagten nichts zu entnehmen.
Ist aber der Senat an die Feststellung des LSG gebunden, daß sich der Kläger keineswegs mit dem vom Betrieb angeordneten Tätigkeitswechsel abgefunden und begründete Aussicht gehabt hat, in seinem Betrieb wieder als Lehrhauer beschäftigt zu werden, so läßt sich nach den eingangs gemachten rechtlichen Ausführungen nicht beanstanden, daß das LSG die vom Kläger bis November 1961 ausgeübte Berufstätigkeit eines Lehrhauers als Hauptberuf i. S. des § 45 Abs. 2 RKG angesehen hat.
Dem Hauptberuf des Klägers - Lehrhauer - sind die leichten körperlichen Arbeiten der Lohngruppen IV und V über Tage nach den vor dem 1. Juni 1971 geltenden Lohnordnungen für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau, welche er nach den Feststellungen des LSG auf Grund seiner erheblich geminderten gesundheitlichen Kräfte nur noch ausführen kann, nicht im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG. Darüber besteht unter den Beteiligten auch kein Streit. Nachdem der Kläger auch die Wartezeit für die Bergmannsrente erfüllt hat, hat ihm das LSG grundsätzlich zu Recht die Rente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit zugesprochen.
Indessen kann nicht übersehen werden, daß der Manteltarifvertrag für die Arbeiter des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus (ArbMTV) vom 16. Oktober 1967 durch einen Tarifvertrag vom 29. April 1971 mit Wirkung ab 1. Juni 1971 neu gefaßt und dadurch wesentlich geändert worden ist. Diese nach Erlaß des angefochtenen Urteils vorgenommene Neuordnung bezieht sich auch auf die Lohntafel und die Lohnordnung, die nach § 26 Abs. 1 Satz 2 ArbMTV Bestandteil des Manteltarifvertrages sind. Dabei besteht die Änderung der Lohnordnung nicht nur in einer Änderung der Lohnbeträge, sondern auch darin, daß Lohngruppen neu geschaffen und ihnen neue Tätigkeitsbilder zugeordnet worden sind. So findet sich nunmehr in der neuen Lohngruppe 04 über Tage der "Hilfsarbeiter im Transportwesen und im Magazin"; zugleich ist aber in der neuen Lohngruppe 06 der "Magazin- und Schrottplatzarbeiter" genannt. Während laut neuer Lohntafel der erstere 40,34 DM pro Schicht verdient, erhält der letztere 43,67 DM pro Schicht. Mit dem letztgenannten Verdienst liegt der Magazinarbeiter weniger als 20 v. H. unter dem Verdienst sogar des Hauers in der Gewinnung (Lohngruppe 10 unter Tage, 51,93 DM), so daß diese Tätigkeit der des Lehrhauers - dieser ist allerdings in der neuen Lohnordnung nicht mehr genannt - nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig wäre (vgl. z. B. SozR Nr. 37 zu § 45 RKG). Hiernach hat sich bei Vergleich mit der vor dem 1. Juni 1971 geltenden Lohnordnung das einheitliche Tätigkeitsbild "Magazinarbeiter" in zwei neue, lohnmäßig unterschiedlich bewertete Tätigkeitsbilder aufgespalten, wobei eine dieser Tätigkeiten die bislang nicht gegebene wirtschaftliche Gleichwertigkeit mit dem Lehrhauerberuf erreicht. Nach den Feststellungen des LSG kann aber der Kläger die Tätigkeiten eines Magazinarbeiters nach seinen gesundheitlichen Kräften noch verrichten; es ist jedoch nicht erkennbar, um welche Art von Magazinarbeiter es sich dabei handelt. Nach der neuen Lohnordnung findet sich nunmehr auch der Maschinenwärter in der Lohngruppe 06 über Tage; auch diese Tätigkeit wäre der vom Kläger bisher verrichteten Arbeit ab 1. Juni 1971 wirtschaftlich im wesentlichen gleichwertig. Wenn sie sich mit der nach den Feststellungen des LSG dem Kläger gesundheitlich zumutbaren Tätigkeit eines Motorenwärters - bislang Lohngruppe IV über Tage - decken sollte, könnte also der Kläger diese im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeit verrichten. Entsprechendes gilt für die Tätigkeiten eines Lampenstubenarbeiters, die das LSG dem Kläger gesundheitlich zumutet: Der Lampenstubenwärter befindet sich in der neuen Lohngruppe 06 über Tage. Hiernach wäre - vorbehaltlich der erforderlichen tatsächlichen Feststellungen im Einzelfall, etwa zu der Frage, wie die dem Kläger gesundheitlich zumutbaren Verweisungstätigkeiten in die Tätigkeitsbilder der neuen Lohnordnung einzuordnen sind - die Möglichkeit gegeben, daß der Kläger ab 1. Juni 1971 wieder fähig ist, Verrichtungen auszuführen, die der des Lehrhauers im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG sind, so daß verminderte bergmännische Berufsunfähigkeit von da an entfallen könnte.
