Entscheidungsstichwort (Thema)
Mehraufwand, schädigungsbedingt. Motorfahrzeug. Kraftfahrzeug. Hilfsmittel. Automatik. Änderung. Serienausstattung. Nachrüstung. Listenpreis. Ausstattungspaket. Servolenkung
Leitsatz (amtlich)
Ein zu ersetzender Mehraufwand für Änderungen von Bedienungseinrichtungen kann nicht nachgewiesen werden, wenn das gekaufte Kraftfahrzeug schon serienmäßig oder im Rahmen eines Ausstattungspakets mit der geänderten Bedienungseinrichtung ausgestattet ist.
Normenkette
BVG § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 S. 1 Nrn. 1, 4, S. 3; OrthV § 27 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 11. März 1993 und des Sozialgerichts Berlin vom 29. August 1991 aufgehoben.
Die Klage gegen den Bescheid vom 12. September 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 1990 wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Bei dem Kläger ist als Schädigungsfolge mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 vH der Verlust des linken Armes anerkannt. Sein Führerschein enthält ua die Auflage, „nur Kfz mit automatischer Kraftübertragung (Kupplung oder Getriebe)” zu führen. Im Juni 1990 kaufte der Kläger zum Preise von 59.581,– DM ein gebrauchtes Kraftfahrzeug vom Typ Opel Senator 3,0 CD mit Viergang-Automatik. Der Beklagte lehnte es ab, Kosten für die Automatik zu übernehmen, weil sie zur Serienausstattung eines Opel Senator 3,0 CD gehöre (Bescheid vom 12. September 1990; Widerspruchsbescheid vom 8. November 1990).
Das Sozialgericht Berlin (SG) hat den Beklagten verurteilt, an den Kläger 2.100,– DM zu zahlen (Urteil vom 29. August 1991). Das Landessozialgericht Berlin (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 11. März 1993). Nach der Orthopädie-Verordnung (OrthV) vom 4. Oktober 1989 (BGBl I S 1834) seien die Kosten für die Sonderausstattung in Motorfahrzeugen mit einem automatischen Getriebe zu übernehmen. Um eine solche Sonderausstattung handele es sich hier. Sonderausstattung sei, was über die übliche Ausstattung eines Kraftfahrzeuges hinausgehe. Daß ein Automatikgetriebe nicht als übliche Ausstattung zu beurteilen sei, ergebe sich schon daraus, daß die OrthV sie ausdrücklich erwähne. Es komme nicht auf einen bestimmten Hersteller und auf einen bestimmten Kraftfahrzeugtyp an, sondern darauf, was allgemein gebräuchlich sei und was demgegenüber eine Besonderheit darstelle. Weil Automatikgetriebe noch nicht allgemein gebräuchlich zu beurteilen seien, handele es sich um eine Sonderausstattung ohne Rücksicht darauf, daß der Opel Senator 3,0 CD – anders als der Opel Senator – serienmäßig mit automatischem Getriebe ausgestattet sei. Für die abweichende Auffassung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) in der Begründung zur OrthV, wonach Mehrkosten nur bei fabrikmäßiger Sonderausstattung und Aufschlag auf den Listenpreis oder bei Nachrüstung mit einem Automatikgetriebe übernommen werden könnten, finde sich im Text der Verordnung kein Hinweis.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision macht der Beklagte die Verletzung materiellen Rechts geltend. Er beruft sich auf die Auslegung der OrthV durch den BMA in einem Rundschreiben vom 23. Oktober 1992 (VI 3-52222-5). Danach könnten hier Kosten für das Automatikgetriebe nicht übernommen werden, weil es sich um eine serienmäßige Sonderausstattung handele.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. August 1991 und das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 11. März 1993 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene sieht den Sinn der hier einschlägigen Regelungen im Ausgleich eines schädigungsbedingten Mehraufwandes. Schädigungsbedingt sei der Mehraufwand nicht, wenn der Beschädigte sich ein Kraftfahrzeug kaufe, das serienmäßig mit Automatik ausgerüstet sei. In diesen Fällen sei davon auszugehen, daß er es nicht wegen der Schädigungsfolgen, sondern aus anderen Gründen mit dieser Ausstattung gekauft habe.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Automatik, weil sich nicht feststellen läßt, daß diese Kosten durch Schädigungsfolgen verursachter Mehraufwand sind.
