Beteiligte
Pflegekasse bei der AOK – Die Gesundheitskasse in Hessen |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. Februar 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Klägerin erhält seit dem 4. November 1997 von der beklagten Pflegekasse Pflegegeld nach der Pflegestufe III gemäß § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 3 iVm § 37 Abs 1 Nr 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI). Es ist streitig, ob ihr dieser Anspruch auch für die Zeit vom 1. April 1995 bis zum 3. November 1997, in der sie nur Pflegegeld nach der Pflegestufe II bezogen hat, zusteht.
Die am 6. Mai 1991 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert. Seit ihrer Geburt leidet sie an erheblichen geistigen und körperlichen Entwicklungsstörungen. Sie wird von ihrer Mutter betreut und gepflegt. Seit September 1994 besuchte sie werktags zwischen 9.00 Uhr und 13.00 Uhr einen integrativen Kindergarten. Sie konnte auch zu Ende des streitigen Zeitraums noch nicht sprechen, nicht selbständig essen, sich nicht an- und ausziehen und sich nicht sauberhalten, wobei die Windeln, die sie seit Mitte 1996 aufzureißen pflegt, bis zu achtmal pro Tag gewechselt werden müssen. Erst seit 1996 kann die Klägerin selbständig gehen. Ihr Gang ist aber unsicher, wobei schnelle Schritte leichter fallen als langsame. Gefahren kann sie nicht einschätzen. Nachts muß sie wegen Unruhezuständen regelmäßig von ihrer Mutter beruhigt werden.
In der Zeit vom 10. November 1993 bis zum 31. März 1995 bezog die Klägerin Geldleistungen wegen Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53 und 57 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Anschließend erhielt sie Pflegegeld nach der Pflegestufe II als Leistung der zu diesem Zeitpunkt eingeführten sozialen Pflegeversicherung. Den Antrag der Klägerin, Pflegegeld nach der Pflegestufe III zu gewähren, lehnte die Beklagte ab, weil es an einem regelmäßigen nächtlichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege fehle. Das nächtliche Beruhigen könne keinem der zur Grundpflege gehörenden Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (§ 14 Abs 4 Nrn 1 bis 3 SGB XI) zugeordnet werden. Die ständig notwendige Anwesenheit und Einsatzbereitschaft einer Pflegeperson reiche als Hilfe iS des § 14 Abs 3 SGB XI nicht aus (Bescheid vom 30. März 1995, Widerspruchsbescheid vom 1. November 1995).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. Juli 1996). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte verurteilt, der Klägerin Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen nach der Pflegestufe III auch für die nach dem Abhilfebescheid noch streitig gebliebene Zeit vom 1. April 1995 bis zum 3. November 1997 zu gewähren (Urteil vom 19. Februar 1998).
Das LSG hat nach Anhörung der Mutter der Klägerin angenommen, die Mehrarbeit durch das regelmäßige Aufreißen der Windeln sei nicht erst seit der erneuten Antragstellung am 4. November 1997, sondern bereits seit Mitte 1996 angefallen. Zudem hat es die Auffassung vertreten, das regelmäßige nächtliche Beruhigen sei der Verrichtung des Zu-Bett-Gehens und damit der Grundpflege zuzuordnen. Deshalb könne von einem Pflegebedarf „rund um die Uhr, auch nachts” iS des § 15 Abs 1 Nr 3 SGB XI bereits ab 1. April 1995 gesprochen werden. Die zeitlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift seien im fraglichen Zeitraum ebenfalls erfüllt, zumal für die Hilfe beim Gehen nicht nur die Unterstützung beim Gehen im Zusammenhang mit den anderen Verrichtungen maßgeblich sei und deshalb, abweichend vom Zeitansatz der Beklagten (30 Minuten), täglich 60 Minuten zu veranschlagen seien. Insgesamt belaufe sich der Mehrbedarf der Klägerin im Bereich der Grundpflege auf anfangs 287 Minuten, ab Mitte 1996 (Aufreißen der Windeln) auf 330 Minuten und ab 14. August 1997, dem Tag des Umzugs in ein zweistöckiges Einfamilienhaus, wegen des hinzugetretenen Hilfebedarfs beim Treppensteigen auf 352 Minuten sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung jeweils auf mindestens 60 Minuten.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision erhebt die Beklagte die Rügen der fehlerhaften Sachverhaltsaufklärung, des Verstoßes gegen allgemeine Beweisgrundsätze bei der Ermittlung des tatsächlichen Pflegeaufwands und der Verletzung des materiellen Rechts (§ 14 Abs 4 und § 15 SGB XI). Der Mehrbedarf bei der Grundpflege belaufe sich zumindest bis zum Umzug der Familie auf nur 203 Minuten und anschließend auf höchstens 225 Minuten; er liege damit unter der Grenze von 240 Minuten. Zu den vermehrten, die Pflegestufe III rechtfertigenden Verunreinigungen komme es erst seit Ende 1997; die Annahme, dies geschehe bereits seit Mitte 1996, sei nach dem Beweisergebnis nicht begründet. Jedenfalls habe das LSG die beantragte weitere Sachverhaltsaufklärung verfahrensfehlerhaft unterlassen. Den Zeitaufwand für die Hilfe beim Gehen habe das LSG nur auf im Zusammenhang mit den sonstigen Verrichtungen des § 14 Abs 4 Nrn 1 bis 3 SGB XI stehende Bewegungen beschränken müssen. Der durchschnittliche tägliche Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung könne für den gesamten Zeitraum insgesamt nur mit 8 Minuten angesetzt werden. Die nächtlichen Beruhigungsmaßnahmen der Mutter seien nicht der Grundpflege zuzurechnen. Der Mehrbedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung könne mit höchstens 15 Minuten veranschlagt werden, weil insoweit nur die Mehrarbeit beim Wechseln und Waschen der Kleidung sowie des Bettzeugs zu berücksichtigen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen LSG vom 19. Februar 1998 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Wiesbaden vom 16. Juli 1996 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung durch das LSG (§ 170 Abs 2 SGG) begründet. Die vom Berufungsgericht bisher getroffenen Feststellungen lassen keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob die Voraussetzungen der §§ 14 und 15 SGB XI für die Zuerkennung der Pflegestufe III auch in der Zeit vom 1. April 1995 bis zum 3. November 1997 erfüllt waren. Ergänzender Ermittlungen bedarf es zu den Verrichtungen Gehen, Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung, zum hauswirtschaftlichen Versorgungsbedarf sowie zur Frage des regelmäßigen nächtlichen Hilfebedarfs.
