Leitsatz (amtlich)
1. Der für die Berechnung des Übergangsgeldes maßgebende (RVO § 1241 Abs 1 idF des RehaAnglG) Bemessungszeitraum (RVO § 182 Abs 4 und 5 idF des RehaAnglG) kann nicht, wenn das für den Betreuten günstiger ist, über einen Monat hinaus ausgedehnt werden.
2. Ein Fall unbilliger Härte (RVO § 1241a Abs 2 S 1 Nr 3 idF des RehaAnglG) ist nicht schon gegeben, wenn das der Berechnung des Übergangsgeldes zugrunde zu legende Entgelt des Betreuten im Bemessungszeitraum um etwa 8 vH unter dem Entgelt im Durchschnitt des ganzen letzten Jahres vor Beginn der Maßnahme liegt.
Normenkette
RVO § 1241 Abs. 1 Fassung: 1974-08-07, § 182 Abs. 4 Fassung: 1974-08-07, Abs. 5 Fassung: 1974-08-07, § 1241a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 26.05.1976; Aktenzeichen L 6 J 222/75) |
SG Berlin (Entscheidung vom 21.10.1975; Aktenzeichen S 25 J 2542/74) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 26. Mai 1976 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Im Rechtsstreit geht es um die Frage, ob das Übergangsgeld (§ 1241 Reichsversicherungsordnung - RVO -) nach dem Lohn für den letzten abgerechneten Monat oder, wenn das für den Betreuten günstiger ist, nach dem Lohn für einen längeren Zeitraum zu berechnen ist; weiter geht es um die Auslegung des Begriffs "unbillig hart" in § 1241a Abs 2 Nr 3 RVO.
Der im Jahr 1940 geborene Kläger, der bei der Beklagten in der Rentenversicherung der Arbeiter versichert ist, war zunächst als gelernter Kraftfahrzeughandwerker tätig und nach einem Arbeitsunfall von 1965 bis August 1973 als Zeitungsfahrer beschäftigt. Er bezog in der Zeit von September 1972 bis August 1973 Bruttomonatslöhne zwischen 1.163,84 DM (Februar 1973) und 2.701,74 DM (November 1972). Der Lohn für August 1973 betrug 1.535,25 DM brutto oder 1.061,36 DM netto. In der Lohnbescheinigung vom 29.Juli 1974 hat der Arbeitgeber die Frage "Wird das Arbeitsentgelt als Monatsgehalt oder als fester Monatslohn gezahlt?" bejaht. Nach dem Vortrag der Beklagten bestand der Monatslohn aus einem monatlichen Fixum und Provision. Vom 3. September 1973 bis 31. Dezember 1975 nahm der Kläger an einer Ausbildung zum Katecheten teil, die von der Beklagten als Maßnahme der Berufsförderung bewilligt worden war. Die Beklagte zahlte ihm Übergangsgeld.
Mit Bescheid vom 9. Oktober 1974 berechnete die Beklagte für die Zeit vom 1. Juli 1974 an das Übergangsgeld neu aufgrund der §§ 1240 ff RVO in der am 1.Oktober 1974 - zu einem Teil nach § 45 Abs 2 aber schon am 1. Juli 1974 - in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7.August 1974 (BGBl I 1881). Dabei legte sie als Bemessungszeitraum den Monat August 1973 zugrunde. Da das aus dem Regellohn errechnete Übergangsgeld höher war als das entgangene regelmäßige Nettoarbeitsentgelt, setzte sie dieses als Übergangsgeld (35,38 DM täglich) fest, gewährte aber das bisherige Übergangsgeld in Höhe von 35,90 DM weiter. Zum 1. September 1974 paßte sie das Übergangsgeld nach § 1241c RVO an. Weitere Bescheide ergingen am 10. Juni und 4. September 1975.