Kriegsbeschädigte erhalten zur Ergänzung der Versorgung mit Hilfsmitteln Zuschüsse zu den Änderungskosten bei Motorfahrzeugen. Das ist in §§ 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) für Beschädigte geregelt, die wegen der Schädigungsfolgen zur Fortbewegung auf ein Hilfsmittel angewiesen sind. Anstelle eines Rollstuhls wird die Anschaffung eines Motorfahrzeuges und dessen behinderungsgerechte Änderung bezuschußt. § 11 Abs. 3 Satz 3 BVG erweitert den Kreis der Leistungsberechtigten um Empfänger einer Pflegezulage mindestens nach Stufe III. Bei ihnen kommt es nicht darauf an, ob das Motorfahrzeug anstelle eines Hilfsmittels beschafft oder geändert wird. Noch weiter geht seit langem die Praxis der Versorgungsverwaltung (RdSchr des BMA vom 27. März 1954 ≪BVBl 1954, 57≫). Sie übernimmt Änderungskosten immer dann, wenn der Beschädigte ein Kraftfahrzeug nach seiner Fahrerlaubnis wegen Schädigungsfolgen nur mit besonderen Bedienungseinrichtungen führen kann und darf. Damit werden ohne Rücksicht auf ihren Bedarf an Hilfsmitteln alle Beschädigten in den Kreis der Leistungsberechtigten einbezogen, die – wie der Kläger – durch Schädigungsfolgen nicht in der Fähigkeit zur Fortbewegung, sondern nur in ihrer Fähigkeit behindert sind. Auto zu fahren. Ob es dafür eine gesetzliche Grundlage gibt, erscheint zweifelhaft. Eine solche Grundlage wollte der Gesetzgeber zwar mit § 13 Abs. 1 BVG idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85) – jetzt: § 11 Abs. 3 BVG idF vom 23. März 1990 (BGBl I 582) – sichern, weil bis dahin die Leistungen allein nach den zitierten Rundschreiben des BMA und nach 1956 aufgrund von Verordnungen (zuletzt § 2 der VO zur Durchführung des § 13 BVG vom 6. Juni 1961 ≪BVBl 1961, 82≫) erbracht worden waren. Da § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BVG (früher: § 13 Abs. 1 Satz 3 BVG aF) aber ausschließlich die Änderung von Motorfahrzeugen „anstelle bestimmter Hilfsmittel” behandelt, könnte für einen Anspruch des Klägers eine gesetzliche Grundlage nur gefunden werden, wenn Motorfahrzeuge zugleich Geräte sind, deren Änderung in Nr. 4 behandelt wird, wenn also Nr. 1 keine abschließende Regelung für Motorfahrzeuge enthält.
Keine einschlägige Grundlage für den Anspruch des Klägers ist § 7 der Verordnung über Kraftfahrzeughilfe zur beruflichen Rehabilitation (Kraftfahrzeughilfeverordnung ≪KfzHV≫ vom 28. September 1987 ≪BGBl I 2251 ≫), wonach die Kosten für erforderliche Zusatzausstattungen an Kraftfahrzeugen auch dann gewährt werden, wenn die Behinderung nicht das Gehen beeinträchtigt. Es genügt, daß die Behinderung das Fahren beeinträchtigt und der Behinderte auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist, um den Ort seiner beruflichen Betätigung zu erreichen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 KfzHV und Urteil des Senats in SozR 3-5765 § 3 Nr. 1). Die KfzHV gilt nämlich, wie schon ihr Name sagt und in § 1 ausdrücklich hervorgehoben wird, nur für die Eingliederung Behinderter in das Arbeitsleben. Dieses Ziel verfolgt die hier in Rede stehende Ergänzung der orthopädischen Versorgung für den 1921 geborenen Kläger nicht.
Die ausreichende gesetzliche Grundlage für die nach § 24 a Buchst a BVG erlassene OrthV wird im folgenden unterstellt. Auch dann besteht aber kein Anspruch des Klägers auf Kostenübernahme für die Automatik. Wie alle Ansprüche aus dem Versorgungsrecht sind auch Zuschüsse zu den Änderungskosten eines Kraftfahrzeuges davon abhängig, daß die Schädigungsfolgen wesentliche Ursache für den Mehraufwand sind. Daran fehlt es hier.
Der Mehraufwand für ein „automatisches Getriebe” (§ 27 Abs. 1 Nr. 2 OrthV) ist durch die Schädigung bedingt, wenn sich der Beschädigte ohne die Schädigungsfolgen keine Automatik beschafft hätte. Dieser Ursachenzusammenhang steht nicht schon deshalb fest, weil der Beschädigte gezwungen ist, sich ein Kraftfahrzeug mit Automatik zu beschaffen. Der schädigungsbedingte Zwang zur Beschaffung genügt nur bei Bedienungseinrichtungen, die ausschließlich von Behinderten benutzt werden, wie zB der Drehknopf am Lenkrad für einen armamputierten Beschädigten. In anderen Fällen kann die Ursächlichkeit auch nicht allein nach der – behaupteten – Motivation des Beschädigten festgestellt werden. Denn Kraftfahrzeuge mit Automatik werden für einen breiten Kundenkreis, nicht nur für Behinderte angeboten. Sie werden von Behinderten und Nichtbehinderten gekauft; ihr im Kaufpreis enthaltener Kostenanteil wird aufgewandt, ohne daß die Gründe hierfür deutlich wären. Die Motive zum Kauf eines Autos mit Automatik sind danach vielfältig. Sie lassen sich nicht ohne äußere Anhaltspunkte in einen schädigungsunabhängigen und einen – wesentlichen – schädigungsbedingten Teil aufspalten. Das Merkmal „wesentlich” verlangt eine Wertung, die nur auf objektiv feststellbare Umstände gestützt werden kann. Diese Umstände müssen typischerweise auf eine schädigungsbedingte Veranlassung schließen lassen.
Die äußeren Umstände bei Anschaffung einer Automatik sind unterschiedlich. Die Skala reicht von der serienmäßigen Ausstattung bis zur Nachrüstung in einer Werkstatt. Ist das Kraftfahrzeug serienmäßig mit Automatik ausgerüstet, so hat der Käufer keine Wahl. Er kann diesen Kraftfahrzeugtyp nur mit Automatik erwerben. Die Automatik kann auch zusammen mit anderen Zusatzausstattungen und besonderen Ausstattungsdetails Teil eines geschlossen angebotenen Zusatzpakets sein. Sie kann außerdem als Sonderausstattung gegen Aufschlag auf den Listenpreis lieferbar sein und schließlich läßt sie sich in einer Werkstatt nachträglich einbauen; das wird man als Beleg für schädigungsbedingte Mehraufwendungen werten dürfen, weil Nichtbeschädigte und Nichtbehinderte ein Kraftfahrzeug nur ausnahmsweise mit einer Automatik nachrüsten lassen. Einmal gibt es ein vielfältiges Angebot, das den Neuerwerb mit Automatik ermöglicht. Andererseits werden solche Nachrüstkosten nur in gewissen Zwangslagen in Anspruch genommen, weil sie unverhältnismäßig zeit- und kostenaufwendig sind. Ein solches Verhalten läßt auf mehr als eine Vorliebe für Bequemlichkeit schließen; es rechtfertigt die Annahme, daß es zwingende Gründe gibt – zB die Behinderung.
Bei serienmäßiger Ausstattung des Kraftfahrzeuges mit Automatik gelingt hingegen die Wertung des schädigungsbedingten Motivanteils als wesentlich nicht, weil Beschädigte und ein großer Teil von Nichtbeschädigten und Nichtbehinderten sich hier beim Kauf eines bereits beschädigungsgerecht ausgestatteten Kraftfahrzeuges nach den äußeren Umständen ununterscheidbar gleichförmig verhalten. Dasselbe gilt, wenn die Automatik – wie hier – Teil eines Pakets von Zusatzausstattungen ist, die nicht sämtlich zum Ausgleich der Schädigungsfolgen erforderlich sind. Auch in diesen Fällen werden die – häufig unter einer besonderen Bezeichnung (S, LS, GLS uä) vermarkteten – Kraftfahrzeuge aus vielfältigen Gründen auch von Nichtbeschädigten und Nichtbehinderten gekauft. Wie die Anschaffung einer Automatik als Sonderausstattung ab Werk unter Aufschlag auf den Listenpreis zu beurteilen wäre, kann hier offenbleiben.
