Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I
Die Beklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung zur Erteilung eines neuen Bescheides über die Gewährung von Kraftfahrzeughilfe (Kfz-Hilfe) an den Kläger.
Der am 8. Juli 1957 geborene Kläger leidet an einer seltenen Stoffwechselerkrankung, die zu einer Störung am peripheren und zentralen Nervensystem führt. Er konnte aufgrund einer fortgeschrittenen spastischen Paraparese mit außergewöhnlicher Geh- und Stehbehinderung nur ca 10 Meter ohne Zuhilfenahme einer Gehhilfe laufen, für größere Strecken benötigte er einen Rollstuhl. Seit Dezember 1988 bezog er eine - zum 1. Januar 1992 in eine Erwerbsunfähigkeitsrente umgewandelte - DDR-Bergmannsinvalidenrente. Seinen noch während seines Beschäftigungsverhältnisses als Elektromonteur gestellten Antrag auf Gewährung einer Kfz-Hilfe lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 3. September 1991 (am 5. September 1991 abgesandt) ab, weil sein maßgebliches Nettoeinkommen bei Antragstellung am 10. Januar 1991 die Einkommensgrenze überschritten habe. Am 6. September 1991 schloß der Kläger dann einen Kaufvertrag über einen Personenkraftwagen ab, welcher am 24. März 1992 auf ihn zugelassen wurde. Seit dem 1. Oktober 1991 war er arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld. Am 10. Januar 1992 beantragte der Kläger im Hinblick auf eine ab 2. März 1992 in E. geplante, dann aber nicht angetretene Umschulung zum Fremdsprachensekretär erneut Kfz-Hilfe. Dies lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 24. August 1992 mit der Begründung ab, mit der Kfz-Hilfe könne der Eintritt von Erwerbsunfähigkeit nicht mehr abgewendet werden. Mit Bescheiden vom 24. Februar 1993 bewilligte die Beklagte dem Kläger als berufsfördernde Maßnahme zur Rehabilitation eine Umschulung zum Sozialversicherungsfachangestellten, Fachrichtung Rentenversicherung, für die voraussichtliche Dauer von 24 Monaten ab dem 2. August 1993 sowie ab dem 13. April 1993 eine dreimonatige Vorschulung. Die Maßnahmen erfolgten im Internat des Berufsförderungswerkes H.
Den Widerspruch des Klägers gegen die Ablehnung der Kfz-Hilfe wies die Beklagte auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich bewilligten berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 1993 zurück; der Kläger sei zur Durchführung der Maßnahmen im Internat des Berufsförderungswerkes untergebracht und benötige das Kraftfahrzeug nur für Familienheimfahrten. Insgesamt sei er damit nicht auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen, um den Ort der berufsfördernden Maßnahmen zu erreichen. Auch die Klage vor dem Sozialgericht (SG) Halle blieb erfolglos (Urteil vom 26. Mai 1994).
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen (Urteil vom 14. September 1995). Der Kläger sei wegen seiner Behinderung auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen, weil es für Rollstuhlfahrer wie ihn praktisch ausgeschlossen sei, mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Sachsen-Anhalt nach H. zu kommen.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 9 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG), der §§ 1 und 3 Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV) sowie der §§ 9 und 16 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI). Für die Frage, ob der Behinderte auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen sei, um seinen Arbeits- oder Ausbildungsort oder den Ort einer sonstigen Maßnahme der beruflichen Bildung zu erreichen, komme es auf die an den Arbeitstagen genutzte Wohnung an. Die Benutzung des Kraftfahrzeugs nur für Familienheimfahrten erfülle nicht den Tatbestand des "Angewiesenseins" auf ein Kraftfahrzeug.
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 14. September 1995 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 26. Mai 1994 zurückzuweisen. |
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Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten (§ 166 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist begründet.
Die Ablehnung der Kfz-Hilfe durch den angefochtenen Bescheid vom 24. August 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 1993 ist rechtmäßig.
Die Vorinstanzen sind insoweit übereinstimmend und zutreffend davon ausgegangen, daß über den vorliegenden Antrag auf Gewährung von Kfz-Hilfe im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG befunden wird (sog Verpflichtungsbescheidungsklage: Bundessozialgericht [BSG] vom 16. November 1993, SozR 3-5765 § 10 Nr. 1 S. 2f.), weil der Beklagten bei der Anwendung der Vorschriften zur Kfz-Hilfe, hier Kfz-Hilfe als berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation, ein Handlungs- und Auswahlermessen zusteht (vgl. BSG a.a.O. S. 3f. m.w.N.). Der Versicherte hat keinen Anspruch auf eine bestimmte Leistung (§ 54 Abs. 4 SGG), sondern nur Anspruch auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch - Allgemeiner Teil - [SGB I]), dies aber auch nur dann, wenn die rechtlichen Voraussetzungen für die Ermessensbetätigungspflicht vorliegen (vgl. BSG vom 15. Dezember 1994, SozR 3-5765 § 10 Nr. 3 S. 16 m.w.N.). Hieran fehlt es, weil der Antrag am 10. Januar 1992 erst nach dem Abschluß des Kaufvertrages vom 6. September 1991 aufgrund eines später eingetretenen Bedarfs gestellt worden ist.
Die vom Kläger begehrte Kfz-Hilfe findet ihren Rechtsgrund in den Vorschriften über die berufliche Rehabilitation in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 16 SGB VI i.V.m. § 1 KfzHV vom 28. September 1987, BGBl. I 2251, zuletzt geändert durch Verordnung vom 30. September 1991, BGBl. I 1950). Die KfzHV beruht auf der Ermächtigungsgrundlage in § 9 Abs. 2 RehaAnglG, nach der die Bundesregierung zur Rechtsetzung im Rahmen der für die Rehabilitationsträger geltenden besonderen gesetzlichen Vorschriften befugt ist (BSG vom 16. November 1993, SozR 3-5765 § 1 Nr. 1 S. 3). Dient ein Kfz, für dessen Anschaffung der Zuschuß (§ 6 Abs. 1 KfzHV) bestimmt sein soll, wie hier den Fahrten von der Wohnung zum Ausbildungsort einer Umschulung im Rahmen berufsfördernder Leistungen zur Rehabilitation gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI, dann bestimmt sich danach auch die rechtliche Qualifizierung der Kfz-Hilfe. Sie richtet sich nach dem Zweck, zu dem das mit der Hilfe anzuschaffende Fahrzeug benötigt wird (BSG vom 27. Februar 1980, BSGE 50, 33, 37 = SozR 2200 § 1237a Nr. 11 S. 23). Demnach erweist sich die begehrte Kfz-Hilfe ebenfalls als berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation - unbeschadet einer in anderen Fällen möglichen rechtlichen Zuordnung z.B. als Leistung zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes oder als ergänzende sonstige Hilfe (BSGE 50, 33, 36; vgl. BSG vom 26. August 1992, SozR 3-4100 § 56 Nr. 8 S. 27: sonstige Leistung der beruflichen Rehabilitation nach § 56 Abs. 3 Nr. 6 Arbeitsförderungsgesetz [AFG]; ähnlich BSG vom 4. Mai 1994, SozR 3-5765 § 6 Nr. 2 S. 9).
Die Leistungen der Kfz-Hilfe wie hier zur Beschaffung eines neuen Kfz (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 KfzHV) setzen u.a. voraus, daß der Behinderte infolge seiner Behinderung nicht nur vorübergehend auf die Benutzung eines Kfz angewiesen ist, um seinen Arbeits- oder Ausbildungsort oder den Ort einer sonstigen Maßnahme der beruflichen Bildung zu erreichen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 KfzHV). Über die rechtlichen Voraussetzungen ist nach Maßgabe jener Rechtsvorschriften zu entscheiden, die zu dem Zeitpunkt gegolten haben, als die konkrete Leistung notwendig geworden ist (vgl. BSG vom 27. April 1982, BSGE 53, 229, 231f. = SozR 2200 § 1241 Nr. 21 S. 72f. m.w.N.). Für den von § 10 KfzHV vorausgesetzten Antrag gilt einerseits, daß ihm als Rehabilitationsantrag dieser Art materiell-rechtliche Bedeutung zukommt (vgl. BSG vom 8. September 1982, BSGE 54, 91 = SozR 2200 § 1236 Nr. 37; 2. Oktober 1984, SozR 2200 § 1236 Nr. 45 S. 101; 16. November 1993, SozR 3-5765 § 10 Nr. 1 S. 6 m.w.N.), andererseits - zumal er vor dem Abschluß des Kaufvertrages über das Kfz gestellt werden soll (§ 10 Satz 1 KfzHV) - stellt er sich als ein Initiativakt dar, der in zeitlicher Beziehung dem Bewilligungsverfahren vorgeordnet ist (vgl. hierzu BSG vom 23. April 1992, SozR 3-2200 § 1236 Nr. 3 S. 11). Im dialogischen Verwaltungsverfahren des Rehabilitationsträgers (vgl. BSG vom 15. Dezember 1994, SozR 3-5765 § 10 Nr. 3 S. 19) wirkt der Versicherte mit seinem Antrag auf Kfz-Hilfe hinsichtlich des zu befriedigenden Bedarfs insofern mit, als er die Zwecksetzung konkretisiert, der das Kfz zu dienen bestimmt ist (vgl. zur Konkretisierungsfunktion des Rehabilitationsantrages BSG vom 23. April 1992 a.a.O. S. 10 unter Bezugnahme auf BSG vom 16. November 1989, BSGE 66, 87 = SozR 2200 § 1237 Nr. 23).
Hinsichtlich des am 10. Januar 1991 gestellten ersten Antrags auf Kfz-Hilfe ergibt sich mithin, daß der seinerzeit abhängig beschäftigte Kläger die Anschaffung des Kfz zu bezuschussen beanspruchte, um seinen Arbeitsort erreichen zu können. Ein solcher Bedarf bestand fort bis zum Eintritt der Arbeitslosigkeit am 1. Oktober 1991, mithin auch zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses am 6. September 1991. Indessen erfüllte der Kläger nach den Feststellungen der Beklagten im bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 3. September 1991 zu diesem Zeitpunkt wegen der Höhe seines Nettoeinkommens nicht die Förderungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 1 KfzHV vom 28. September 1987. Dieser Bescheid steht im Revisionsverfahren nicht zur Prüfung. Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob dem Kläger geldliche Leistungen noch im Nachhinein zu gewähren gewesen wären, als er sich nach der erstmaligen Antragstellung (sei es nun vor oder nach der Bekanntgabe der Ablehnung dieses Antrags) selbst geholfen hat, indem er einen bindenden Kaufvertrag über die Lieferung eines Kfz schloß (vgl. zum Problem selbstbeschaffter Rehabilitationsmaßnahmen BSG vom 15. März 1979, SozR 2200 § 1236 Nr. 14 S. 24, Nr. 15 S. 29 und Nr. 16 S. 36 f; 31. Januar 1980, SozR 2200 § 1237a Nr. 10; 31. Juli 1980, SozR 2200 § 1237a Nr. 15 S. 32; 12. August 1982, SozR 2200 § 1237 Nr. 18 S. 31; 31. Mai 1989, SozR 2200 § 1236 Nr. 50 S. 111). Aus der Sicht des - nun bestandskräftig abgelehnten und damit verbrauchten - Antrags vom 10. Januar 1991 stellt sich die Kfz-Anschaffung vom 6. September 1991 als privater Erwerb des Klägers dar.
In dem hier streitgegenständlichen, am 10. Januar 1992 gestellten zweiten Antrag auf Kfz-Hilfe konkretisierte sich nach dem vom LSG für das Revisionsgericht bindend festgestellten Sachverhalt (§ 163 SGG) ein neuer Bedarfstatbestand. Mit der Aufnahme in den Lehrgang "Fremdsprachensekretär" in E. gemäß Anmeldebescheinigung des Maßnahmeträgers vom 7. Januar 1992 beanspruchte der Kläger das Kfz nunmehr, um einen vorgesehenen Ausbildungsort zu erreichen. Zwar stand inzwischen die Höhe des Nettoeinkommens einer Förderung nicht mehr entgegen, nachdem der Kläger ab dem 1. Oktober 1991 sein bisheriges Nettoeinkommen durch Arbeitslosigkeit eingebüßt hatte und zugleich § 13 Abs. 3 KfzHV durch die Erste Verordnung zur Änderung der KfzHV vom 30. September 1991 eingeführt worden war, der die Einkommensgrenzen in den neuen Bundesländern neu (günstiger) gestaltete. In der Rechtsprechung des BSG ist indessen bereits geklärt, daß Kfz-Hilfe - außer in atypischen (Eil-) Fällen - jedenfalls dann von vornherein nicht zusteht, wenn der Rehabilitationsbedarf bereits vor Eingang des Antrages beim Rehabilitationsträger selbst befriedigt worden ist (BSG vom 15. Dezember 1994, SozR 3-5765 § 10 Nr. 3 S. 19). Ob der Bedarf vorzeitig befriedigt wurde, bestimmt sich allein nach dem Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses (BSG a.a.O. S. 20f.), weil hierdurch mit Rechtsverbindlichkeit über Art und Güte des Bedarfsgegenstandes verfügt und das Kfz beschafft wird. Der Kläger verfügte im Rechtssinne über ein Kfz aufgrund des Erfüllungsanspruchs aus dem am 6. September 1991 abgeschlossenen Kaufvertrag (§ 433 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch). Darüber hinaus bestand der in der vorgenannten Rechtsprechung vorausgesetzte Rehabilitationsbedarf bereits bei der Lieferung des Kfz (am 24. März 1992) nicht mehr: Der den Antrag vom 10. Januar 1992 konkretisierende Bedarf, den Ausbildungsort E. zu erreichen, hat sich dadurch erledigt, daß der Kläger die dort geplante Umschulung nicht angetreten hat. Tatsächlich entstand ein Bedarf erst im Jahre 1993 mit den Rehabilitationsmaßnahmen in H. Für den Kläger muß deshalb erst recht gelten, daß es insoweit keiner Ermessensentscheidung mehr bedarf. Ihm ist § 4 Abs. 1 KfzHV entgegenzuhalten, wonach die Kfz-Hilfe voraussetzt, daß der Behinderte nicht über ein geeignetes Kfz verfügt, dessen weitere Benutzung ihm zumutbar ist. So lag es beim Kläger, dessen privat gekauftes Kfz bereits am 24. März 1992 auf ihn zugelassen worden war. Darauf, ob dem Kläger eine rechtzeitige Antragstellung möglich gewesen wäre und er dieses Versäumnis zu vertreten hat, kommt es bei der vorliegenden Sachgestaltung nicht an. Der Kläger darf nicht anders gestellt werden als jener Versicherte, der bereits im Besitz eines geeigneten Kfz ist, als sich ein Leistungsbedarf nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 KfzHV erstmals ergibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.8 RKn 31/95
BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen
Haufe-Index 518210 |
SozSi 1998, 239 |