Mit der Klage erstrebt der Kläger für die Zeit vom 1. Juli 1974 an ein höheres Übergangsgeld. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat mit Urteil vom 21. Oktober 1975 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 26. Mai 1976 die Berufung des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Das Übergangsgeld sei richtig berechnet worden. Weder gebe das Gesetz für die Rechtsansicht des Klägers, das Übergangsgeld müsse aus dem Durchschnitt des Entgelts für September 1972 bis August 1973 berechnet werden, einen Anhaltspunkt, noch liege eine unbillige Härte im Sinne des § 1241a Abs 2 Satz 1 Nr 3 RVO vor.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger die falsche Auslegung der §§ 182 Abs 5 und 1241a Abs 2 RVO. Er beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 26. Mai 1976 und des Sozialgerichts Berlin vom 21. Oktober 1975 aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 9. Oktober 1974, 10. Juni 1975 und 4. September 1975 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Juli 1974 an ein höheres Übergangsgeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die angefochtenen, die Berechnung des Übergangsgeldes betreffenden Bescheide sind, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, zu Recht nach dem Bemessungszeitraum August 1973 und ohne Berücksichtigung einer "unbilligen Härte" ergangen. Die sich darauf beziehenden Einwendungen des Klägers gegen die Bescheide sind nicht gerechtfertigt. Im übrigen wird die Berechnung des Übergangsgeldes nicht angegriffen.
Für die Bemessung des Übergangsgeldes gelten bei einem Betreuten, der - wie der Kläger - vor Beginn der Maßnahme gegen Arbeitsentgelt versicherungspflichtig beschäftigt war, ua § 182 Abs 4 und 5 RVO (§ 1241 Abs 1 Satz 1 RVO idF des RehaAnglG, die durch das Einführungsgesetz zum Einkommensteuerreformgesetz, EG-EStRG, vom 21.Dezember 1974, BGBl I 3656, nur redaktionell geändert worden ist). Das Übergangsgeld beträgt also 80 (bzw 82 oder 85) vH des Regellohnes, darf aber das entgangene regelmäßige Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen. Für die Berechnung des Regellohnes gibt § 182 Abs 5 RVO genauere Anweisungen. Diese greifen aber hier nicht ein, da nach § 182 Abs 4 Satz 1 RVO das - niedrigere - Nettoarbeitsentgelt maßgebend ist. Lediglich für die Frage, aus welchem Zeitraum "das entgangene regelmäßige Nettoarbeitsentgelt" zu berechnen ist, muß die in Abs 5 enthaltene, an sich nur für den Regellohn geltende Vorschrift übernommen werden, daß - bei nach Monaten bemessenem Entgelt - der letzte vor Beginn der Maßnahme abgerechnete Kalendermonat als "Bemessungszeitraum" Grundlage der Berechnung ist (Kugler, Das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation, Anm zu § 18 Angestelltenversicherungsgesetz - AVG -, S.61; Jung/Preuß, Rehabilitation, 2.Aufl, Anm 17 zu § 13 RehaAnglG; vgl auch die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über die Angleichung der Leistungen in der Rehabilitation, Teil B, § 13 Abs 2, Bundestags-Drucksache 7/1237, S. 59). Dabei gelten Satz 1 und 2 des § 182 Abs 5 RVO für Versicherte, deren Arbeitsentgelt sich einer Stundenzahl zuordnen läßt, und Satz 3 für Versicherte, deren Entgelt nach Monaten bemessen ist oder bei denen eine Berechnung nach Satz 1 und 2 nicht möglich ist (Kugler, aaO, S. 62).
Das Gesetz enthält keine Vorschrift für den schwankenden Arbeitslohn (vgl für das schwankende Einkommen der Selbständigen: BSGE 23, 129, 135), insbesondere nicht dahin, daß unter bestimmten Voraussetzungen nicht der letzte Kalendermonat maßgebend sein soll, sondern die 3 oder (wie zB § 1241 Abs 2 Satz 2 RVO idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG -) 12 letzten Kalendermonate. Auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hat keine allgemeinen Regeln dafür aufgestellt; der 11. Senat hat allerdings offengelassen, ob "schwankende Bezüge" eine Erweiterung des Bemessungszeitraumes rechtfertigen können (Urteil vom 10. Mai 1977 - 11 RA 110/76 - SozR 2200 § 1241 Nr 4).
Das BSG hat zum Regellohn ausgeführt, zu den "sich aus dem Inhalt des Arbeitsverhältnisses ergebenden regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden" (§ 182 Abs 5 Satz 4 RVO idF des Gesetzes vom 12. Juli 1961, BGBl I 913) gehörten auch Überstunden, die mindestens während der letzten abgerechneten drei Monate regelmäßig geleistet worden seien, auch wenn die Zahl der auf die einzelnen Abrechnungszeiträume entfallenden Überstunden geschwankt habe; maßgebend sei dann der wöchentliche Durchschnitt (Urteil vom 23. Januar 1973 - 3 RK 22/70 - BSGE 35, 126, 128 = SozR Nr 57 zu § 182 RVO). Die Entscheidung bezieht sich aber auf die Berechnung des Regellohnes, nicht wie hier auf die Feststellung des regelmäßigen Nettoarbeitsentgelts, in diesem Rahmen auf die "regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden" bei Versicherten, deren Entgelt nicht nach Monaten bemessen ist, und schließlich auf die Berücksichtigung von Überstunden und nicht wie hier auf die Einbeziehung von schwankenden Provisionen; sie behandelt auch in erster Linie nicht die Frage, wie Schwankungen von Überstunden auszugleichen sind, sondern das Problem, ob Überstunden überhaupt zu den regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden gehören können. Deshalb hat sie für die hier zu entscheidende Frage keine unmittelbare Bedeutung.
Allerdings hatte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), wie sie dem Senat auf Anfrage mitgeteilt hat und wie sich auch aus dem Urteil vom 10. Mai 1977 ergibt, bei Betreuten, die schwankende Monatsbezüge erhalten, bei denen sich also "das Arbeitsentgelt aus einem festen geringen Grundbetrag (Fixum) und im wesentlichen auch aus anderen von dem Erfolg der Arbeit abhängigen Entgeltteilen, wie Provisionen und Abschlußprämien, deren Höhe naturgemäß von Monat zu Monat erheblichen Schwankungen unterliegt", zusammensetzt, die - mindestens gelegentliche - Praxis, "den durchschnittlichen Arbeitsverdienst von drei Kalendermonaten" zugrunde zu legen. Das tat sie aus der Überlegung, "daß es in Fällen dieser Art ungerechtfertigt wäre, den Regellohn allein aus dem Lohnabrechnungszeitraum von einem Monat abzuleiten, weil dies häufig zu unbilligen Härten und zu einem dem Sinn und Zweck des § 182 Abs 4 und 5 entgegenstehenden Zufallergebnis führen würde". Diese Praxis war jedoch bedenklich (vgl dazu auch das Urteil vom 30. Mai 1978 - 1 RA 61/77 -, S.9, wonach das Übergangsgeld nach § 18 Abs 1 AVG = § 1241 Abs 1 RVO aus den letzten vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahme abgerechneten vier Wochen bzw. dem letzten abgerechneten Kalendermonat festzustellen ist).
Der Senat hält es nicht für erforderlich, im Wege der Auslegung oder Rechtsfortbildung eine Ausdehnung des Bemessungszeitraumes von einem Monat auf drei oder mehr Monate zuzulassen. Einerseits ist der Gesetzestext eindeutig und andererseits besteht auch kein Bedürfnis für eine derartige Ausdehnung. Denn für den Fall, daß sich wegen besonderer Verhältnisse im Bemessungszeitraum ein wesentlich zu niedriges Nettoarbeitsentgelt und damit ein wesentlich zu niedriges Übergangsgeld ergibt, das dem Betreuten nicht zugemutet werden kann, trifft die Billigkeitsregelung des § 1241a Abs 2 Satz 1 Nr 3 RVO genügende Vorsorge. Soweit die Revision also die falsche Anwendung des § 1241 RVO rügt, ist sie unbegründet.