Dieses Ergebnis steht im Einklang mit dem vom Gesetzgeber in § 11 Abs. 3 Satz 1 Nrn 1 und 4 BVG verwendeten Begriff der „Änderung” von Motorfahrzeugen. Geändert wird ein Kraftfahrzeug durch Umbauten und Einbauten. Ob Änderungen vorgenommen worden sind, ist nicht durch Vergleich mit einem gedachten Kraftfahrzeug festzustellen. Zu vergleichen ist der Zustand eines konkreten – vom Beschädigten angeschafften – Kraftfahrzeuges vor und nach der behaupteten Änderung. Änderung ist mithin die Nachrüstung eines Kraftfahrzeuges durch Einbau der Automatik in einer Werkstatt. Zweifelhaft ist bereits die „vorweggenommene” Änderung bei fabrikmäßiger Sonderausstattung unter Aufschlag auf den Listenpreis. Das sieht der BMA für die Servolenkung noch als Fiktion einer Änderung an (vgl. RdSchr vom 16. September 1987 ≪BArbBl 1987, 11/87≫) und der Verordnungsgeber hat diesen Fall bei der Automatik durch das Wort „Sonderausstattung” in § 27 Abs. 1 OrthV in die Leistungspflicht einbeziehen wollen (vgl. Begründung zu § 27 OrthV, BArbBl 1989, 11/72≫). Vollends ausgeschlossen ist eine Änderung jedenfalls, wenn das Kraftfahrzeug serienmäßig nur mit Automatik lieferbar ist. Dieses Kraftfahrzeug ist insoweit nicht änderungsfähig. Dasselbe gilt für die in Ausstattungspaketen enthaltene Automatik. Diese Auslegung ist auch deshalb geboten, damit sich Beschädigte nicht verkehrsübliche Komfortausstattungen durch die Versorgungsverwaltung finanzieren lassen. Der aus dem Preis für einen Serienwagen oder ein „Paketangebot” herausgerechnete Preisanteil für die Automatik beziffert nicht tatsächliche Mehraufwendungen. Die Kostenübernahme ist aber auf einen nachweisbaren tatsächlichen Aufwand zu begrenzen. Damit werden Mitnahmeeffekte im Zuge der technischen Weiterentwicklung ausgeschlossen. Aus diesem Grund werden inzwischen weder für rechte Außenspiegel noch für heizbare Heckscheiben die Kosten erstattet.
Eine ähnliche Entwicklung wie bei der Automatik in Kraftfahrzeugen ist auch bei anderen Geräten zu beobachten. Teilweise in Anpassung an geänderte Konsumentenwünsche und teilweise im Zuge technischer Weiterentwicklung werden sie zunehmend allgemein schädigungs- und behindertengerecht ausgestattet und angeboten oder verlieren ihre Hilfsmitteleigenschaft, weil sie zum Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens werden. Der Verordnungsgeber hat das berücksichtigt, indem er elektrische Rasiergeräte, Aktentaschen mit Tragriemen und Schlüpfschuhe (Slipper) aus der Liste der Hilfsmittel mit der Begründung gestrichen hat, diese Gegenstände gehörten heute zur normalen Ausstattung, durch ihre Anschaffung entstehe kein behinderungsbedingter Mehraufwand (vgl. die Begründung zu § 18 OrthV, BArbBl 1989, 11/72).
Dem Kläger sind Kosten auch nicht deshalb zu erstatten, weil er das Kraftfahrzeug als – wohl neuwertigen – Gebrauchtwagen gekauft hat. Ebenso wie fabrikneue Kraftfahrzeuge werden Gebrauchtwagen in großer Zahl mit Automatik und damit bereits behindertengerecht ausgerüstet allgemein angeboten und gleichermaßen von Beschädigten und Nichtbeschädigten aus vielfältigen Gründen gekauft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen