Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragsfreiheit während des Bezugs von Erziehungsgeld in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS)
Beteiligte
…, Klägerin und Revisionsklägerin |
Allgemeine Ortskrankenkasse Reutlingen, Reutlingen, Konrad-Adenauer-Staße 23 |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin während des Bezugs von Erziehungsgeld in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) beitragsfrei war.
Die Klägerin war eingeschriebene Studentin und im Sommersemester 1989 von der Universität beurlaubt. Am 12. April 1989 wurde ihr Kind geboren; anschließend bezog sie Erziehungsgeld. Im Mai 1989 beantragte sie die Befreiung von der Beitragszahlung mit der Begründung, wegen des Bezugs von Erziehungsgeld sei ihre Versicherung beitragsfrei. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 29. August 1989 ab und führte aus: Es seien lediglich aus dem Erziehungsgeld keine Beiträge zu zahlen. Doch müsse nach wie vor der "Studentenbeitrag" berechnet werden. Der Widerspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 1990).
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) hat die Klägerin beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 29. August 1989 und den Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 1990 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihr die während des Bezugs von Erziehungsgeld entrichteten Beiträge nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu erstatten. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 8. März 1990 abgewiesen. Es ist der Ansicht der Beklagten gefolgt.
Mit der Revision rügt die Klägerin die unrichtige Anwendung des § 224 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V).
Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des SG vom 8. März 1990 und den Bescheid der Beklagten vom 29. August 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 1990 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, DM 367,57 nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen. |
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Die Beklagte beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 29. August 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 1990 ist nicht rechtswidrig; denn die Klägerin hatte die Beiträge zur KVdS auch während des Bezugs von Erziehungsgeld für die Zeit vom 12. April 1989 bis 30. September 1989 fortzuentrichten.
In ihrem Widerspruchsbescheid hat die Beklagte ua festgestellt, daß die Klägerin in der Zeit vom 1. Januar 1988 bis zum 30. September 1989, also auch im Sommersemester 1989, als Pflichtmitglied in der KVdS geführt worden ist. Diese Feststellung ist von der Klägerin nicht angegriffen und somit bindend geworden. Der erkennende Senat brauchte daher nicht zu prüfen, ob eingeschriebene Studenten, die im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes von der Universität beurlaubt worden sind, der Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V unterliegen.
Aufgrund ihrer Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten im Sommersemester 1989 hatte die Klägerin den nach § 236 Abs 1 Satz 1 SGB V zu bemessenden Beitrag in voller Höhe allein zu tragen (§ 250 Abs 1 Nr 4 SGB V). Nach § 236 Abs 1 Satz 1 SGB V gilt als beitragspflichtige Einnahme pro Kalendertag 1/30 des Betrags, der als monatlicher Bedarf nach § 13 Abs 1 Nr 2 und Abs 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) für Studenten festgesetzt ist, die nicht bei ihren Eltern wohnen. Auf diese Bemessungsgrundlage ist ein ermäßigter Beitragssatz von 7/10 des durchschnittlichen allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen anzuwenden, den der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung jeweils zum 1. Januar feststellt (§ 245 Abs 1 Satz 1 SGB V). Danach betrug der Beitrag im Sommersemester 1989 monatlich DM 65,25; seine Höhe ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Die Beitragspflicht der Klägerin ist durch den Bezug von Erziehungsgeld nicht entfallen. Nach § 224 Satz 1 SGB V in der ursprünglichen Fassung (aF) des Art 1 des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) - jetzt § 224 Abs 1 Satz 1 SGB V - ist ein Mitglied für die Dauer des Anspruchs auf Krankengeld oder Mutterschaftsgeld oder des Bezugs von Erziehungsgeld beitragsfrei. Nach § 224 Satz 2 SGB V aF (jetzt § 224 Abs 1 Satz 2 SGB V) erstreckt sich die Beitragsfreiheit nur auf die in Satz 1 genannten Leistungen, hier das Erziehungsgeld. Diese seit dem 1. Januar 1989 geltende Regelung ist gegenüber dem früheren Recht als Klarstellung zu verstehen. Das wird durch den Entwurf des GRG bestätigt (BR-Drucks 200/88 = BT-Drucks 11/2237, jeweils S 222 zu § 233). Dort heißt es nämlich, die Vorschrift entspreche § 383 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Die Beitragsfreiheit erstrecke sich nur auf die in Satz 1 genannten Lohnersatzleistungen.