Die Revision beanstandet weiter, daß das Berufungsgericht die Berechnung des Übergangsgeldes nicht als "unbillig hart" im Sinne des § 1241a Abs 2 Satz 1 Nr 3 RVO idF des RehaAnglG angesehen hat. Nach dieser Vorschrift wird das Übergangsgeld nach der Anlage zum Fremdrentengesetz (FRG) berechnet, wenn ua "es unbillig hart wäre, das Arbeitsentgelt nach § 1241 Abs 1 der Bemessung des Übergangsgeldes zugrunde zu legen". Das Übergangsgeld beträgt dann den 450. Teil des Betrages, der sich bei entsprechender Anwendung der Anlagen des FRG für das bei Beginn der Maßnahme zuletzt angegebene Kalenderjahr ergibt. Da bei Beginn der Maßnahme (3. September 1973) in der Anlage 5 zum FRG (durchschnittliche Bruttojahresarbeitsentgelte der männlichen Versicherten der Rentenversicherung der Arbeiter) das Kalenderjahr 1971 zuletzt angegeben war (eingeführt durch § 8 der RV-Bezugsgrößenverordnung 1973 vom 6. Dezember 1972, BGBl I 2302), ergibt sich bei der Abteilung "Arbeiter außerhalb der Land- und Forstwirtschaft" in der Leistungsgruppe 1, weil der Kläger ohne seine Behinderung (arg § 1241a Abs 2 Satz 2 RVO) als gelernter Handwerker beschäftigt sein könnte, ein Betrag von 17.304,- DM. Der 450. Teil ergibt einen Übergangsgeldanspruch von 38,45 DM, der 108,7 % des aus dem Nettoarbeitsentgelt berechneten Übergangsgeldes (35,38 DM) beträgt.
Die Revision bleibt auch insoweit erfolglos. Dabei mag einerseits dahinstehen, in welchem Umfang die vom Versicherungsträger vorgenommene Beurteilung eines unbestimmten Rechtsbegriffs wie zB unbillige Härte von den Gerichten allgemein nachgeprüft werden kann (die neuere Rechtsprechung des BSG ist hier nicht einheitlich: der 7. Senat tritt für eine gewisse Selbständigkeit der Verwaltung ein, BSGE 38, 138, 143/144 und SozR 4100 § 36 Nr 14, der 12. Senat dagegen mehr für eine weitgehende Nachprüfbarkeit, BSGE 43, 153, 158 und SozR 2200 § 313a Nr 5; vgl auch BVerwG in Buchholz 436.0 § 91 BSHG Nr 4), und andererseits, ob die Nachprüfungsmöglichkeit des Revisionsgerichts zusätzlich eingeschränkt ist (vgl Meyer-Ladewig, SGG, Anm 8 zu § 162 SGG; Peters/Sautter/Wolff, SGG, Anm 6 aE zu § 162 SGG, S. III/80-90/91; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 36. Aufl Anm 2 "Einordnung unter die Norm" zu § 550 ZPO; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 20. Aufl § 549 RdNrn 18 bis 27; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 12.Aufl § 144 V 2; Eyermann/Fröhler, VwGO, 7. Aufl, RdNr 9 zu § 137 VwGO). Denn der Senat müßte, auch wenn er die vom Berufungsgericht vorgenommene Beurteilung einer etwaigen Härte vollständig nachzuprüfen hätte, sich dem angefochtenen Urteil anschließen. Der Bruttolohn für August 1973 entsprach etwa dem Durchschnittsbruttolohn des Klägers. Der aus den Löhnen für die Zeit von September 1972 bis August 1973 (ohne die einmalige Zuwendung in Form der freiwerdenden betrieblichen Altersversorgung in Höhe von 3.000,- DM, vgl § 182 Abs 5 Satz 1 RVO) errechnete Monatsdurchschnitt betrug 1.668,59 DM. Der Lohn des Klägers für August 1973 lag nur um 8 % unter diesem Durchschnittswert. Von einem "wesentlich geringeren" Arbeitsverdienst, der nach Kugler aaO Anm zu § 1241a Abs 2 Nr 3 RVO Voraussetzung für die Annahme einer unbilligen Härte ist, kann keine Rede sein.
Die Revision des Klägers war als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen