Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankengeldbezug. Krankengeldkürzung. nachträglicher Wegfall der Rentenversicherungspflicht. beitragsrechtliche Rückabwicklung. Knappschaftsausgleichsleistung
Leitsatz (amtlich)
Keine Rückabwicklung nach dem 1.1.1992 zu Recht wegen des Bezugs von Krankengeld entrichteter Rentenversicherungsbeiträge, auch wenn dem Versicherten nachträglich Knappschaftsausgleichsleistung bewilligt und das Krankengeld insoweit gekürzt wird (Anschluß an BSG vom 25.1.1995 – 12 RK 51/93 = BSGE 75, 298 = SozR 3-2400 § 26 Nr 6).
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SGB IV § 26 Abs. 2; SGB V § 50 Abs. 2 Nr. 3; SGB VI § 3 S. 1 Nr. 3; SGB V § 5 Abs. 4 Nr. 1; SGB VI § 33 Abs. 2, 5, § 54 Abs. 3, § 58 Abs. 1 Nr. 4, §§ 71, 161 Abs. 1, § 170 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2, § 276 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Dezember 1995 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger verlangt die Erstattung eines Teils seiner wegen Krankengeldbezuges entrichteten Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung (RV), weil und soweit das Krankengeld rückwirkend gekürzt worden ist.
Der im Jahre 1937 geborene Kläger war bis zum 6. August 1992 versicherungspflichtig beschäftigt. Ab dem 26. Juni 1992 war er arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte – als Krankenversicherungsträger – zahlte ihm ab dem 7. August 1992 Krankengeld (Krg), aus dem wiederum Beiträge zur Beklagten als Träger der knappschaftlichen RV abgeführt wurden.
Auf seinen Antrag gewährte die Beklagte dem Kläger Knappschaftsausgleichsleistung (KAL) für die Zeit ab dem 1. Oktober 1992 (Bescheid vom 18. Dezember 1992). Durch Bescheid vom 4. März 1993 teilte sie ihm mit, daß das Krg um den Betrag der KAL zu kürzen sei; soweit diese Kürzung bis zum Eingang der Rentenmitteilung am 4. Januar 1993 noch nicht vorgenommen worden sei, stehe der Krankenversicherung (KV) ein Erstattungsanspruch zu. Der zu erstattende Betrag werde von der Rentennachzahlung einbehalten und die hierauf entfallenden Beiträge zur Arbeitslosenversicherung würden zurückgezahlt. Als der Kläger daraufhin auch die entsprechende Rückzahlung der vom 1. Oktober 1992 bis 4. Januar 1993 entrichteten Beiträge zur knappschaftlichen RV verlangte, lehnte die Beklagte dies ab (Bescheid vom 8. April 1993). Seinen Widerspruch gegen die Kürzung des Krg und die Einbehaltung der RV-Beiträge wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 1993).
Das Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger die vom 1. Oktober 1992 bis 4. Januar 1993 für den nachträglich gekürzten Anteil des Krg gezahlten Beiträge zu erstatten (Urteil vom 9. Dezember 1994). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 21. Dezember 1995). Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beitragspflicht wegen des Bezugs von Krg, die aus der Versicherungspflicht des § 3 Satz 1 Nr 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) folge, sei nicht rückwirkend durch die nachträgliche Bewilligung der KAL entfallen. Zwar fehle es an gesetzlichen Regelungen zu den beitragsrechtlichen Folgen aus dem Zusammentreffen von Krg und KAL, nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen seien aber rückwirkende, auf nachträglichen Rechtsänderungen beruhende Umgestaltungen der Beitragslast ausgeschlossen. Nach dem Wortlaut des § 26 Abs 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) komme es auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Beitragsentrichtung an. Zudem lasse sich die nachträgliche Beitragserstattung nicht mit der vorausgegangenen Gewährleistung des aus den Beitragszahlungen resultierenden Versicherungsschutzes vereinbaren. Dabei sei es angesichts der Eigenheiten einer Versicherung ohne Bedeutung, ob die durch die Beitragsentrichtung begründeten Beitragszeiten im Einzelfall tatsächlich zu einer höheren Leistung bei künftigen Versicherungsfällen führten. Nachdem das Bundessozialgericht (BSG) im Hinblick auf den erworbenen Versicherungsschutz sogar bei der nachträglichen und zum Ausschluß des Anspruchs auf Krg führenden Bewilligung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) an der Beitragspflicht festgehalten habe (Hinweis auf das Urteil des BSG vom 25. Januar 1995 – 12 RK 51/93 – ≪BSGE 75, 298 = SozR 3-2400 § 26 Nr 6≫), gelte dies bei der nachträglichen Kürzung des dem Grunde nach unberührten Anspruchs auf Krg erst recht.