Freilich vermag der Senat die Sache nur dann zu dem Zweck, die nach dem soeben Dargestellten notwendigen tatsächlichen Feststellungen nachzuholen, an das LSG zurückzuverweisen, wenn er die Änderung der Lohnordnung im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau ab 1. Juni 1971 vom Amts wegen zu beachten hat. Das ist aus folgenden Gründen zu bejahen:
Nach § 162 Abs. 2 des SGG kann die Revision nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf der Nichtanwendung oder unrichtigen Anwendung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt. Rechtsvorschrift in diesem Sinne ist jede Rechtsnorm. Zu den Rechtsnormen zählen nach § 1 des Tarifvertragsgesetzes (TVG) u. a. diejenigen Bestimmungen eines Tarifvertrages, die den Inhalt von Arbeitsverhältnissen betreffen. Zu ihnen wiederum gehören die Lohnordnungen für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau, die wie oben dargelegt Bestandteil des ArbMTV sind (vgl. dazu den Beschluß des erkennenden Senats vom 23. Dezember 1958 - 5 RKn 35/58 - in Soz. R. Nr. 9 zu § 35 RKG aF und BAG 1, 262). Da das Revisionsgericht die bei der Verkündung seiner Entscheidung geltenden Rechtsnormen anzuwenden, d. h. auch seit der Entscheidung des Berufungsgerichts eingetretene Rechtsänderungen zu berücksichtigen hat (BGHZ 9, 101 und im Anschluß hieran die allgemeine Meinung, vgl. Stein/Jonas, Komm. zur ZPO, 19. Aufl., Bd. 2, Anm. I bei § 549), hat der erkennende Senat grundsätzlich auch die ab 1. Juni 1971 eingetretenen Änderungen der Lohnordnung zu berücksichtigen. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn der ArbMTV seinen räumlichen Geltungsbereich nicht über den Bezirk des LSG Nordrhein-Westfalen erstrecken würde:
Das Revisionsgericht hat nicht revisibles Recht jedenfalls dann anzuwenden, wenn sich das Berufungsgericht über sein Bestehen und über seinen Inhalt nicht hatte aussprechen können, weil es erst nach Abschluß des Berufungsverfahrens in Kraft getreten ist (vgl. RGZ 152, 86; BGHZ 36, 348).
Die rechtliche Berücksichtigung der neuen Lohnordnung scheitert auch nicht daran, daß vor ihrem Inkrafttreten beim Kläger der Versicherungsfall der verminderten bergmännischen Berufsunfähigkeit bereits eingetreten war. Zwar werden Inhalt und Umfang sozialrechtlicher Ansprüche im wesentlichen durch den bei ihrer Entstehung gegebenen Tatbestand bestimmt, so daß Inhalt und Wirkung des Anspruchs nach dem Recht zu beurteilen sind, das zur Zeit des anspruchsbegründenden Ereignisses oder Umstandes gegolten hat, sofern nicht später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes vorschreibt (Maßgeblichkeit des zur Zeit des Versicherungsfalles geltenden Rechts, vgl. z. B. BSG 16, 178 und den erkennenden Senat in SozR Nr. 1 zu § 8 der 7. BKVO). Indessen bezieht sich die Maßgeblichkeit des Versicherungsfalles allein auf die den sozialversicherungsrechtlichen Versicherungsverhältnissen entspringenden öffentlich-rechtlichen Leistungsansprüche, nicht dagegen auf die Rechtstatsachen, die durch Rechtsnormen geschaffen werden, die außerhalb und unabhängig von sozialrechtlichen Versicherungsverhältnissen entstehen und bestehen; für sie gilt der zeitliche Geltungsbereich, den sie selbst sich beilegen. Da die ohne Bezug auf knappschaftliche Versicherungsverhältnisse am 29. April 1971 tarifvertraglich neu vereinbarte Lohnordnung ab 1. Juni 1971 alle Arbeitsverhältnisse erfaßt, die unter den sachlichen Geltungsbereich des ArbMTV fallen, ist von da an die durch sie bewirkte Änderung der Entlohnung von Arbeitern des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus bei der in § 45 Abs. 2 RKG gebotenen Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit einer zumutbaren anderen als der bisherigen knappschaftlichen Arbeit zu berücksichtigen.
Schließlich steht einer solchen Berücksichtigung auch nicht der Umstand entgegen, daß ein Anspruch des Klägers auf Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit im Mai 1968 bereits entstanden war. Da über den Leistungsanspruch des Klägers kein gemäß § 77 SGG Bindung in der Sache bewirkender Bescheid der Beklagten vorliegt, ist der zeitliche Umfang des Anspruchs nicht etwa nur im Rahmen der Vorschriften über eine Rentenentziehung (§ 86 Abs. 1 RKG), sondern uneingeschränkt dahin zu prüfen, ob zu einem bestimmten, bereits in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt seine sachlich-rechtlichen Voraussetzungen wieder entfallen sind (vgl. den erkennenden Senat in BSG 12, 204 = SozR Nr. 1 zu § 1631 RVO und Urteil vom 28.3.1973 - 5 RKn 26/71 -). Damit wäre das LSG nicht gehindert, den dem Kläger zuerkannten Anspruch etwa auf die Zeit bis zum Mai 1971 zu beschränken, falls ab 1. Juni 1971 wegen nunmehr wieder eingetretener wirtschaftlicher Gleichwertigkeit der noch gesundheitlich zumutbaren Arbeiten verminderte bergmännische Berufsfähigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG in der Person des Klägers nicht mehr gegeben sein sollte.
Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es den Anspruch des Klägers auf Bergmannsrente ab 1. Juni 1971 betrifft. In diesem Umfang war die Sache gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG an das LSG zurückzuverweisen, das nun - gegebenenfalls nach Anhörung berufs- oder tarifkundlicher, möglicherweise aber auch medizinischer Sachverständiger - die tatsächlichen Feststellungen darüber zu treffen hat, ob der Leistungsanspruch des Klägers im Hinblick auf die genannte neue Lohnordnung auch ab 1. Juni 1961 noch gegeben ist. Im übrigen war die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Zugleich war die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorzubehalten.
Fundstellen