Entscheidungsstichwort (Thema)
Übergangsleistung nach BKVO 7 § 3 Abs 2 bei Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Anspruch auf eine in Dauer und Höhe innerhalb der Grenzen des BKVO 7 § 3 vom Unfallversicherungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen festzusetzende Übergangsleistung hat auch der Versicherte, der nach Aufgabe der ihn gefährdenden eine neue Tätigkeit noch nicht aufgenommen hat.
Orientierungssatz
Dem Anspruch des Versicherten auf eine Ausgleichsrente nach BKVO 7 § 3 Abs 2 steht nicht entgegen, daß er infolge seiner Berufskrankheit in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Maler auch nach Aussteuerung mit den Leistungen der Krankenversicherung nach wie vor arbeitsunfähig und somit krank iS der Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung ist.
Normenkette
BKVO 7 § 3 Abs 2 Fassung: 1968-06-20
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 07.06.1978; Aktenzeichen L 2 Va 304/77) |
SG Heilbronn (Entscheidung vom 12.01.1977; Aktenzeichen S 6 U 79/74) |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger eine Übergangsleistung zu gewähren hat. Der 1915 geborene Kläger erkrankte 1965 an Hauterscheinungen, die im September 1969 erstmals als Kontaktallergie gegen Terpentin, Terpentinersatz, Abbeizfluid, Chrom und alkalihaltige Reinigungsmittel erkannt wurde und die Aufgabe des bis dahin ausgeübten selbständigen Malerberufs erforderlich machten. Am 1. November 1971 stellte er wegen dieser Hauterkrankung seinen Betrieb ein; gleichzeitig meldete er sein Gewerbe ab. Seit dem 1. März 1972 bezieht er aus der Arbeiterrentenversicherung Rente wegen Berufsunfähigkeit.
Die Beklagte gewährte dem Kläger durch Bescheide vom 26. Oktober 1973 und 20. August 1975 Verletztenrente ab 27. März 1973 - nach Wegfall des Verletztengeldes - und zwar bis zum 9. September 1974 die Vollrente und sodann 30 vH der Vollrente. Durch Bescheid vom 17. Dezember 1974 lehnte sie es ab, dem Kläger wegen Aufgabe seines Geschäfts eine Übergangsleistung nach § 3 Abs 2 der 7. Berufskrankheitenverordnung (BKVO) zu gewähren, da er seit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 27. März 1973 am Erwerbsleben nicht mehr teilgenommen habe, so daß ihm auch kein Minderverdienst iS des § 3 Abs 2 der 7. BKVO auszugleichen sei.
Das Sozialgericht (SG) Heilbronn hat in einem gegen den Bescheid vom 17. Dezember 1974 gerichteten Schreiben des Klägers vom 11. Januar 1975 eine Klage erblickt und diese mit derjenigen gegen den Bescheid vom 26. Oktober 1973 verbunden. Durch Urteil vom 12. Januar 1977 hat es - unter Abweisung der Klage im übrigen und unter Zulassung der Berufung - die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Übergangsleistung nach § 3 Abs 2 der 7. BKVO zu gewähren.
Die Berufung der Beklagten und die unselbständige Anschlußberufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg durch Urteil vom 7. Juni 1978 unter Zulassung der Revision "hinsichtlich der Berufung der Beklagten" zurückgewiesen.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 3 Abs 2 der 7. BKVO.
Sie beantragt, unter Abänderung der Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 7. Juni 1978 und des Sozialgerichts Heilbronn vom 12. Januar 1977 die Klage in vollem Umfang abzuweisen; hilfsweise, unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 7. Juni 1978 soweit es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen habe, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist zulässig. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Bundessozialgericht (BSG) gem § 160 Abs 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an jedwede Beschränkung der Revisionszulassung gebunden ist. Wie der Zulassungsbegründung zu entnehmen ist, hat das LSG die Revision hinsichtlich des Anspruchs auf Übergangsleistungen zugelassen, weil es der Frage grundsätzliche Bedeutung beigemessen hat, ob Übergangsleistungen auch bei Wegfall jeden Arbeitseinkommens zu gewähren sind. Eine Beschränkung der Rechtsmittelzulassung auf einen bestimmten Anspruch ist nach der Rechtsprechung des BSG möglich (BSGE 3, 135).
Die Revision ist jedoch nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.
Die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Übergangsleistung gem § 3 Abs 2 der 7. BKVO, wonach Art und Höhe der Leistung dem Ermessen der Beklagten überlassen sind, wäre nur dann als rechtswidrig aufzuheben, wenn entweder die von der Beklagten vermißte oder eine andere Voraussetzung dieser Leistung fehlen würde. Das trifft jedoch nicht zu.