Der Anspruch auf Pflegegeld der Pflegestufe III, der allein noch für die Zeit vom 1. April 1995 bis zum 3. November 1997 streitig ist, setzt voraus, daß Pflegebedürftigkeit iS des § 14 SGB XI zumindest in einem Ausmaß vorliegt, das in § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 3 und § 15 Abs 3 Nr 3 SGB XI festgelegt ist. Die Regelungen des § 15 Abs 3 SGB XI über die zeitlichen Voraussetzungen der einzelnen Pflegestufen sind zwar erst durch das 1. SGB XI-Änderungsgesetz (1. SGB XI-ÄndG) vom 14. Juni 1996 (BGBl I S 830) mit Wirkung zum 25. Juni 1996 (Art 8 Abs 1 1. SGB XI-ÄndG) in das Gesetz eingefügt worden. Sie sind aber als den bis dahin geltenden Rechtszustand klarstellende Regelungen auch für die Zeit vor dem 25. Juni 1996 entsprechend anzuwenden (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 6 und § 15 Nr 1). Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind danach Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Dabei muß der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt (gemeint: täglich im Wochendurchschnitt) in der Pflegestufe III mindestens fünf Stunden betragen, wobei auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen müssen. Bei Kindern ist dabei allein der zusätzliche Hilfebedarf (Mehrbedarf) gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend (§ 15 Abs 2 SGB XI). Zur Grundpflege gehören nach § 14 Abs 4 Nrn 1 bis 3 SGB XI die Bereiche Körperpflege (mit den Verrichtungen Waschen/Duschen/Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren sowie Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mit den Verrichtungen mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Nahrungsaufnahme) und Mobilität (mit den Verrichtungen selbständiges Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen sowie Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Die hauswirtschaftliche Versorgung umfaßt die Verrichtungen Einkaufen, Kochen, Wohnungsreinigung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung sowie das Beheizen (§ 14 Abs 4 Nr 4 SGB XI).
1. Das LSG hat für den Bereich der Körperpflege zutreffend einen Hilfebedarf von 180 Minuten und für die Zeit ab Mitte 1996 von 205 Minuten festgestellt. Den Einwänden der Beklagten, der Hilfebedarf habe zu Anfang nur 165 Minuten betragen, und von dem auf 205 Minuten erhöhten Aufwand könne erst seit dem 4. November 1997 ausgegangen werden, kann nicht gefolgt werden.
Der zusätzlich erhöhte Hilfebedarf bei der Körperpflege beruht darauf, daß die Klägerin regelmäßig ihre Windeln aufreißt. Es kommt dadurch häufiger zu Verunreinigungen. Die Klägerin muß dementsprechend häufiger gewaschen und mit frischen Windeln versehen werden; die Zahl der erforderlichen Waschvorgänge stieg im Durchschnitt von drei bis fünf auf zuletzt sieben bis acht. Für sieben Waschvorgänge hat das LSG einen Zeitaufwand von 48 Minuten veranschlagt. Diesen von der Beklagten nicht angegriffenen Wert hat das LSG für die vorangegangene Zeit um 25 Minuten verringert, da dort nur drei bis fünf Waschvorgänge anfielen. Die von der Beklagten geforderte weitere Reduzierung um 15 Minuten, die sich aus dem Gutachten von Frau Dr. M. ergebe, wird nicht hinreichend spezifiziert, so daß sie nicht die Erfordernisse einer ordnungsgemäßen Feststellungsrüge (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) erfüllt.
Die von der Revision ordnungsgemäß gerügte Feststellung des LSG, der erhöhte Aufwand bestehe bereits seit Mitte 1996, ist frei von Verfahrensfehlern zustande gekommen. Das LSG hat diesen Zeitpunkt aus der Aussage der Mutter der Klägerin vom 19. Februar 1998 gefolgert, nach ihrer Erinnerung „schaffe es ihre Tochter seit etwa anderthalb bis zwei Jahren, die Windeln aufzureißen”. Diese Aussage durfte das LSG seiner Entscheidung zugrunde legen. Dem steht nicht entgegen, daß die Mutter diese Tatsache erstmals am 13. Dezember 1997 gegenüber der Gutachterin Dr. M. erwähnt hat. Das LSG hat nicht gegen allgemeine Beweisgrundsätze verstoßen, wenn es dieser Aussage gefolgt ist, obgleich die Beobachtung vorher nicht mitgeteilt worden war. Das Gericht war auch nicht gehalten, dem Hilfsantrag der Beklagten stattzugeben, die Gutachterin Dr. M. „dazu zu hören, wie der Pflegebedarf in der Vergangenheit nach ihrer Auffassung einzuschätzen ist”. Über die geistige und körperliche Entwicklung der Klägerin in der fraglichen Zeit sowie über die tatsächlich erbrachten Hilfen konnte die Gutachterin ersichtlich keine Angaben machen; das wird von der Beklagten auch nicht behauptet. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Gericht zu dieser Frage allein die Pflegeperson gehört hat, deren Aussage aufgrund der Sachnähe und des täglichen Umgangs mit der Pflegebedürftigen in der Regel das sicherste und am besten geeignete Beweismittel ist. Das Gericht hätte allenfalls dann Anlaß haben können, die Gutachterin zu der Frage, wann das Aufreißen der Windeln begonnen hat, zu vernehmen, wenn ihm die jetzige Behauptung der Beklagten bekannt gewesen wäre, die Mutter habe der Gutachterin bei der Begutachtung am 13. Dezember 1997 erklärt, ihre Tochter reiße die Windeln seit etwa einem halben Jahr auf. Dies war jedoch nicht der Fall.
2. Aus vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, daß das LSG die aus der Zunahme der Verunreinigungen resultierende Erhöhung des Zeitaufwandes für das An- und Ausziehen der Wäsche und Kleidung von ursprünglich 50 Minuten auf nunmehr 77 Minuten rechtsfehlerfrei auf Mitte 1996 festgelegt hat. Mit ihrem Einwand, dieser Anstieg sei erst ab November 1997 festzustellen, weicht die Beklagte vom Ergebnis der tatrichterlichen Würdigung ab, ohne daß ihre Verfahrensrügen durchgreifen.
3. Für den Bereich der Ernährung hat das LSG ferner zutreffend einen täglichen Hilfebedarf von 90 Minuten festgestellt, und zwar 80 Minuten für die Nahrungsaufnahme (vier Mahlzeiten zu je 20 Minuten) und zehn Minuten für die mundgerechte Zubereitung der Nahrung. Hiergegen hat die Beklagte keine Verfahrensrügen erhoben. Die Feststellungen sind vom rechtlichen Ausgangspunkt her auch insoweit nicht zu beanstanden, als das LSG den im Kindergarten anfallenden Hilfebedarf bei der Nahrungsaufnahme (Mittagessen) einbezogen hat, obgleich diese Hilfe nicht von der Mutter, sondern vom Personal des Kindergartens geleistet wird. Maßgebend bei der häuslichen Pflege ist allein der im Laufe eines Tages anfallende durchschnittliche Hilfebedarf des Pflegebedürftigen, nicht aber die Frage, wer die Hilfe leistet und wo sie geleistet wird (vgl dazu bereits BSG SozR 3-2500 § 56 Nr 2).
4. Den für die Hilfe beim Gehen angenommenen Zeitaufwand von 60 Minuten beanstandet die Revision aber zu Recht. Es ist nur die Hilfe zu berücksichtigen, die beim Gehen im Zusammenhang mit der Erledigung der anderen in § 14 Abs 4 SGB XI genannten häuslichen Verrichtungen (hier 15 Hilfen zu je zwei Minuten = 30 Minuten) erforderlich ist, nicht auch die Hilfe bei sonstigen, nicht verrichtungsbezogenen Standortwechseln in der Wohnung.
a) Die in § 14 Abs 4 SGB XI aufgeführten „Verrichtungen” lassen sich in zwei Gruppen aufteilen: nur die erste – größere – Gruppe beschreibt Verrichtungen im Sinne von zielgerichteten Tätigkeiten, während die zweite Gruppe bestimmte grundlegende Körperfunktionen aufzählt. Zur ersten Gruppe gehören alle Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege, der Ernährung und der hauswirtschaftlichen Versorgung sowie die Verrichtungen Aufstehen/Zu-Bett-Gehen, Ankleiden/Auskleiden sowie Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung aus dem Bereich der Mobilität. Zur zweiten Gruppe, den Körperfunktionen, zählen hingegen die übrigen „Verrichtungen” aus dem Bereich der Mobilität, das Gehen, Stehen und Treppensteigen, die die anderen Verrichtungen weitgehend erst ermöglichen. Dabei sind allerdings weitere grundlegende Körperfunktionen wie das Sitzen und das Liegen mit der Möglichkeit der Lageveränderung nicht erwähnt, wofür ein einleuchtender Grund nicht erkennbar ist. Das Fehlen dieser Funktionen scheint sich allerdings in der Praxis deshalb nicht auszuwirken, weil die Pflegekassen den dort erforderlichen Hilfebedarf entweder der Hilfe beim Stehen oder der Hilfe beim Aufstehen/Zu-Bett-Gehen (Umlagern) zuordnen.
Alle ausdrücklich genannten Körperfunktionen sind dadurch gekennzeichnet, daß sie nur Voraussetzungen für die Verrichtungen sind, die zur Aufrechterhaltung eines selbständigen Haushalts notwendig sind. Der durch ihren Ausfall erforderliche Hilfebedarf ist deshalb nicht für alle Lebensbereiche, sondern für die Frage der Pflegebedürftigkeit nur insoweit zu berücksichtigen, als es um die Hilfe im Zusammenhang mit den anderen in § 14 Abs 4 SGB XI genannten häuslichen Verrichtungen sowie den existenzsichernden außerhäuslichen Verrichtungen geht. Für die zielgerichtete Tätigkeit „Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung” hat der Senat dies bereits entschieden (BSG SozR 3-3300 § 14 Nrn 5 und 6). Nichts anderes gilt für die Körperfunktionen Gehen, Stehen und Treppensteigen. Soweit der Wortlaut des § 14 Abs 4 Nr 3 SGB XI diese Verrichtungen nur als solche – und in einer Reihe neben allen anderen Verrichtungen – anführt und keine Einschränkungen macht bezüglich der Zwecke, die mit der Körperfunktion des Gehens (einschließlich Treppensteigens) bzw der Körperfunktion des Stehens im jeweiligen Einzelfall verbunden sind, kann daraus ebensowenig wie beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung geschlossen werden, der Gesetzgeber habe damit die Hilfe bei diesen Verrichtungen unabhängig vom jeweiligen Anlaß und Zweck der Verrichtung je nach dem individuellen Bedarf als notwendigen Hilfebedarf miteinbeziehen wollen. Vielmehr folgt aus dem Sinn und Zweck der Pflegeleistungen, die Aufrechterhaltung der Existenz in der häuslichen Umgebung zu sichern, daß sie auf bestimmte elementare Lebensbereiche zu beschränken sind. Diese werden vollständig von der erwähnten ersten Gruppe der Verrichtungen erfaßt. Lebensbereiche wie zB Freizeitgestaltung, Unterhaltung, Erholung, Bildung und Kommunikation sollten ausgeklammert bleiben (BR-Drucks 505/93, S 93 bis 97). Das Gehen, Stehen und Treppensteigen kann somit bei der Bemessung des Zeitaufwands für die notwendige Pflege nur insoweit berücksichtigt werden, als diese Verrichtungen im Zusammenhang mit den anderen in § 14 Abs 4 SGB XI genannten Verrichtungen im häuslichen Bereich erforderlich werden. Ein pauschaler Zuschlag für die Hilfe beim nicht verrichtungsbezogenen Gehen, Stehen und Treppensteigen ist daher ausgeschlossen.
Diese Begriffsbestimmung widerspricht nicht dem Gebot der Gewährleistung einer aktivierenden Pflege iS der §§ 2 Abs 1, 6 Abs 2 und 28 Abs 4 SGB XI. Dieses Gebot bedeutet lediglich, daß bei der Wahl der Form der Hilfe (§ 14 Abs 3 SGB XI) dem Gedanken der Mobilisierung des Pflegebedürftigen Rechnung zu tragen ist. In möglichst weitem Umfang soll der Pflegebedürftige aktiv bleiben. Soweit er unter Aufsicht oder Anleitung bestimmte Verrichtungen noch selbst erledigen kann, soll auf die – vollständige oder teilweise – Übernahme der Verrichtung durch die Pflegeperson verzichtet werden, auch wenn sich dadurch der Zeitaufwand für die Pflege vergrößert. Auch die körperliche Unterstützung bei der Verrichtung hat Vorrang vor deren Übernahme. Hingegen folgt aus dem Gebot aktivierender Pflege nicht, daß die Hilfe beim Gehen, Stehen und Treppensteigen unabhängig von dem Zweck, den der Pflegebedürftige mit seinem Verhalten verfolgt, zu leisten und bei der Bemessung des Zeitaufwands zu berücksichtigen ist.
Die Pflegebedürftigkeits-Richtlinien (PflRi) vom 7. November 1994 idF vom 21. Dezember 1995 (Ziff 3.4) und die Begutachtungs-Richtlinien (BRi) vom 21. März 1997 (Abschnitt D Teil 5.3 Ziff 12 bis 14) enthalten Vorgaben, die den vorstehenden Definitionen entsprechen. Sie sind daher – im Gegensatz zur Auffassung des LSG – in diesem Punkt inhaltlich nicht zu beanstanden.
b) Der Begriff des Gehens iS des § 14 Abs 4 Nr 3 SGB XI beschränkt sich nicht allein auf die körperliche Fähigkeit zur eigenständigen Fortbewegung. Vielmehr umfaßt er auch die Fähigkeit zum vernunftgeleiteten, zielgerichteten Gehen. Zu den Krankheiten und Behinderungen, die als Ursache für die Pflegebedürftigkeit in Betracht kommen, zählen nach § 14 Abs 2 SGB XI nicht nur Verluste, Lähmungen und andere Funktionsstörungen des Stütz- und Bewegungsapparates (Nr 1), sondern auch Funktionsstörungen der inneren Organe und der Sinnesorgane (Nr 2) sowie Störungen des Zentralnervensystems (zB Antriebs-, Gedächtnis- und Orientierungsstörungen) und endogene Psychosen, Neurosen und geistige Behinderungen (Nr 3). Diese Gleichrangigkeit von körperlichen, geistigen und seelischen Funktionsstörungen ist zu beachten, wenn die Frage zu beurteilen ist, ob ein Kranker oder Behinderter zur selbständigen Durchführung der in § 14 Abs 4 SGB XI genannten Verrichtungen auf Dauer in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf (§ 14 Abs 1 SGB XI). Die Fähigkeit zur „selbständigen” Verrichtung kann nicht nur bei körperlichen, sondern auch bei geistigen und seelischen Funktionsstörungen beeinträchtigt sein. Hilfebedarf beim selbständigen Gehen ist somit nicht nur bei der Beeinträchtigung der körperlichen Gehfähigkeit zu berücksichtigen, sondern auch dann, wenn die körperliche Fähigkeit zwar vorhanden ist, das Defizit aber darin besteht, daß der Betroffene etwa wegen Verlustes des Orientierungssinns nicht (mehr) in der Lage ist, vernunftgeleitet und zielgerichtet zu gehen. Dieser umfassende Begriff des (selbständigen) Gehens hat auch den Gesetzgeber bei der Fassung des § 14 Abs 4 SGB XI geleitet. Das Fallbeispiel des – in seiner körperlichen Fähigkeit zum Gehen grundsätzlich nicht beeinträchtigten – Alzheimer-Patienten, der wegen seiner Desorientierung im Bereich der Mobilität ständige Anleitung und Beaufsichtigung benötige (BT-Drucks 12/5262, S 98 zu § 13 E), belegt die Absicht, die Fähigkeit zum vernunftgeleiteten, zielgerichteten Gehen in den Risikobereich der sozialen Pflegeversicherung einzubeziehen. Dabei ist jedoch, wie bereits erwähnt, nur die Hilfe beim Gehen von Belang, die im Zusammenhang mit der Durchführung von anderen in § 14 Abs 4 SGB XI genannten Verrichtungen geleistet wird. Ein solcher Zusammenhang fehlt zB, wenn die Beaufsichtigung allein zur Vermeidung einer Selbst- oder Fremdgefährdung notwendig ist (BSG, Urteil vom 26. November 1998 - B 3 P 13/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr 8).
Aus diesem weiten Begriff des (selbständigen) Gehens folgt nicht, daß jede Form der Hilfe im Rahmen des § 14 SGB XI zu berücksichtigen ist. Auch hier gelten die Kriterien des § 14 Abs 3 SGB XI, nach der die Hilfe in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtung oder in Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen bestehen muß. Formen der Hilfe, die einen solchen Intensitätsgrad nicht erreichen, müssen außer Betracht bleiben. Hierzu gehören, wie der Senat bereits entschieden hat, zum einen die allgemeine Ruf- und Einsatzbereitschaft und zum anderen die im Rahmen allgemeiner Aufsicht erfolgende Hilfe in Form von gelegentlichen, wenn auch wiederholten Aufforderungen, die aber die Pflegeperson zeitlich nicht in nennenswerter Weise binden und ihr Raum lassen für andere Tätigkeiten (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 5 und § 15 Nr 1).
Nach diesen Kriterien wird das LSG zu ermitteln haben, ob und in welchem Umfang die Klägerin der Hilfe zum Gehen bedurfte. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Zeit vor und nach dem Erlernen des freien, wenn auch unsicheren Gehens. Solange die Klägerin nicht gehen konnte, ist jedes Führen, Stützen und Tragen zu berücksichtigen, soweit es im Zusammenhang mit einer der anderen Verrichtungen stand. Soweit die Hilfe allein darauf gerichtet war, das Erlernen des Gehens zu fördern, fehlt es hingegen an einem solchen Zusammenhang. Für die Zeit nach dem Erlernen des freien Gehens kommt es darauf an, ob die nunmehr noch erforderlichen Hilfen den erwähnten Kriterien des § 14 Abs 3 SGB XI gerecht werden. Dies ist beispielsweise dann zu bejahen, wenn die Klägerin Aufforderungen, einen bestimmten Standortwechsel vorzunehmen (zB aus dem Fernsehzimmer in die Küche zu kommen, um etwas zu essen), nicht versteht oder wegen Desorientierung nicht folgen kann und deshalb geführt werden muß. Hilfestellungen, die allein zur Vermeidung einer Selbst- oder Fremdgefährdung erfolgen, sind hingegen – wie ausgeführt – ausgeschlossen.
c) Obgleich das Gehen zu den Verrichtungen des Grundpflegebereichs zählt (§ 14 Abs 4 Nr 3 SGB XI), ist das Gehen im Zusammenhang mit der hauswirtschaftlichen Versorgung als hauswirtschaftlicher Hilfebedarf zu werten. Die gleiche Differenzierung gilt für die Hilfe beim Stehen und Treppensteigen. Dem entsprechen die Vorgaben der BRi (Abschnitt D Teil 5.3 Ziff 12 bis 14), die sich insoweit ebenfalls als zutreffend erweisen. Bei den ergänzenden Ermittlungen zum Hilfebedarf beim Gehen wird diese Differenzierung zu beachten sein.
Der Zeitaufwand von 22 Minuten für die Hilfe beim Treppensteigen (ab 14. August 1997) und von zwei Minuten beim Stehen, der von der Beklagten auch nicht bestritten worden ist, kann der Berechnung dagegen auch weiterhin zugrunde gelegt werden, weil insoweit der Zusammenhang mit den anderen Verrichtungen der Grundpflege beachtet worden ist. Der Hilfebedarf beim Treppensteigen ist zu Recht bejaht worden, weil die Klägerin die Treppe zwischen Parterre und Obergeschoß, in dem sich ihr Zimmer und das Bad befinden, nur besteigen kann, wenn sie an der Hand geführt wird, und sie beim Hinuntergehen getragen werden muß. Die Hilfe beim Stehen fällt im Zusammenhang mit dem „Transfer” (BRi Abschnitt D Teil 5.3 Ziff 13) in die Duschwanne an und ist deshalb zu berücksichtigen, sofern dies nicht bei der Hilfe zum Duschen geschieht.
5. Den Hilfebedarf der Klägerin beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung hat das LSG auf anfangs 17 Minuten und ab Mitte 1996 auf acht Minuten festgesetzt. Diese Werte sind möglicherweise zu niedrig, weil das LSG von unzutreffenden rechtlichen Annahmen ausgegangen ist.
a) Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin bis Mitte 1996 zweimal wöchentlich und seitdem einmal wöchentlich einen Krankengymnasten aufgesucht. Die Behandlungen dauerten jeweils 45 Minuten; hinzu kamen Wegezeiten von jeweils 60 Minuten. Nur die notwendige Begleitung der Klägerin auf dem Hin- und Rückweg, nicht aber die Wartezeit der Mutter in der Praxis hat das LSG dem Pflegebedarf zugerechnet. Das entspricht zwar den BRi (Abschnitt D Teil 5.3 Ziff 15). Der Senat hat aber bereits entschieden, daß die Ausklammerung notwendiger Wartezeiten der Pflegeperson bei außerhäuslichen Verrichtungen rechtswidrig ist, wenn die Pflegeperson während dieser Zeit keiner anderen sinnvollen Tätigkeit, die auch ohne die Wartezeit zu erledigen wäre, nachgehen kann (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 6). Das LSG wird nach diesen Kriterien zu ermitteln haben, ob auch die Wartezeiten der Mutter während der Besuche beim Krankengymnasten dem Pflegebedarf zuzurechnen sind.
b) Zu Recht nicht berücksichtigt hat das LSG den Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung im Zusammenhang mit den – unregelmäßig anfallenden – Besuchen der Klägerin beim Arzt. Zwar sind Besuche beim Arzt und beim Krankengymnasten Verrichtungen, die „für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen notwendig machen” und deshalb bei der Verrichtung des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung grundsätzlich zu berücksichtigen sind (BR-Drucks 505/93, S 97). Dies gilt aber nicht uneingeschränkt. Verrichtungen, die seltener als regelmäßig mindestens einmal pro Woche anfallen, zählen nicht zum berücksichtigungsfähigen Pflegeaufwand. Das Gesetz stellt in § 15 Abs 3 SGB XI mit hinreichender Deutlichkeit klar, daß bei der Ermittlung des für die Pflege erforderlichen Zeitaufwands auf die Woche abzustellen ist. Aus dem gesamten in einer Woche anfallenden Pflegeaufwand ist der Tagesdurchschnitt zu ermitteln. Dies schließt es aus, bei der Feststellung des zeitlichen Pflegebedarfs auch Verrichtungen einzubeziehen, die seltener als regelmäßig mindestens einmal wöchentlich anfallen (so auch Urteil des Senats vom gleichen Tage im Verfahren B 3 P 12/98 R).
c) Die – vom LSG offengelassene – Frage, ob die Hilfe der Mutter beim Aufsuchen des Kindergartens dem relevanten Pflegebedarf zugeordnet werden kann, ist zu verneinen. Es fehlt an dem erforderlichen Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Existenz in der häuslichen Umgebung. Der Besuch eines integrativen Kindergartens mag zwar im weiteren Sinne für ein behindertes Kind notwendiger sein als der normale Kindergartenbesuch für ein gesundes gleichaltriges Kind, da auch therapeutische Ziele mitverfolgt werden. Er dient damit aber gleichwohl nicht der Aufrechterhaltung der häuslichen Existenz, sondern der Stabilisierung und Entwicklung der geistigen und körperlichen Kräfte, die auch dann erforderlich bleibt, wenn ein behindertes Kind in einem Heim untergebracht ist. Dies entspricht dem Aufgabenbereich der Eingliederungshilfe für Behinderte nach den §§ 39 ff Bundessozialhilfegesetz (BSHG), der durch die Pflegeversicherung unberührt geblieben ist (vgl auch BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 5 zum Besuch einer Behindertenwerkstatt).
6. Die Rüge der Beklagten, das LSG habe für die Hilfe bei der Verrichtung des Aufstehens und Zu-Bett-Gehens zu Unrecht einen Zeitaufwand von 38 Minuten festgestellt, weil es die Auffassung vertreten hat, unter der Verrichtung des Zu-Bett-Gehens sei auch die ungestörte und gefahrlose Aufrechterhaltung der Bettruhe zu verstehen, greift durch.
a) Die Verrichtung des Zu-Bett-Gehens stellt einen körperlichen Bewegungsvorgang dar, der den Zweck hat, in ein Bett hineinzugelangen, und der mit der Einnahme einer liegenden (zum Ruhen oder Schlafen geeigneten) Position im Bett endet. Alle notwendigen Hilfestellungen, die der Durchführung dieses körperlichen Bewegungsvorgangs dienen, sind als Pflegebedarf zu berücksichtigen. Die Häufigkeit dieses Vorgangs richtet sich nach den individuellen Ruhe- und Schlafbedürfnissen (zB Mittagsschlaf). Dabei ist nicht nur die Hilfe bei dem Zu-Bett-Gehen am Anfang einer jeweiligen Ruhe- oder Schlafphase zu berücksichtigen, sondern auch die Hilfe, die erforderlich wird, wenn während einer solchen Phase die liegende Position im Bett bewußt oder unbewußt verlassen worden ist und erneut eingenommen werden muß, dies aber ohne fremde Hilfe nicht möglich ist. Hilfe beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen kann daher zB wegen eines nächtlichen Toilettengangs anfallen. Haben altersverwirrte, orientierungslose Menschen nachts ihr Bett verlassen, wird oftmals Hilfe beim (zielgerichteten) Gehen durch die notwendige Begleitung zum Schlafzimmer sowie Hilfe beim (erneuten) Zu-Bett-Gehen zu leisten sein. Hilfe beim Zu-Bett-Gehen setzt allerdings nicht stets voraus, daß der Pflegebedürftige das Bett bereits verlassen hat; sie kann vielmehr auch schon dann als Pflegebedarf berücksichtigt werden, wenn sich der Pflegebedürftige zwar noch im Bett befindet, aber nicht mehr eine liegende Position einnimmt. Dies kann zB bei kleinen Kindern der Fall sein, die sich im Bett aufgerichtet haben und am Gittergestell festhalten.
b) An der Hilfe beim Zu-Bett-Gehen fehlt es hingegen, wenn der Pflegebedürftige im Bett liegt, aber wach ist und die Pflegeperson auf Rufen, Weinen oder Jammern ans Bett tritt, um den Pflegebedürftigen zu beruhigen, und sie so lange bei ihm bleibt, bis er wieder eingeschlafen ist. Eine so weite Ausdehnung des Anwendungsbereichs dieser Verrichtung scheidet aus, weil sie nicht vom Wortsinn des Begriffs des Zu-Bett-Gehens gedeckt ist und eine andere Grundpflegemaßnahme nicht geleistet wird. Bei der Auslegung des § 14 Abs 4 SGB XI darf nicht unbeachtet bleiben, daß der Gesetzgeber bei der Aufzählung der maßgeblichen Verrichtungen gerade nicht alle denkbaren Maßnahmen zur Gewährleistung des Schlafens in den Katalog aufgenommen hat, sondern mit dem Aufstehen und Zu-Bett-Gehen zwei körperliche Bewegungsvorgänge genannt hat, die nach dem – gewollten oder ungewollten, endgültigen oder einstweiligen – Ende des Schlafs erst einsetzen oder vor dem Beginn des Schlafs bereits beendet sind (vgl auch Urteil des Senats vom 29. April 1999 - B 3 P 13/98 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Fassung des Gesetzes und der gesetzgeberische Wille zur Aufstellung eines abschließenden Katalogs stehen der vom LSG gewählten Auslegung des Begriffs des Zu-Bett-Gehens entgegen.
Nach diesen Kriterien wird das LSG erneut zu ermitteln haben, ob und in welchem Umfang die Klägerin beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen im Sinne körperlicher Bewegungsvorgänge der Hilfe ihrer Mutter bedarf.
7. Die Ermittlung des Mehraufwands bei Kindern begegnet keinen Bedenken. Die Zuordnung der Klägerin zur Pflegestufe III hängt ua auch davon ab, ob sie im fraglichen Zeitraum bei der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität einen Mehrbedarf an Pflege gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind von mindestens 240 Minuten hatte (§ 15 Abs 2 und Abs 3 Nr 3 SGB XI). Dieser Mehrbedarf ergibt sich aus der Differenz des festgestellten Zeitaufwands für die Grundpflege zu dem Zeitaufwand, der üblicherweise bei der Betreuung und Versorgung eines gesunden gleichaltrigen Kindes im Bereich der Grundpflege ohnehin anfällt. Diesen normalen Aufwand hat das LSG nicht im einzelnen ermittelt, sondern auf die in den BRi enthaltenen nicht endgültig evaluierten Erfahrungswerte zurückgegriffen (Abschnitt D Teil 5.0 Ziff III 7). Dies ist vorerst mangels besserer Erkenntnisse nicht zu beanstanden. Auch bei gesunden Kindern gibt es einen altersabhängigen, dabei aber nicht auf die Minute festlegbaren, zudem nach den individuellen Verhältnissen variierenden normalen Pflegeaufwand. Die Spitzenverbände der Pflegekassen haben die dazu bislang vorliegenden empirischen Erfahrungswerte herangezogen und in Form von Zeitrahmen in die BRi aufgenommen. Für Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren, der hier maßgeblichen Vergleichsgruppe für die Zeit bis Mai 1997 (Vollendung des sechsten Lebensjahres der Klägerin am 6. Mai 1997), sehen die BRi einen abnehmenden Zeitaufwand für die Grundpflege zwischen 150 und 105 Minuten vor. Für die Gruppe der sechs bis zwölf Jahre alten Kinder gilt ein abnehmender Zeitrahmen von 105 bis 0 Minuten. Dieser Zeitrahmen ist für die Zeit ab Juni 1997 heranzuziehen. Dies schließt nicht aus, daß in geeigneten Fällen, insbesondere bei geistig gesunden Kindern, eine konkrete Schätzung des jeweiligen Mehraufwands erfolgt (vgl BSG Urteil vom 26. November 1998 - B 3 P 20/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr 9).
8. Zu Unrecht hat das LSG der Klägerin allerdings einen hauswirtschaftlichen Hilfebedarf von täglich 60 Minuten zugebilligt, wie die Revision zu Recht rügt. Hinsichtlich der hauswirtschaftlichen Versorgung verlangt die Pflegestufe III einen Hilfebedarf „mehrfach in der Woche”, wobei jedoch der Zeitaufwand höchstens mit einer Stunde täglich berücksichtigt werden kann (§ 15 Abs 1 und Abs 3 Nr 3 SGB XI). Auch hier ist bei kranken oder behinderten Kindern grundsätzlich nur auf den Mehrbedarf gegenüber gleichaltrigen gesunden Kindern abzustellen (§ 15 Abs 2 SGB XI). Allerdings ist der individuelle Mehrbedarf auch in diesem Bereich wegen der Bandbreite eines normalen Bedarfs und der Schwierigkeiten, den Zusatzbedarf im Einzelfall konkret zu bemessen, nur mit unsicherem Ergebnis festzustellen. Um dem zu begegnen, sehen die BRi (Abschnitt D Teil 5.0 Ziff III 7) für Kinder pauschalierende Regelungen vor. Diese sind freilich insoweit unzutreffend, als sie für die hier maßgebliche Gruppe der Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr bestimmen, daß der Zeitbedarf für die hauswirtschaftliche Versorgung als erfüllt gilt, wenn neben den übrigen in § 15 Abs 1 SGB XI genannten Voraussetzungen der Pflegestufen I bis III ein über dem eines gesunden gleichaltrigen Kindes liegender hauswirtschaftlicher Versorgungsbedarf (dem Grunde nach) nachgewiesen ist. Diese Formulierung erweckt den Anschein, als ob das Gesetz bei der hauswirtschaftlichen Versorgung einen zeitlichen Mindestbedarf verlangt. Das ist indessen nicht der Fall. Das Gesetz schreibt lediglich vor, daß hauswirtschaftliche Hilfe mehrfach in der Woche benötigt wird und setzt nur eine Grenze für das zeitliche Höchstmaß der Berücksichtigung, nämlich dadurch, daß von dem für die jeweilige Pflegestufe erforderlichen zeitlichen Mindestmaß ein bestimmter Anteil auf die Grundpflege entfallen muß. Die Regelung der BRi kann demgegenüber dazu führen, daß die Voraussetzungen der jeweiligen Pflegestufen als erfüllt angesehen werden, obwohl nur der Mindestbedarf an Grundpflege gegeben ist und der hauswirtschaftliche Mehrbedarf tatsächlich nur geringfügig ist. Das Anliegen einer möglichst großen Praktikabilität rechtfertigt es nicht, im Einzelfall durch Pauschalierung auch solche deutlichen Abweichungen von den gesetzlichen Vorgaben in Kauf zu nehmen. Die BRi sind deshalb gesetzeskonform dahingehend zu korrigieren, daß nur ein erheblicher Mehrbedarf, für den eine abweichende zeitliche Schätzung nicht plausibel begründet werden kann, mit einem Zeitaufwand von 60 Minuten täglich zugrunde gelegt werden kann. Die Klägerin hatte zwar einen hauswirtschaftlichen Mehrbedarf. Der Mehrbedarf bestand in der Notwendigkeit, die Wäsche und die Kleidung der Klägerin wegen der bei Kindern im Alter ab vier Jahren in der Regel nicht mehr anzutreffenden Unfähigkeit, sich sauberzuhalten, häufiger als üblich zu wechseln und zu waschen. Wegen dieses täglich anfallenden Mehraufwands muß aber nicht ein Zeitbedarf von 60 Minuten unterstellt werden, weil sich bei einer konkreten Schätzung ein deutlich niedrigerer Aufwand herausstellen könnte. Dies bleibt zunächst der tatrichterlichen Feststellung mit der Möglichkeit der freien Schätzung (§ 287 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫) vorbehalten.
9. Die Pflegestufe III kann auch bei Erfüllung der zeitlichen Voraussetzungen des § 15 Abs 3 Nr 3 SGB XI nur zuerkannt werden, wenn im Bereich der Grundpflege ein Hilfebedarf „täglich rund um die Uhr, auch nachts” besteht. Die Frage, ob diese Voraussetzung gegeben ist, läßt sich nach den bisherigen Feststellungen ebenfalls nicht beantworten.
Der Senat hat bereits entschieden, daß eine Hilfeleistung „nachts” stattfindet, wenn sie zwischen 22.00 Uhr abends und 6.00 Uhr morgens objektiv erforderlich ist. Nächtliche Kontrollbesuche können dabei ausreichen, wenn sie zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Pflege notwendig sind und nicht auf einen Zeitpunkt vor 22.00 Uhr oder nach 6.00 Uhr gelegt werden können. Dabei ist es – entgegen den BRi (Abschnitt D Teil 1.4) – nicht erforderlich, daß die Pflegeperson für die Hilfeleistung ihren Nachtschlaf unterbricht (BSG Urteil vom 18. März 1999 - B 3 P 3/98 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Eine ständige Ruf- und Einsatzbereitschaft der Pflegeperson reicht allerdings auch hier nicht aus (BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 1). Zudem muß die nächtliche Hilfe grundsätzlich an jedem Tag anfallen; soweit an wenigen einzelnen Tagen im Laufe eines Monats eine solche Hilfe nicht geleistet werden muß, ist dies allerdings unschädlich (BSG aaO).
Das LSG wird zu ermitteln haben, ob die Klägerin einen solchen nächtlichen Hilfebedarf aufweist. In Betracht kommt hier insbesondere die Hilfe beim Waschen und beim Zu-Bett-Gehen. Das regelmäßig anfallende nächtliche Beruhigen allein erfüllt diese Voraussetzungen – wie ausgeführt – nicht.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
NZS 2000, 93 |
SGb 1999, 618 |
SozSi 2000, 105 |