Nach § 383 RVO waren Beiträge nicht zu entrichten, solange Anspruch auf Krankengeld oder Mutterschaftsgeld bestand oder Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) bezogen wurde. Dies galt nach Satz 2 nicht, soweit der Versicherte Arbeitsentgelt erhielt oder Beiträge aufgrund des Bezugs einer Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, von Versorgungsbezügen oder Arbeitseinkommen oder nach § 381 Abs 3a RVO zu entrichten waren. Bei richtigem Verständnis des früheren § 383 RVO begründete der Bezug von Erziehungsgeld dann keine Beitragsfreiheit, wenn die bisherige Beitragsbemessungsgrundlage durch die hinzutretende Sozialleistung Erziehungsgeld weder beeinflußt noch ersetzt wurde. Dieses hat der erkennende Senat in mehreren zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteilen vom 24. November 1992 näher begründet und entschieden, daß bei freiwillig versicherten Sozialhilfeempfängern die nach dem BErzGG geleistete Hilfe zum Lebensunterhalt (Verfahren 12 RK 24/91) und bei verheirateten nicht erwerbstätigen freiwillig Versicherten das halbe Ehegatteneinkommen (Verfahren 12 RK 8/92) auch während des Bezugs von Erziehungsgeld beitragspflichtig sind.
Auch in der KVdS versicherte Studenten waren nach dem vor 1989 geltenden Recht während des Bezugs von Erziehungsgeld nicht beitragsfrei. Entsprechend der jetzt bestehenden Regelung des § 236 Abs 1 Satz 1 SGB V galt damals nach § 180 Abs 3b RVO für die Beitragsbemessung eingeschriebener Studenten als Grundlohn 1/30 des Betrags, der als monatlicher Bedarf nach § 13 Abs 1 und 2 BAföG für Studenten an Hochschulen festgesetzt war, die nicht bei ihren Eltern wohnten. Damit aber wurden bereits nach früherem Recht der Beitragsbemessung fiktive Einnahmen zugrunde gelegt, die unabhängig von tatsächlichen Einnahmen eines Studenten, insbesondere unabhängig davon waren, ob der Student Leistungen nach dem BAföG erhielt. Die fiktiven Einnahmen "entfielen" nicht, wenn eine Studentin Erziehungsgeld bezog. Dieses hatte daher bei in der KVdS versicherten Studenten keinen "Lohnersatzcharakter".
An dieser Rechtslage hat das GRG in § 224 SGB V nichts geändert (vgl auch Wasem in Grintsch/Piepersberg/Schermer/Stephan/Viethen/Wasem/Zipperer, Sozialversicherungsrecht für die Betriebspraxis 4000 § 224 SGB V RdNr 5; derselbe in GKV-Komm 1200 § 224 SGB V RdNr 5; ebenso Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Bundeserziehungsgeldgesetz 1992, Komm, § 1 BErzGG 92 RdNr 18; vgl auch Heiland in von Maydell, GK SGB V § 224 RdNrn 20, 21; Gerlach in Hauck/Haines, SGB, Komm, SGB V § 224 RdNr 9). Dementsprechend hat der erkennende Senat in einem weiteren Urteil vom 24. November 1992 (12 RK 44/92, zur Veröffentlichung vorgesehen) entschieden, daß während des Bezugs von Erziehungsgeld ein freiwilliges Mitglied jedenfalls den Mindestbeitrag nach § 240 Abs 4 SGB V zu entrichten hat. Diese Entscheidung wurde insbesondere damit begründet, daß fiktive Einnahmen wie die des § 240 Abs 4 SGB V während des Bezugs von Erziehungsgeld nicht "entfallen", daß das Erziehungsgeld vielmehr "zusätzlich" gewährt wird und ihm daher keine "Lohnersatzfunktion" zukommt. Was aber beim Bezug von Erziehungsgeld für die Mindestbeiträge nach § 240 Abs 4 SGB V gilt, muß auch für die Beiträge in der KVdS gelten; denn der studentische Pflichtbeitrag wird nach der gesetzlichen Fiktion des § 236 Abs 1 Satz 1 SGB V erhoben. Solcherart fingierte Einnahmen können auch nach geltendem Recht nicht durch den Bezug einer weiteren Sozialleistung wie zB Erziehungsgeld "entfallen". Dies ergibt sich auch daraus, daß Studierende, die Einnahmen aus Versorgungsbezügen oder Arbeitseinkommen haben, dafür nur dann zusätzliche Beiträge nach dem halben allgemeinen Beitragssatz zu entrichten haben, wenn der danach zu errechnende Beitrag höher als der studentische Pflichtbeitrag ist (§ 236 Abs 2 Satz 2 SGB V; vgl auch Schaller ZfS 1990, 53 K 1). Da der studentische Pflichtbeitrag in keinem Fall unterschritten werden darf und entsprechend die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit fiktiv als gegeben unterstellt wird, ist der studentische Pflichtbeitrag weiterhin zu entrichten, wenn "zusätzlich" Erziehungsgeld bezogen wird.
Studentinnen wie die Klägerin sind demnach nicht, wie sie vorbringt, die einzige Personengruppe, die während des Bezugs von Erziehungsgeld Beiträge zu entrichten hat. Abgesehen von den freiwillig Versicherten und den Studenten waren nach früherem Recht und sind nach jetzigem Recht aber auch versicherungspflichtig Beschäftigte und andere Versicherungspflichtige während des Bezugs von Erziehungsgeld nicht beitragsfrei, soweit sie beitragspflichtige Einnahmen wie Renten oder Versorgungsbezüge hatten oder haben (vgl § 180 Abs 5 und Abs 6 RVO; § 226 Abs 1 Satz 1, § 232 Abs 1 Satz 2, § 233 Abs 3, § 234 Abs 2, § 235 Abs 4, § 236 Abs 2, § 237 SGB V).
Aus der Zielsetzung des Bundeserziehungsgeldgesetzes folgt nichts anderes. Erziehungsgeld bleibt als Einkommen bei Sozialleistungen, deren Gewährung von anderen Einkommen abhängig ist, unberücksichtigt (§ 8 Abs 1 Satz 1 BErzGG). § 224 SGB V stellt sicher, daß das Erziehungsgeld unbelastet von Krankenversicherungsbeiträgen zufließen kann. Dagegen ist weder dem BErzGG noch § 224 SGB V der Zweck zu entnehmen, die studentische Pflichtversicherung beitragsfrei durchzuführen. Das BErzGG soll es ermöglichen oder erleichtern, daß sich ein Elternteil in der für die ganze spätere Entwicklung entscheidenden ersten Lebensphase eines Kindes dessen Betreuung und Erziehung widmet, indem für Mütter und Väter mehr Wahlfreiheit zwischen der Tätigkeit für die Familie und einer Erwerbstätigkeit geschaffen wird (BT-Drucks 10/3792; BSGE 67, 238 = SozR 3-7833 § 1 Nr 1). Damit soll das Erziehungsgeld den wirtschaftlichen Nachteil der Einschränkung der Erwerbsmöglichkeit während und wegen der Betreuung und Erziehung eines Kindes in der ersten Lebensphase teilweise ausgleichen, nicht aber Unterhaltsaufwendungen ersetzen oder - abstrakt - die Zuwendung zum Kind "belohnen" (BSGE aaO S 240). Ein vollständiger Ausgleich der mit der Kindererziehung verbundenen Lasten ist durch das Erziehungsgeldgesetz nicht vorgesehen. Eine Einschränkung der Erwerbsmöglichkeit wegen der Betreuung und Erziehung eines Kindes kann bei Studenten ohnehin nur dann in Betracht kommen, wenn sie neben dem Studium erwerbstätig waren. Im Regelfall, dh, wenn eine Erwerbstätigkeit nicht oder nur während der Semesterferien ausgeübt wird, liegt ein wirtschaftlicher Nachteil der Einschränkung der Erwerbstätigkeit wegen der Betreuung eines Kindes von vornherein nicht vor. Daher läßt sich aus dem BErzGG ein tragfähiges Argument für die Beitragsfreiheit in der KVdS nicht ableiten.
Da die Klägerin nach alledem im Sommersemester 1989 den Studentenbeitrag zu entrichten hatte, scheidet eine Erstattung des gezahlten Beitrags aus. Die Revision erwies sich demnach als unbegründet und war zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen
NJW 1994, 1614 |
Breith. 1994, 265 |