Nach § 3 Abs 2 der BKVO in der hier maßgeblichen Fassung vom 20. Juni 1968 (BGBl I S 721) hat der Träger der Unfallversicherung dem Versicherten unter den hier und in Abs 1 der Vorschrift näher umschriebenen Voraussetzungen eine Übergangsleistung zu gewähren. Erste Voraussetzung hierfür ist die Gefahr, daß beim Versicherten eine Berufskrankheit entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert. Da beim Kläger die durch Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 1973 anerkannte Berufskrankheit Nr 46 der Anlage zur 7. BKVO ab dem 6. November 1971 vorhanden war, bestand für ihn die Gefahr, daß sich diese Berufskrankheit verschlimmerte. Auch die weitere Voraussetzung, daß die Gefahr für den Versicherten nur durch Einstellung seiner Tätigkeit zu beseitigen ist (§ 3 Abs 1 Satz 2 iVm Abs 2 Satz 1 der 7. BKVO), war nach den Gründen des Bescheides vom 26. Oktober 1973 erfüllt. Dies bezweifelt die Beklagte auch nicht. Sie meint jedoch, dem § 3 Abs 2 Satz 1 der 7. BKVO als weitere Leistungsvoraussetzung eine Minderung des Verdienstes entnehmen zu müssen, die sich nur aus dem Vergleich des Verdienstes in der gefährdenden und deshalb aufgegebenen Tätigkeit einerseits mit dem Verdienst in einer neuen, den Versicherten nicht gefährdenden Tätigkeit andererseits ergeben könne. Dem vermag der Senat jedoch nicht zuzustimmen.
Der Zweck der Übergangsleistung besteht darin, den Versicherten zur Aufgabe der ihn gefährdenden Tätigkeit zu veranlassen (BSGE 40, 146, 150). Dazu wird ihm ein zeitlich auf die Dauer von fünf Jahren begrenzter Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile angeboten und gewährt, die ihm durch die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit entstehen. Schon vom Zweck der Leistung her ist somit die Auffassung der Beklagten nicht haltbar. Denn der Zweck der Leistung ist nicht etwa darauf gerichtet, den Versicherten zur Aufnahme einer neuen Tätigkeit zu zwingen. Er besteht vielmehr, wie bereits dargelegt, darin, den Versicherten zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zu bewegen (vgl hierzu: Lauterbach, Die Entwicklung der deutschen Reichsunfallversicherung, 1950, S 178 und Noeske-Trachte BG 1970 S 107, 110,111, 113).
Aber auch aus dem Begriff der "Minderung des Verdienstes", die darauf beruht, daß der Versicherte die gefährdende Tätigkeit einstellt, ist die Auffassung der Beklagten nicht zu rechtfertigen. Stellt der Versicherte gem § 3 Abs 2 der 7. BKVO die ihm gefährdende Tätigkeit ein, so entfällt damit auch der aus dieser Tätigkeit fließende Verdienst. Diese Folge tritt in jedem Fall ein, und zwar auch dann, wenn etwa der Versicherte beim selben Arbeitgeber im unmittelbaren Anschluß an die Aufgabe der ihn gefährdenden Tätigkeit eine andere Tätigkeit aufnimmt, die ihn nicht gefährdet, aber einen geringeren Verdienst erbringt. Auch hier verliert der Versicherte den Verdienst aus der ihn gefährdenden bisherigen Tätigkeit vollständig. Er ist nur in der Lage, diesen Verlust weitgehend durch den Verdienst aus der neuen, ihn nicht gefährdenden, aber geringer bezahlten Tätigkeit auszugleichen. Deshalb hat das LSG in den Gründen des angefochtenen Urteils mit Recht darauf hingewiesen, daß es nicht der Sinn des § 3 der 7. BKVO ist, nur den weniger hart betroffenen Versicherten eine Übergangsleistung zu gewähren, die nach dem durch die Berufskrankheit bedingten Verlust ihrer bisherigen Tätigkeit und ihres bisherigen Verdienstes eine neue Tätigkeit mit einem geringeren Verdienst erlangt haben, während diejenigen Versicherten, die nach dem Verlust ihrer bisherigen Tätigkeit durch die Berufskrankheit keine anderweitige Tätigkeit und damit auch keinen anderweitigen Verdienst erlangen, übergangslos von ihrem zuvor innegehabten wirtschaftlichen Status auf den durch die Berufskrankheit bedingten Status des Erwerbslosen absinken. Gerade das übergangslose Absinken im wirtschaftlichen Status soll nämlich die Übergangsleistung vermeiden. Sie ist darauf angelegt, innerhalb eines Zeitraums von bis zu fünf Jahren durch vollständigen bis teilweisen Ausgleich der infolge Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit entstehenden wirtschaftlichen Nachteile von der wirtschaftlichen Situation vor Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zu der danach eintretenden wirtschaftlichen Situation des Versicherten überzuleiten. Der Versicherte muß versuchen, innerhalb dieser Zeit - unterstützt durch die Übergangsleistungen - seinen wirtschaftlichen Status so zu gestalten, daß er - gegebenenfalls zusammen mit der ihm gewährten Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit - wieder das Niveau vor Auftreten der Berufskrankheit erreicht. Gelingt ihm das nicht, so vermag ihn die Übergangsleistung nach Ablauf der hierfür vorgesehenen Dauer von fünf Jahren nicht mehr davor zu bewahren, daß er auf einen wirtschaftlich niedrigeren Stand absinkt (vgl hierzu: Wendlang BABl 1968 S 549, 551; Metz, Sozialversicherung 1951, 36).
Offenbleiben kann, ob - wie die Beklagte meint - die in § 3 Abs 2 Satz 1 der 7. BKVO genannten "sonstigen wirtschaftlichen Nachteile" der Umschreibung derjenigen wirtschaftlichen Nachteile dienen, die außerhalb einer Minderung des Verdienstes mit der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit verbunden sind. Denn hier kommt es auf diese Abgrenzung nicht an.
Innerhalb der Höchstdauer und der Höchstbeträge einer Übergangsleistung, die die Beklagte bei den hier gegebenen Grundvoraussetzungen der Leistung zu gewähren hat, obliegt es ihr, durch pflichtgemäße Ausübung des am Zweck der Übergangsleistung zu orientierenden Ermessens den Versicherten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls bei der Festigung seiner sich nach Aufgabe der bisherigen Tätigkeit wandelnden wirtschaftlichen Situation zu stützen und - wenn das unvermeidlich erscheint - ihm einen allmählichen Übergang auf das nun niedrigere wirtschaftliche Niveau zu verschaffen. Für diese Erwägungen werden sicher auf die Arbeitsmarktlage zu nehmende Rücksichten, ebenso aber auch das Verhalten des Versicherten in bezug auf ihm angebotene Tätigkeiten sowie die Gründe erheblich sein müssen, aus denen sich der Versicherte nicht zur Übernahme solcher Tätigkeiten zu entschließen vermag. Erwägungen dieser Art hat jedoch die Beklagte bislang nicht angestellt; für den Senat besteht deshalb auch keine Notwendigkeit einer gerichtlichen Ermessensüberprüfung (vgl § 54 Abs 2 Satz 2 SGG).
Dem Anspruch des Klägers auf eine Ausgleichsleistung steht auch nicht entgegen, daß er infolge seiner Berufskrankheit in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Maler auch nach Aussteuerung mit den Leistungen der Krankenversicherung nach wie vor arbeitsunfähig und somit krank iS der Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Der 5. Senat des BSG hat zwar in seinem Urteil vom 10. September 1971 - 5 RKnU 16/69 - (BSGE 33, 134, 136) zu der ähnlichen Bestimmung des § 5 der 3. BKVO ausgeführt, von dieser speziellen Regelung würden nur die Fälle erfaßt, in denen der Versicherte nicht arbeitsunfähig iS der Krankenversicherung sei. Indes hat der 5. Senat diese Rechtsauffassung im Urteil vom 22. August 1975 - 5 RKnU 5/74 - (BSGE 40, 146, 149) nicht mehr aufrecht erhalten; dort hat er nämlich den Anspruch auf eine Übergangsleistung bejaht, obwohl der Versicherte - wenn auch durch eine silikoseunabhängige Herzerkrankung - arbeitsunfähig geworden war. Angesichts der Tatsache, daß das Krankengeld regelmäßig den letzten Nettoverdienst erreichen wird (vgl § 182 Abs 4 Satz 1 Reichsversicherungsordnung -RVO-), wird zwar während der Bezugsdauer des Krankengeldes - in der Unfallversicherung des Übergangsgeldes (vgl § 560 RVO) - beim Vergleich des Verdienstes aus der aufgegebenen gefährdenden Tätigkeit mit dem hierfür gewährten Lohnersatz des Krankengeldes oder des Übergangsgeldes kaum eine Minderung des Verdienstes verbleiben, die eine Übergangsleistung zuläßt. Nach Aussteuerung mit dem Krankengeld oder mit dem Wegfall des Übergangsgeldes (vgl § 562 RVO) ist jedoch die durch Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit bedingte Verdienstminderung als Voraussetzung einer Übergangsleistung nach § 3 Abs 2 der 7. BKVO erfüllt. Der Kläger hat somit, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, Anspruch auf eine nach dem Ermessen der Beklagten im einzelnen festzusetzende Ausgleichsleistung innerhalb der Höchstdauer des § 3 Abs 2 der 7. BKVO (zur Berechnung der Höchstdauer vgl BSG SozR Nr 1 zu § 9 der 7. BKVO - Urteil vom 15. Dezember 1971 - 5 RKnU 9/70 -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 40 |
Breith. 1981, 36 |