Beteiligte

Klägerin und Revisionsklägerin

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I

Die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) wendet sich gegen den Anschluß der beigeladenen Innung an die ebenfalls beigeladene Innungskrankenkasse (IKK).

Durch den Bescheid des beklagten Landes (Oberversicherungsamt) vom 28. August 1974 wurde der Anschluß der Innung an die IKK genehmigt Zugleich wurde die entsprechende Änderung der Satzung der IKK genehmigt. Der Anschluß ist am 1. Oktober 1974 wirksam geworden. Gegen den Genehmigungsbescheid haben die AOK für die Stadt H… und die AOK für den Kreis H… Klage erhoben, nicht aber die dritte Rechtsvorgängerin der jetzigen Klägerin, die AOK für den ehemaligen Landkreis :P… . Die Vereinigung der genannten drei AOK'en wurde mit Wirkung vom 1. Juli 1975 vollzogen. Durch den beanstandeten Innungsanschluß haben diese Kassen etwas über 100 Mitglieder verloren.

Die Klägerin hält den Genehmigungsbescheid aus verschiedenen Gründen für rechtswidrig:

Die nach § 250 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für den Anschluß erforderliche Zustimmung des Gesellenausschusses der beigeladenen Innung sei unwirksam, weil zur Sitzung des Gesellenausschusses dadurch nicht ordnungsgemäß geladen worden sei, daß in der Ladung nicht der Gesellenausschuß, sondern der Gesellenprüfungsausschuß aufgeführt worden sei. Ferner habe den Genehmigungsantrag nicht die beigeladene Innung, sondern die Kreishandwerkerschaft gestellt, so daß § 252 Abs. 1 RVO verletzt sei. Die Zustimmung des Gesellenausschusses der beigeladenen Innung reiche zudem für den Anschluß dieser Innung an die IKK nicht aus. Da der Anschluß im Grunde nichts anderes als eine Art Errichtung sei, müßten wie bei der Errichtung die Gesellenausschüsse auch der Innungen zustimmen, die bereits Trägerinnungen seien. Auch durch diese Unterlassung sei § 250 Abs. 1 RVO verletzt. Daß die Gesellenausschüsse der anderen Innungen zustimmen müßten, zeige sich jetzt an § 250 Abs. 1 a RVO, der durch das Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetz (KVWG) vom 18. Dezember 1976 - BGBl. I 3871- geschaffen worden ist. Schließlich sieht die Klägerin durch den Anschluß der Innung an die IKK den Bestand und die Leistungsfähigkeit der Klägerin im Sinne des § 251 Abs. 1 RVO gefährdet. Der Mitgliederverlust, den sie durch den Anschluß habe hinnehmen müssen, habe zwar noch nicht zu einer Beitragserhöhung oder zu einer Leistungsminderung gezwungen. Es müsse aber berücksichtigt werden, daß sie durch die Gründung und Erweiterung von IKK'en gute Risiken verloren habe und noch weiter verliere. Die dadurch herbeigeführte schlechte Risikostruktur sei eine deutliche Gefährdung ihres Bestandes und ihrer Leistungsfähigkeit.

Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- Hannover vom 3. April 1978; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Niedersachsen vom 19. September 1979.

Die Klägerin hat die von dem LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der §§ 250 Abs. 1, 251 Abs. 1 Nr. 1, 252 Abs. 1 RVO.

Sie beantragt., die Urteile des LSG Niedersachsen vom 19. September 1979 und des SG Hannover vom 3. April 1978 und den Bescheid des Beklagten vom 28. August 1974 aufzuheben.

Der Beklagte, die beigeladene IM und die beigeladene Innung (diese vertreten durch die Kreishandwerkerschaft nach § 87 Nr. 5 der Handwerksordnung -HwO-) beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Der beigeladene Landkreis Sch… stellt keinen Antrag.

II

Die Revision ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.

Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Genehmigungsantrag auch von der Kreishandwerkerschaft wirksam auf Ersuchen der beigeladenen Innung (§ 87 Nr. 5 HwO) gestellt werden konnte. Die Klägerin wendet sich im Revisionsverfahren nicht mehr dagegen, daß die Kreishandwerkerschaft eingeschaltet worden ist, meint aber, diese hätte nicht durch die Innungsversammlung, sondern durch den Vorstand beauftragt werden müssen. Diesem Einwand braucht nicht nachgegangen zu werden. Selbst wenn er berechtigt sein sollte, könnte er nur auf die Verletzung einer Vorschrift der Satzung der Innung gestützt werden, denn die gesetzliche Abgrenzung der Befugnisse der Innungsversammlung und des Vorstandes (§ 61 Abs. 2, § 66 Abs. 2 HwO) rechtfertigt die Auffassung der Klägerin nicht. Das hier in Betracht kommende Satzungsrecht erstreckt sich nicht über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus. Auf die Verletzung dieses Rechts kann die Revision nicht gestützt werden (§ 162 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Auch die Rüge, der Zustimmungsbeschluß des Gesellenausschusses sei unwirksam, weil die Mitglieder dieses Ausschusses nicht vorschriftsmäßig geladen worden seien, führt nicht zum Erfolg. Das LSG hat festgestellt, die Bezeichnung "Gesellenprüfungsausschuß" in der Ladung anstelle von "Gesellenausschuß" sei ein offensichtlicher Schreibfehler gewesen. Daraus folgt, daß der Schreibfehler von den Mitgliedern des Gesellenausschusses als solcher erkannt worden ist und daher keine Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Gesellenausschusses bei der Beschlußfassung haben konnte. Gegen diese sich aus den Darlegungen des LSG ergebende Feststellung hat die Klägerin keine Rüge erhoben.

Nicht begründet ist ferner die Meinung der Revision, der Anschluß hätte nur genehmigt werden dürfen, wenn die Gesellenausschüsse der Trägerinnungen dem Anschluß ebenfalls zugestimmt hätten. Das LSG hat zutreffend dargelegt, daß dies nach ständiger Rechtsprechung bisher nicht verlangt worden ist (BSGE 79, 169, 171, 173 f.; 37, 211, 213 f.) und daß auch das KVWG, das § 250 Abs. 1 a RVO geschaffen hat, daran nichts geändert hat. § 250 Abs. 1 a RVO macht die versicherungsrechtliche Folgen - Kassenerweiterung - eines Innungszusammenschlusses (Satz 1) oder einer Innungserweiterung (Satz 2) davon abhängig; daß der Gesellenausschuß der vereinigten oder erweiterten Innung diesen versicherungsrechtlichen Folgen zustimmt. Diese Regelung war erforderlich, weil anderenfalls die Meinung vertreten werden konnte, die Kassenerweiterung trete kraft Gesetzes (§ 250 Abs. 2 RVO) ein, schließe sich also ohne Mitwirkung des Gesellenausschusses an den handwerksrechtlichen Vorgang an (vgl. dazu das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des 8b-Senats vom 19. Dezember 1979 - 8b RK 2/78). Aus dieser Neuregelung können keine Folgerungen auf Fälle gezogen werden, in denen - wie hier - keine handwerksrechtliche, sondern unmittelbar eine versicherungsrechtliche Veränderung herbeigeführt werden soll, für die schon immer die Zustimmung des Gesellenausschusses der anschlußwilligen Innung in entsprechender Anwendung der Errichtungsvorschrift des § 250 Abs. 1 RVO verlangt worden ist. Da der Anschluß an eine IKK nur für die anschlußwillige Innung einem Errichtungsakt gleichkommt, besteht kein Grund zu verlangen, daß auch die Trägerinnung die Errichtungsvorschriften erneut erfüllt.

Der Anschluß einer Innung an eine IKK setzt allerdings die Bereitschaft der IKK voraus, die anschlußwillige Innung aufzunehmen. Diese Aufnahmebereitschaft wird durch die Änderung der Satzung der IKK beschlossen. Die Satzungsänderung kann wie hier mit der Anschlußgenehmigung genehmigt werden (§ 324 Abs. 1 RVO).

Die Satzungsänderung ist jedoch als versicherungsrechtlicher Vorgang durch die Vertreterversammlung (§ 321 Nr. 10 RVO und seit 1. Juli 1977 § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - vom 23. Dezember 1976, BGBl. I 3845) zu beschließen. Nur bei der Errichtung der Satzung haben die handwerksrechtlichen Organe Vertreterversammlung und Gesellenausschuß mitzuwirken (§ 320 RVO). Jedenfalls für die Trägerinnungen, deren Mitwirkung die Klägerin für geboten hält, stellt sich der Anschluß der beigeladenen Innung als Satzungsänderung, nicht als Satzungserrichtung dar.

Die bisherigen Feststellungen reichen aus, um die materielle Genehmigungsvoraussetzung des § 251 Abs. 1 Nr. 1 RVO zu begründen. Nach dieser Vorschrift darf eine IKK nur errichtet werden, wenn sie den Bestand oder die Leistungsfähigkeit vorhandener AOK'en nicht gefährdet. Diese Vorschrift ist auch anzuwenden, wenn für eine Innung eine IKK in der Weise "errichtet" wird, daß sich die Innung an eine bereits bestehende IKK anschließt (BSGE 7, 169). Die klagende AOK ist nicht gefährdet. Entgegen der Meinung des LSG ist die Gefährdung im Sinne des § 251 Abs. 1 Nr. 1 RVO allerdings nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin einräumen mußte, sie habe den Beitragssatz nicht wegen des Anschlusses der beigeladenen Innung anheben müssen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist eine Gefährdung im Sinne des § 251 Abs. 1 Nr. 1 RVO dann anzunehmen, wenn die betroffene AOK im Vergleich zu gleichartigen Kassen des betreffenden Wirtschaftsraumes infolge der Abgabe von Mitgliedern die bei den Vergleichskassen erhobenen Beiträge erheblich überschreiten müßte oder wenn ihre Leistungen nicht unwesentlich unter denen vergleichbarer Kassen liegen würden (BSGE 14, 71; BSG in SozR § 251 RVO Nr. 7). Das bedeutet aber nicht, daß eine AOK erst dann gefährdet ist, wenn der Mitgliederverlust schon zu einer Beitragserhöhung oder zu einer Leistungsminderung geführt hat. Der Begriff der Gefährdung umfaßt auch die Fälle, in denen in dem maßgebenden Prüfungszeitpunkt festgestellt werden kann (BSGE 31, 283, 287), daß mit einer erheblichen Beitragserhöhung oder mit einer wesentlichen Leistungsminderung erst später mit einiger Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist.

Es kann offen bleiben, ob bei dieser Prüfung nur die Tatsachen zu berücksichtigen sind, die bis zur Zeit des Anschlusses am 1. Oktober 1974 erkennbar geworden sind (BSG SozR Nr. 9 zu § 250 RVO) oder ob die Auswirkungen auf die Klägerin, die erst am 1. Juli 1975 entstanden ist, noch ins Gewicht fallen. Denn zu keinem dieser möglichen Prüfungszeitpunkte lagen Tatsachen vor, die darauf schließen lassen, daß in absehbarer Zeit eine erhebliche Beitragserhöhung oder eine wesentliche Leistungsminderung vorgenommen werden müßte. Dies ist unabhängig davon, ob nur die Mitgliederabgänge ins Gewicht fallen, die die beiden klagenden Rechtsvorgängerinnen der Klägerin betrafen oder ob auch die Mitgliederabgänge berücksichtigt werden, die die nicht klagende Rechtsvorgängerin hingenommen hat. Die Klägerin trägt zwar Tatsachen vor, die auf eine schlechte Risikostruktur im Vergleich zur IKK schließen lassen. Sie behauptet aber selbst nicht, daß dies jetzt schon feststellbare Folgen für die Beitragshöhe oder den Leistungsumfang haben werde.

Deshalb sind auch die Befürchtungen der Klägerin, durch eine "Scheibchentaktik" zu erheblicher Beitragserhöhung oder wesentlicher Leistungskürzung gezwungen zu werden, gegenwärtig rechtlich bedeutungslos. Richtig ist, daß die früheren Mitgliederverluste, soweit sie zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Rechtsvorgängerinnen der Klägerin und damit der Klägerin selbst geführt haben, nicht außer Acht gelassen werden dürfen (vgl. BSG SozR § 251 RVO Nr. 7).

Wenn diese Mitgliederverluste zusammen mit dem durch die anhängige Klage beanstandeten Mitgliederverlust zu einer erheblichen Beitragserhöhung oder wesentlichen Leistungskürzung führen müßten, könnte möglicherweise der jetzige Mitgliederverlust als ursächlich auch dann angesehen werden, wenn er eine wirtschaftlich gesunde AOK nicht wesentlich treffen würde. Die Klägerin trägt aber selbst vor, daß mit einer erheblichen Beitragserhöhung oder wesentlichen Leistungskürzung nur dann zu rechnen ist, wenn sich der Mitgliederabgang durch IKK-Gründungen und Innungsanschlüsse fortsetze. Solche heute noch unbestimmten Vorgänge könnten erst in einem dann durchzuführenden Errichtungs- oder Anschlußverfahren berücksichtigt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.8a RK 15/79

Bundessozialgericht

Verkündet am 29. August 1980

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518626

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