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 26 Abs 2 SGB IV. Die vom Krg einbehaltenen RV-Beiträge seien ihm zu erstatten, weil er als Rentner ab dem 1. Oktober 1992 nicht mehr rentenversicherungspflichtig gewesen sei. Zur Abführung der Beiträge sei es allein deshalb gekommen, weil die Beklagte erst nach mehr als vier Monaten über den Antrag auf KAL entschieden habe. Das vom LSG herangezogene BSG-Urteil sei nicht einschlägig, da die beitragsrechtlichen Folgen des Bezugs einer Rente wegen EU anders als diejenigen der Bewilligung von KAL zu beurteilen seien. Während sich die Erwerbs- oder die Berufsunfähigkeit häufig erst nach einer umfangreichen medizinischen Sachverhaltsaufklärung feststellen lasse, habe bereits zu Beginn des Krg-Bezugs festgestanden, daß die ab dem 1. Oktober 1992 zu gewährende KAL mit dem im voraus geleisteten Krg verrechnet und damit die Beitragspflicht zur knappschaftlichen RV entfallen würde. Die aus dem Krg einbehaltenen Beiträge hätten ferner nicht zu einer Erhöhung der ihm später bewilligten Rente wegen EU geführt. Auch sei mit der beitragsrechtlichen Rückabwicklung kein versicherungsrechtlicher Nachteil verbunden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Dezember 1995 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 9. Dezember 1994 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt – unter näherer Darlegung –,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet. Das LSG hat die Klage zutreffend abgewiesen. Die Beklagte hat den Erstattungsanspruch des Klägers mit Recht verneint. Die aus dem Krg während der streitigen Zeit abgeführten Beiträge zur knappschaftlichen RV wurden rechtmäßig entrichtet (1.). Ihnen ist auch nicht nachträglich der Rechtsgrund deshalb entzogen worden, weil dem Kläger KAL mit Rückwirkung gewährt wurde (2.).
1. Gemäß § 26 Abs 2 SGB IV idF des Gesetzes vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2330) sind – abgesehen von den hier nicht vorliegenden Fällen, in denen der Versicherungsträger bereits Leistungen erbracht oder zu erbringen hat – zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten. Die während des ungekürzten Bezugs von Krg geleisteten Beiträge zur knappschaftlichen RV des Klägers sind jedoch nicht zu Unrecht entrichtet worden.
Die Beitragspflicht zur (knappschaftlichen) RV ergibt sich aus der Versicherungspflicht. Anders als in der KV (Verknüpfung von Beitragspflicht und Mitgliedschaft, § 223 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – ≪SGB V≫; vgl dazu KasselerKomm-Peters SGB V § 223 Rz 2) und in der Arbeitslosenversicherung (Verknüpfung von Beitragspflicht und Beschäftigungsverhältnis, § 170 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫) ist dies in der RV nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Dennoch gilt auch hier nichts anderes. Die Verbindung zwischen der Versicherungspflicht und der Beitragszahlungspflicht (§ 173 SGB VI) im Sinne von Voraussetzung und Folge wird insbesondere durch die Bestimmungen über die Beitragsbemessungsgrundlagen (§§ 161 – 167 SGB VI) und die Verteilung der Beitragslast (§§ 168 – 172 SGB VI) hergestellt. Die Beitragspflicht wird darüber hinaus in den Vorschriften über die Beitragszeiten (§ 55 SGB VI) und die Beitragszahlung (§§ 173 – 178 SGB VI) vorausgesetzt. Versicherungspflicht und Beitragspflicht entsprechen einander mithin im Grundsatz. Ausnahmen – wie die Beitragspflicht trotz bestehender Versicherungsfreiheit (§ 172 SGB VI) – bedürfen eigener gesetzlicher Regelung (vgl BSGE 75, 298, 299).
Die Beitragsentrichtung für den streitigen Zeitraum beruht dementsprechend auf § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI: Versicherungspflichtig sind Personen in der Zeit, für die sie von einem Leistungsträger Krg beziehen, wenn sie im letzten Jahr vor Beginn der Leistung zuletzt versicherungspflichtig waren. Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger vor. Er bezog Krg, und war – nach den insoweit nicht mit erfolgreichen Verfahrensrügen angegriffenen und damit das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) – im letzten Jahr bis zum Beginn des Krg-Bezuges am 7. August 1992 versicherungspflichtig beschäftigt (Fall des § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI).
Für den streitigen Zeitraum folgte die Beitragspflicht wegen des versicherungspflichtigen Krg-Bezugs aus § 276 Abs 1 SGB VI; diese Vorschrift begründete in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1994 bei Versicherungspflicht wegen des Bezugs einer Sozialleistung die Beitragspflicht und bestimmte die gezahlten Sozialleistungen als „beitragspflichtige Einnahmen”, die gemäß § 161 Abs 1 SGB VI der Beitragsbemessung für Versicherungspflichtige zugrunde zu legen sind. Die Kette zwischen Versicherungspflicht und Beitragszahlung schließt sich vorliegend, indem § 170 Abs 1 Nr 2 Buchst a SGB VI bestimmt, daß bei Personen, die Krg beziehen, die auf die Leistung entfallenden Beiträge je zur Hälfte von den Beziehern der Leistung und den Leistungsträgern getragen werden. Ergänzend bestimmt § 170 Abs 2 SGB VI für Bezieher von Krg, die – wie der Kläger – in der knappschaftlichen RV versichert sind, daß sie die Beiträge in Höhe des Vomhundertsatzes tragen, den sie zu tragen hätten, wenn sie in der RV der Arbeiter oder der Angestellten versichert wären; im übrigen tragen die Beiträge die Leistungsträger. Für solche von einem Versicherten wie dem Kläger geschuldeten Beiträge bestimmt § 176 Abs 1 SGB VI, daß die Leistungsträger die Beiträge an die Träger der RV zahlen; für den Beitragsabzug gilt § 28g Satz 1 SGB IV entsprechend.
2. Der Anspruch des Klägers auf KAL und die nachträgliche Gewährung dieser Leistung für den Zeitraum vom 1. Oktober 1992 bis 4. Januar 1993 haben seine Versicherungs- und Beitragspflicht zur RV nicht aufgehoben. Für einen Anspruch auf Rente wegen EU hat dies der 12. Senat des BSG bereits entschieden (BSGE 75, 298; dazu a). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an (b). Die dort entwickelten Grundsätze sind auch auf den vorliegenden Sachverhalt zu übertragen (c).
a) Zur Begründung seiner Rechtsauffassung hat der 12. Senat (aaO) darauf abgestellt, daß die – bei Beachtung der beitragsrechtlichen Grundsätze – rückwirkende Veränderung des RV-Verhältnisses einschließlich der Beitragspflicht wegen der nachträglichen Leistungsgewährung ausgeschlossen sei. Die beitragsrechtlichen Folgen des Zusammentreffens von Krg und Rente wegen EU seien gesetzlich nicht geregelt. Im Unterschied zur leistungsrechtlichen Rückabwicklung durch Austausch des Rechtsgrundes (§§ 102 ff, 107 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – ≪SGB X≫), die dem Versicherten keine Rückforderungen zumute, führe eine beitragsrechtliche Rückabwicklung durch die Entziehung rentenrechtlicher Zeiten typischerweise zu einem versicherungsrechtlichen Nachteil.
b) Dem schließt sich der erkennende Senat an. Leistungsrechtlich führt § 50 Abs 2 Nr 3 SGB V zur Kürzung des Krg um den Zahlbetrag der KAL, wenn diese Leistung von einem Zeitpunkt nach dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit an zuerkannt wird. So liegt der Fall hier, denn die KAL wurde dem seit dem 26. Juni 1992 arbeitsunfähig erkrankten Kläger ab dem 1. Oktober 1992 zuerkannt; darauf, wann die Entscheidung über die KAL-Gewährung getroffen wurde, kommt es in diesem Zusammenhang nach der gesetzlichen Regelung nicht an. Vom Beginn der KAL an rückt diese Leistung an die Stelle des Krg, ohne daß das Gesetz Vorschriften für die beitragsrechtlichen Folgen in der RV enthält. Soweit in diesem Fall ein Erstattungsanspruch des Krankenversicherungsträgers gegen den Rentenversicherungsträger (nach §§ 102 ff SGB X) besteht, muß sich der Leistungsberechtigte so behandeln lassen, als hätte er die geschuldete (hier: KAL) und nicht die tatsächlich erbrachte Leistung (hier: Krg) erhalten (so bereits BSGE 75, 298, 303). Dies ist dem Leistungsberechtigten in leistungsrechtlicher Sicht zumutbar, zumal er im übrigen im Rahmen der §§ 45, 48, 50 SGB X nur eingeschränkt zur leistungsrechtlichen Rückabwicklung herangezogen werden kann. Allerdings zwingt die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X nicht dazu, auch im Beitragsrecht, wo der ursprüngliche Krankengeldanspruch zur Sicherstellung des Lebensunterhalts des Versicherten während des Rentenverfahrens weiterhin bedeutsam bleibt, eine nachträgliche Beseitigung des Rechtsgrundes für die RV-Beiträge anzunehmen. Denn der Zweck des Krankengeldanspruchs wird durch die spätere Rentenbewilligung nicht etwa von vornherein gegenstandslos (BSGE aaO S 305 f). Dies berücksichtigt zudem, daß die Kürzung nach § 50 Abs 2 SGB V nicht schon bei Vorliegen eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die KAL eintritt, sondern erst ab der Zuerkennung dieser Leistung. Wie schon zum alten Recht in § 183 Abs 3 Satz 1 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ „zugebilligt”), ist auf den Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung abzustellen (vgl BSG vom 1. April 1993, BSGE 72, 163, 165 f mwN). Solange damit das Krg seinen Zweck, den Lebensunterhalt einschließlich der Beiträge zur Alterssicherung zu sichern, erfüllt, kann der Kläger der danach zu bemessenden Beitragspflicht den von der Beklagten noch nicht beschiedenen Rentenanspruch nicht wirksam zum Zwecke der Beitragskürzung entgegenhalten.
c) Gegen die Anwendung dieser Grundsätze auf den Fall des Klägers sprechen keine durchgreifenden Bedenken. Während der Dauer des Krg-Bezuges hat der Kläger rentenrechtliche Zeiten erworben, die bei später eintretenden Versicherungsfällen zu berücksichtigen sind. Diese wesentliche rentenversicherungsrechtliche Wirkung tritt unabhängig davon ein, wie hoch der wirtschaftliche Nutzen einzelner Beiträge oder Beitragsanteile sein mag. Der Versicherungsschutz wird nicht gegenstandslos, wenn – wie hier – eine Vergleichsberechnung zeigt, daß die Rentenhöhe aufgrund eines später eingetretenen Versicherungsfalls – wie vorliegend der EU – auch ohne diese Beiträge nicht geringer ausfällt. Dies kann der Fall sein, weil die Anrechnungszeit für die KAL-Bezugszeit gemäß § 252 Abs 1 Nr 2 SGB VI – aufgrund der Gesamtleistungsbewertung (§ 71 SGB VI) – mit einem höheren Durchschnittswert an Entgeltpunkten als die Entgeltpunkte aus den Beiträgen für diese Anrechnungszeit (§ 54 Abs 3 SGB VI) bewertet sind. Sieht man von der konkreten Bewertung im Einzelfall ab, so kann schon im Hinblick auf den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nicht vorhergesehen werden, welchen Wert eine Anrechnungszeit bei einem späteren Versicherungsfall tatsächlich aufweisen wird. Insoweit sei nur auf die Kürzung der Anrechnungszeiten nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGB VI durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. September 1996, BGBl I S 1461, hingewiesen.
Zeiten des Bezugs von Krg sind zwar gemäß § 252 Abs 2 Nr 2 SGB VI ebenfalls Anrechnungszeiten; sie gelten jedoch wegen der Beitragspflicht (§ 3 Satz 1 Nr 3, § 276 Abs 1 SGB VI) als beitragsgeminderte Zeiten iS von § 54 Abs 3 SGB VI. Als beitragsgeminderte Zeiten sind sie nach § 71 Abs 2 SGB VI wie beitragsfreie Zeiten zu bewerten, wenn ihr Wert im Vergleich damit niedriger ist. Anderenfalls bleibt es aber bei ihrer höheren Bewertung als Beitragszeit (vgl BSGE 75, 298, 304). Jedoch kann der Kläger aus der hohen Bewertung der streitigen Zeit als Anrechnungszeit nicht herleiten, er bedürfe des Schutzes durch die – subsidiär zu berücksichtigende – Beitragszeit nicht mehr und müsse insoweit von der Beitragspflicht freigestellt werden (vgl BSG vom 26. Juni 1985, SozR 2200 § 165 Nr 82 S 140 ff mwN). Der das Recht der Sozialversicherung beherrschende Grundsatz der Solidarität schließt es nämlich aus, die Versicherungs- (und Beitrags-)pflicht über die gesetzlichen Freistellungstatbestände hinaus von einem individuellen Schutzbedürfnis abhängig zu machen.
Die Beitragspflicht entfällt auch nicht etwa wegen Versicherungsfreiheit. § 5 Abs 4 Nr 1 SGB VI stellt zwar die Bezieher von Vollrente wegen Alters von der Versicherungspflicht frei mit der Folge, daß ihnen bei nachträglicher Rentengewährung die auf diesen Zeitraum entfallenden Pflichtbeiträge zu erstatten sind (vgl Kasseler Komm-Funk SGB VI § 5 Rz 10, 73). Indessen gehört die dem Kläger gewährte KAL nicht zu den Renten wegen Alters, wie sich schon aus der abschließenden Aufzählung in § 33 Abs 2 SGB VI erschließt; hiervon abgegrenzt wird die KAL vielmehr in § 33 Abs 5 SGB VI angesprochen (zum Wesen der KAL vgl BSG vom 10. September 1981, BSGE 52, 93, 95).
Nach allem erweist sich die Beitragsentrichtung auch nicht wegen der nachträglichen Gewährung von KAL als rechtswidrig. Mit diesem Ergebnis setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu seiner früheren Rechtsprechung zur Erstattung von RV-Beiträgen, die für rückwirkend gekürztes Krg nach § 130b Abs 1 Satz 1 Reichsknappschaftsgesetz aF entrichtet wurden (Urteil vom 15. November 1989, SozR 2100 § 26 Nr 9), oder zum Urteil des 12. Senats vom 15. April 1991, SozR 3-2400 § 26 Nr 4, weil dort der Gedanke des Versicherungsschutzes der beitragsrechtlichen Rückabwicklung nicht entgegenstand (ebenso schon der 12. Senat in seinem Urteil vom 25. Januar 1995, BSGE 75, 298, 306). Es steht auch nicht das Urteil des 12. Senats vom 17. Dezember 1996 – 12 RK 45/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen, entgegen, das die Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung wegen der nachträglichen Gewährung von Verletztengeld – nachdem zunächst Krg beitragsfrei bezogen worden war – betrifft; denn wegen einer in beiden Leistungsfällen bestehenden Mitgliedschaft bzw Pflichtversicherung erfordert es der Vertrauensschutz des Versicherten nicht, von der Änderung des beitragsrechtlichen Status abzusehen (so auch der 12. Senat im Urteil vom 17. Dezember 1996 aaO, S 6 des Urteilsabdrucks).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erstattung im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Er beruft sich zwar darauf, daß die Beklagte mit einer womöglich zögerlichen Bearbeitung des Antrags auf KAL den Schaden verursacht habe und insoweit anderenfalls die RV-Beiträge zumindest in Höhe der rückwirkend gewährten KAL nicht aufgelaufen wären. Die Erstattung – wie hier – rechtmäßig entrichteter Beiträge mit der Folge des Erlöschens der nur durch diese Beiträge begründeten Beitragszeiten kann jedoch nicht mit dem Herstellungsanspruch erreicht werden. Im Wege des Herstellungsanspruchs kann nur eine Amtshandlung begehrt werden, die nach ihrer wesentlichen Struktur im Gesetz vorgesehen ist. Für den in § 26 Abs 2 SGB IV geregelten Erstattungsanspruch ist aber wesentlich, daß die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind (so schon BSG vom 18. August 1983, BSGE 55, 261, 263 f), was im Falle des Klägers wie gezeigt nicht zutrifft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1174659 |
SozR 3-2400 § 26, Nr.8 |
SozSi 1998, 238 |