Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Auslagenerstattung für die notwendige Zuziehung eines Bevollmächtigten im außergerichtlichen Vorverfahren
Leitsatz (amtlich)
Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, daß der im Vorverfahren obsiegende Steuerpflichtige keinen Ersatz der Kosten erhält, die ihm durch die (notwendige) Zuziehung eines Bevollmächtigten entstanden sind (§ 250 Satz 1 AO).
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; AO § 250 S. 1
Tenor
§ 250 Satz 1 der Reichsabgabenordnung in der Fassung des § 162 Nr. 40 der Finanzgerichtsordnung vom 6. Oktober 1965 (Bundesgesetzbl. I S. 1477) ist, soweit er die Erstattung von Auslagen für die notwendige Zuziehung eines Bevollmächtigten im außergerichtlichen Vorverfahren ausschließt, mit dem Grundgesetz vereinbar.
Tatbestand
A.
I.
Das Steuerermittlungsverfahren ist nach § 227 AO kostenfrei. Dagegen führt das außergerichtliche Vorverfahren (Einspruch nach § 229, Beschwerde nach § 230) für denjenigen, der den Rechtsbehelf eingelegt hat, grundsätzlich zur Kostenpflicht, soweit der Rechtsbehelf keinen Erfolg hat (§ 251 Abs. 1). Die Kostenpflicht beschränkt sich auf die Zahlung einer Gebühr in Höhe der halben Gebührensätze nach § 10 GKG. Die Finanzbehörde kann, auch wenn sie den angefochtenen Verwaltungsakt nicht aufhebt oder ändert, von der Erhebung der Gebühr ganz oder teilweise absehen, sofern die Einlegung des Rechtsbehelfs auf entschuldbarer Unkenntnis der Verhältnisse oder auf Unwissenheit beruht oder die Erhebung aus sonstigen Gründen unbillig erscheint (§ 253 Abs. 1; vgl. auch § 253 Abs. 2). Der im „isolierten Vorverfahren” (d.h. ohne anschließendes Gerichtsverfahren) obsiegende Steuerpflichtige hat keinen Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen, die ihm z.B. durch die Zuziehung eines Bevollmächtigten (§ 240) oder Beistands entstehen, selbst wenn die Zuziehung notwendig erscheint.
§ 250 Satz 1, AO in der Fassung des § 162 Nr. 40 FGO vom 6. Oktober 1965 (BGBl I S. 1477) – AO n. F. – lautet:
Die Kostenpflicht beschränkt sich auf die Zahlung einer Gebühr; diese beträgt die Hälfte der in § 10 des Gerichtskostengesetzes vorgeschriebenen Gebühr.
Unterliegt der Steuerpflichtige im außergerichtlichen Vorverfahren und obsiegt er erst in dem sich anschließenden finanzgerichtlichen Verfahren, so sind die Gebühren und Austagen, eines Bevollmächtigten oder Beistands für das Vorverfahren erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten oder Beistands für notwendig erklärt (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).
§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO lautet:
Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind die Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten oder Beistandes für das Vorverfahren für notwendig erklärt.
Die Bestimmungen der §§ 250 ff. AO n.F: gelten ab 1. Januar 1966. Sie lösen auf Grund von § 162 Nr. 40 FGO vom 6. Oktober 1965 (BGBl I. S. 1477) die bisherigen Bestimmungen der §§ 228 ff. insbesondere 307 ff. AO a.F., ab. Das Bundesverfassungsgericht hatte mit Beschluß vom 28. Januar 1970 (BVerfGE 27, 391), § 316 Abs. 2 Satz 1, AO a. F. mit Art. 3 Abs. 1 GGG insoweit für unvereinbar und deshalb nichtig erklärt, als er die Kostenerstattung für die notwendige Zuziehung eins Bevollmächtigten oder Beistands im Vorverfahren auch dann ausschloß, wenn ein Gerichtsverfahren folgte.
Nach Ansicht der vorlegenden Finanzgerichte verstößt auch die neue gesetzliche Regelung des § 250 Satz 1 AO gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie für das isolierte Vorverfahren kostenrechtlich die Finanzbehörde gegenüber dem Steuerpflichtigen begünstigt und hinsichtlich der Kostenerstattung danach unterscheidet, ob der Steuerpflichtige schon im Vorverfahren oder erst im Klageverfahren Erfolg hat (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).
II.
1. Den Ausgangverfahren liegen die folgenden Sachverhalte zugrunde:
a) 1 BvL 9/71 (FG Nürnberg),
In einem Streit über die Anerkennung von Werbungskosten ließ sich der Kläger im Einspruchsverfahren von einem Rechtsanwalt vertreten. Das FA gab dem Einspruch statt. Der berichtigte Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich enthält den Vermerk: „Kosten fallen nicht an.” Das Begehren des Klägers, ihm die Kosten für die notwendige Zuziehung des Rechtsanwalts zu erstatten, wurde vom FA abgelehnt. Der Kläger verfolgt dieses Begehren nunmehr mit der Klage beim FG.
b) 1 BvL 10/71 (FG Düsseldorf)
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens wurde vom beklagten FA für Umsatzsteuerrückstände in Anspruch genommen. Im Einspruchsverfahren, in dem die Klägerin durch einen Rechtsanwalt vertreten war, hob das FA den Steuerbescheid ersatzlos auf. Die Verfügung enthielt keine Erklärung oder Entscheidung über die Kosten des Einspruchsverfahrens nach § 94 Abs. 2 Satz 2 AO a. F. Die Klägerin beantragte beim FA erfolglos, ihr die Kosten zu erstatten, die ihr durch die Heranziehung eines Bevollmächtigten im Einspruchsverfahren entstanden seien. Gegen die ablehnende Entscheidung des FA richtet sich die Klage.
2. Die Finanzgerichte Nürnberg und Düsseldorf haben die Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage vorgelegt, ob § 250 Satz 1 AO in der Fassung des § 162 Nr. 40 FGO vom 6. Oktober 1965 (BGBl I S. 1477) – nach dem Vorlagebeschluß des FG Düsseldorf auch die §§ 250 Satz, 2, 251 und 252 AO – mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit dadurch die Erstattung von Auslagen für die notwendige Zuziehung eines Bevollmächtigten im außergerichtlichen Vorverfahren ausgeschlossen ist.
Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liege einmal darin, daß der Steuerpflichtige kostenrechtlich schlechter gestellt werde als die Finanzbehörde. Er müsse, wenn er im Einspruchsverfahren unterliege, nach § 250 Satz 1 AO n. F. eine Gebühr zahlen. Andererseits erhalte er, wenn er obsiegen auch notwendige Vertretungskosten nicht erstatett. Für diese Unterscheidung sei kein sachlich einleuchtender Grund ersichtlich, insbesondere reichte es – wie das Bundesverfassungsgericht zu dem vergleichbaren Fall des § 316 Abs. 2 Satz 1 AO a. F. ausgeführt habe (BVerfGE, a.a.O., S. 395 f.) – zur Rechtfertigung nicht aus, daß das Einspruchsverfahren als Massenverfahren und der staatliche Gebührenanspruch als Abwehrmittel zur Verhinderung ungerechtfertigter Einsprüche angesehen werde. Auch aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 162 Abs. 1 VwGO (BVerfGE 27, 175) könnten keine Gesichtspunkte für die Verfassungsmäßigkeit der Kostenregelung im isolierten Vorverfahren der Abgabenordnung gewonnen werden denn diese Entscheidung beruhe auf zwei Besonderheiten des Widerspruchsverfahrens nach der Verwaltungsgerichtsordnung. Einmal würden der Bürger und die Behörde gleichbehandelt, da es für das isolierte Vorverfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung keine materielle Kostenregelung gebe (BVerwGE 22, 281). Zum anderen könne die Behörde im Widerspruchsverfahren auch einen rechtmäßigen Verwaltungsakt zurücknehmen, den sie lediglich für unzweckmäßig halte; dagegen stehe im verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren nur die Rechtmäßigkeit zur Entscheidung. Diese Besonderheiten gälten jedoch nicht für das isolierte Einspruchsverfahren nach der Abgabenordnung; dort seien Steuerbescheide überwiegend auf ihre Rechtmäßigkeit – und in aller Regel nicht auf ihre Zweckmäßigkeit – zu überprüfen.
Die Kostenregelung der Abgabenordnung führe außerdem zu einer sachlich nicht begründeten verschiedenen Behandlung der Steuerpflichtigen untereinander je nachdem ob sie schon im Einspruchsverfahren oder erst in dem sich daran anschließenden Klageverfahren obsiegten. Für diese gesetzliche Differenzierung lasse sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund nicht finden. Der Hinweis, das Vorverfahren sei ein verlängertes – grundsätzlich kostenfreies – Veranlagungsverfahren, greife nicht durch. Das Wesen des Vorverfahrens (verlängertes Besteuerungsverfahren oder echtes Rechtsbehelfsverfahren) und die sich hieran anknüpfenden Folgen für die Auslagenerstattung könnten für das isolierte Vorverfahren und für das in ein gerichtliches Verfahren einmündende Vorverfahren nicht verschieden sein. Die Erstattung notwendiger Vertretungskosten für das Vorverfahren dürfe auch nicht davon abhängen, ob das FA in Verkennung der Widerrechtlichkeit des Verwaltungsaktes eine unrichtige Einspruchsentscheidung treffe und damit dem Steuerpflichtigen den Weg zum FG eröffne; es liege nicht in der Verantwortung des Steuerpflichtigen, ob das FA richtig oder unrichtig entscheide, so daß von einem solchen Umstand die Erstattungsfähigkeit der Vertretungskosten nicht abhängig gemacht werden könne.
III.
1. Der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen, der sich namens der Bundesregierung geäußert hat, hält die Vorlagen für unzulässig, jedenfalls sei aber die Kostenregelung der Abgabenordnung für das isolierte Vorverfahren mit dem Grundgesetz vereinbar.
Die Regelung des § 250 Satz 1 AO n. F. solle allein dazu dienen, durch eine maßvolle, den Verwaltungsaufwand in aller Regel nicht deckende „Schutzgebühr” unbedachten Rechtsbehelfen entgegenzuwirken. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 27, 391) über die Verfassungswidrigkeit der früheren Kostenregelung für das Vorverfahren in § 316 Abs. 2 Satz 1 AO a. F. stehe dieser Beurteilung nicht entgegen. Er betreffe einmal nicht das isolierte Vorverfahren, sondern die Regelung für das nachfolgende gerichtliche Verfahren. Zum anderen seien die alte und die neue Kostenregelung für das isolierte Vorverfahren inhaltlich nicht vergleichbar. Die Verfassungswidrigkeit des § 250 AO n. F. könne auch nicht aus einem Vergleich mit der Regelung des § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO hergeleitet werden.
2. Der BFH, der sich gemäß § 82 Abs. 4 Satz 1 und 2 BVerfGG geäußert hat, hält die Vorlagen für zulässig, die verfassungsrechtlichen Bedenken hingegen seien nicht begründet.
3. Der Kläger des einen Ausgangsverfahrens (zu 1 BvL 9/71) stimmt den Ausführungen des FG im Vorlagebeschluß zu. Der Beklagte des anderen Ausgangsverfahrens (zu 1 BvL 10/71) hält die Kostenregelung für verfassungsmäßig.
Entscheidungsgründe
B.
I.
Nach den Ausführungen der vorlegenden Gerichte hängen die Entscheidungen in den Ausgangsverfahren von der Gültigkeit des § 250 Satz 1 AO n. F. ab. Ist diese Vorschrift verfassungsgemäß, müßten die Klagen abgewiesen werden. Bei Verfassungswidrigkeit könnten die Gerichte nicht entscheiden; sie müßten vielmehr abwarten, bis der Gesetzgeber eine neue Kostenregelung getroffen hat. Dies genügt für die Zulässigkeit der Vorlage (BVerfGE 24, 220 [224] mit Nachweisen).
Das FG Düsseldorf hat im Tenor seines Vorlagebeschlusses die Kostenregelung der §§ 250 bis 253 AO n. F. in vollem Umfang zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellt, obwohl sich die Beschränkung der Kostenerstattung allein aus § 250 Satz 1 AO n. F. ergibt (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 2, bis 5. Aufl., § 250 Rdnr. 1; Eisenberg, DStR 1966, S. 417). Die übrigen Bestimmungen der Kostenregelung der Abgabenordnung betreffen Tatbestände, die in den Ausgangsverfahren nicht zur Anwendung anstehen (verspätetes Vorbringen, Absehen von Kosten etc.). Der Vorlagebeschluß ist deshalb einschränkend dahin auszulegen, daß nur die Grundregel des § 250 Satz 1 AO n. F. auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen ist, soweit sie für den im isolierten Vorverfahren obsiegenden Steuerpflichtigen die Erstattung auch seiner notwendigen Aufwendungen ausschließt.
II.
1. Im isolierten Vorverfahren der Abgabenordnung besteht hinsichtlich der Kostenregelung insofern eine Ungleichbehandlung, als der obsiegende Steuerpflichtige keinen Aufwendungsersatz erhält, insbesondere auch nicht die Kosten für einen notwendigen Bevollmächtigten, während er im Fall des Unterliegens an den Steuerfiskus die Hälfte der in § 10 GKG vorgeschriebenen Gebühr zu entrichten hat. Die Prüfung hat sich somit nicht allgemein darauf zu erstrecken, daß der obsiegende Steuerpflichtige von der Kostenerstattung ausgeschlossen ist, sondern nur darauf, daß ihm im Falle des Obsiegens kein dieser halben Gebühr in der Höhe gleichkommender Erstattungsanspruch zusteht. Prüfungsmaßstab hierfür ist Art. 3 Abs. 1 GG. Im Rahmen eines Prozeß- oder Verwaltungsverfahrens soll Waffen- und Chancengleichheit in bezug auf den Auslagenersatz herrschen. Nach Sinn und Zweck des Art. 3 Abs. 1 GG genügt es, daß der Steuerfiskus als Verfahrensbeteiligter in eine mit dem Steuerpflichtigen vergleichbare Kostensituation gelangt.
a) Nach der früheren Regelung der Abgabenordnung erhielt der Steuerpflichtige, der im Vorverfahren oder auch erst im anschließenden gerichtlichen Verfahren obsiegte, Ersatz der notwendigen Auslagen. Dazu gehörten jedoch in keinem Fall die Kosten für die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren (§ 310 Nr. 2, § 316 Abs. 1 und 2 AO a. F.). Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu entschieden (BVerfGE 27, 391), es genüge zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der damaligen verschiedenen Behandlung nicht, daß dem Kostenanspruch des Staates die Funktion der Abwehr gegen eine nicht zu vertretende Vermehrung von Rechtsbehelfen zukomme. Auch die Erwägung, das Besteuerungsverfahren sei ein Massenverfahren mit den dadurch bedingten fehlerhaften Entscheidungen, vermöge die Differenzierung nicht zu rechtfertigen, ebensowenig die Befürchtung, ein Bevollmächtigter werde bei Einräumung eines Erstattungsanspruchs die Erledigung des Einspruchs durch eine Berichtigung des Steuerbescheides nur deshalb verhindern, um die Gebühr zu erhalten.
Diese Entscheidung betrifft im Gegensatz zu dem hier gegebenen Sachverhalt die frühere Kostenregelung in dem Fall, daß der erst im anschließenden finanzgerichtlichen Verfahren obsiegende Steuerpflichtige auch die Erstattung der im Vorverfahren entstandenen Kosten für die Zuziehung eines Steuerbevollmächtigten beansprucht. Folgt dem Vorverfahren ein Klageverfahren, so werden die Kosten des Vorverfahrens nach § 139 Abs. 1 FGO zu Kosten des Gerichtsverfahrens, denn das Vorverfahren war zur Rechtsverfolgung notwendig. Die Kosten des Vorverfahrens unterliegen dann den Grundsätzen des Prozeßgebührenrechts. Dagegen enthält die Abgabenordnung jetzt eine eigene Kostenregelung, die an den Grundsätzen des Verwaltungsgebührenrechts ausgerichtet ist Deshalb brauchen die für die obengenannte Entscheidung maßgebenden Erwägungen nicht ohne weiteres für das isolierte Vorverfahren zu gelten.
b) Soweit in jener Entscheidung Ausführungen zu dem isolierten Vorverfahren gemacht sind, ist zudem zu beachten, daß die jetzt zu beurteilende Rechtslage von der damals geprüften wesentlich abweicht. Nach dem früheren Rechtszustand erhielt der obsiegende Steuerpflichtige Ersatz seiner notwendigen Auslagen (§ 310 Nr. 2, § 316 Abs. 1 AO a. F.), allerdings nicht die Kosten eines Bevollmächtigten (§ 316 Abs. 2 Satz 1 AO a. F.), während er im Falle seines Unterliegens eine volle Gebühr zu entrichten und die Auslagen der Rechtsmittelbehörde nach näherer Maßgabe der §§ 310 bis 313 AO a. F. zu erstatten hatte. Offensichtlich diente die frühere für nichtig gehaltene Kostenregelung, wie auch das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, in erster Linie dem Zweck, dem Staat einen wesentlichen Teil der entstandenen Kosten zu ersetzen. Da es mit dem Gleichheitsgebot nicht zu vereinbaren war, daß nur der Steuerfiskus, nicht aber der Steuerpflichtige Ersatz seiner notwendigen Aufwendungen erhielt, hat das Bundesverfassungsgericht die damalige Regelung für verfassungswidrig er klärt. Bei der Neuregelung ist diese Funktion eines Kostenersatzes entfallen. Nunmehr erhält keiner der Beteiligten einen Auslagenersatz. Lediglich der Steuerpflichtige hat im Fall des Unterliegens eine halbe Gebühr als Verwaltungsgebühr zu entrichten. Sie erreicht der Höhe nach oft nur einen Bruchteil der nicht zu erstattender Bevollmächtigtenkosten und deckt auf der anderen Seite die Kosten der Finanzbehörde ebenfalls nur zu einen geringen Teil. Im Rahmen dieser Neuregelung ist auch der Gedanke vertretbar, dem Steuerpflichtigen das Risiko einer unbedachten Einlegung von Rechtsbehelfen vor Augen zu führen (vgl. BVerfGE 10, 264 [268]), zumal es dem Steuerpflichtigen in offensichtlich begründeten Fällen häufig möglich ist, ohne Einspruchseinlegung die Änderung des Steuerbescheides im Wege einer schlichten Berichtigung zu erreichen.
Die allgemeine Belastung der Steuerpflichtigen mit der halben Gebühr wird noch dadurch gemildert, daß die Verwaltungsbehörde nach § 253 Abs. 1 AO n. F. in der Fällen von der Erhebung von Kosten absehen kann, in denen die Einlegung des Rechtsbehelfs auf entschuldbarer Unkenntnis der Verhältnisse oder auf Unwissenheit beruht oder in denen die Erhebung aus sonstigen Gründen als unbillig erscheint. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 16, 147 [177]; 27, 375 [385]; 30, 250 [266, 272] BStBl 1971 II S. 433) hat wiederholt der im Gesetz vorgesehenen Möglichkeit eines Härteausgleichs oder einer Billigkeitsmaßnahme verfassungsrechtliche Bedeutung beigemessen.
c) Noch verbleibende Ungleichheiten werden ausgeglichen, wenn die Regelung des § 250 Satz 1 AO n. F. in Zusammenhang mit einem sich anschließenden finanzgerichtlichen Verfahren gesehen wird. Während nämlich der vor dem FG obsiegende Steuerpflichtige Ersatz auch der Auslagen des Vorverfahrens erhält, kann das FA im Falle des Obsiegens nie Ersatz seiner Auslagen verlangen. Diese Besserstellung des Steuerpflichtigen ist nicht unbedeutend. Zwar sind die außergerichtlichen Kosten der Finanzbehörden heute nicht sehr hoch, weil – abgesehen von dem betriebswirtschaftlich nicht genau errechenbaren Arbeitsaufwand – nur die Reisekosten und Tagegelder der vor Gericht auftretenden Beamten anfallen. Aber diese Beschränkung der außergerichtlichen Kosten der Höhe nach hat ihren tatsächlichen Grund gerade in der gesetzlichen Regelung. Es ist davon auszugehen, daß die Finanzbehörden sich auch deshalb nicht anwaltlich vertreten lassen, weil sie im Falle ihres Obsiegens die durch die Vertretung verursachten Kosten nicht erstattet erhalten. Da heute genügend Fachkundige für Steuerrecht vorhanden sind, ist es aber durchaus denkbar, daß – wie auch die Praxis der Behörden im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zeigt – die Finanzbehörde sich anwaltlich vertreten lassen würde, wenn sie die Kosten erstattet erhielte. Die Kostenersparnis des unterliegenden Steuerpflichtigen ist daher nicht nur in Höhe der Reisekosten und Tagegelder zu veranschlagen. Es müssen vielmehr auch die nicht zu ersetzenden Anwaltskosten berücksichtigt werden. Unter diesen Umständen erscheint der Kostenvorteil des Steuerpflichtigen im finanzgerichtlichen Verfahren so wesentlich, daß damit etwaige Ungleichheiten aus dem Vorverfahren ausgeglichen werden.
2. Es stellt auch keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar, daß ein Steuerpflichtiger bei erfolgreichem Rechtsbehelf im isolierten Vorverfahren schlechter gestellt wird als ein erst im finanzgerichtlichen Verfahren obsiegender Kläger, dem nach § 139 Abs. 3 FGO unter den dort genannten Voraussetzungen auch die Kosten eines im Vorverfahren zugezogenen Rechtsanwalts erstattet werden.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 27, 175 [178 f.]) ist in dem vergleichbaren Bereich des allgemeinen Verwaltungsrechts zu dem Ergebnis gekommen, daß die Ungleichbehandlung eines bereits im Vorverfahren erfolgreichen Widerspruchsführers und eines erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren obsiegenden Klägers hinsichtlich der Kostenerstattung nicht willkürlich ist. Die Klage habe nur dann Erfolg, wenn der erlassene Verwaltungsakt rechtswidrig sei und der Bürger dadurch in seinen Rechten verletzt werde (§ 113 Abs. 1 und 4 VwGO). Im Vorverfahren könne dagegen die Zurücknahme eines Verwaltungsaktes auf sehr verschiedenen Gründen beruhen, denn hier werde nicht nur die Rechtmäßigkeit, sondern auch seine Zweckmäßigkeit geprüft (§ 68 Abs. 1 VwGO). Dem Widerspruch könne auch stattgegeben werden, wenn die Rechtslage zweifelhaft sei. Deshalb, sei es nicht evident unsachlich, wenn die Verwaltungsgerichtsordnung für das isolierte Vorverfahren eine materielle Kostenregelung nicht enthalte.
Diese Grundsätze lassen sich zwar nicht in vollem Umfang auf das Steuerrecht übertragen. Aber auch dort treffen sie vor allem für die Überprüfung all der Verwaltungsakte zu, bei deren Erlaß der Behörde ein Ermessen zusteht, z.B. im Stundungs- und Erlaßverfahren (§§ 127, 131 AO), bei der Auferlegung eines Verspätungszuschlags (§ 168 Abs. 2 AO) und bei der Pauschbesteuerung im Einkommensteuerrecht (§ 31 Abs. 1 EStG).
Für die Steuerpflicht und die Steuerbemessung schreibt allerdings § 204 AO vor, daß das FA die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln hat. Es gibt auch in der Abgabenordnung keine dem § 68 Abs. 1 VwGO vergleichbare Vorschrift, wonach vor Erhebung der Anfechtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen sind. Trotz des in § 204 AO festgelegten Legalitätsprinzips können aber bei den Entscheidungen der Finanzbehörden Erwägungen mitspielen, die im Ergebnis Zweckmäßigkeitserwägungen gleichzustellen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH wird die Aufklärungspflicht der Finanzbehörden von der Zumutbarkeit begrenzt (BFH 62, 201 = BStBl 1956 III S. 75; BFH 88, 223 [224] = BStBl 1967 III S. 379). Für die Anforderungen, die an die Aufklärungspflicht der Finanzbehörden zu stellen sind, darf die Erwägung eine Rolle spielen, daß die Aufklärung einen nicht mehr vertretbaren Zeitaufwand erfordert (BFH 88, 134 [136] = BStBl 1967 III S. 322). Auch kann auf das Verhältnis zwischen dem voraussichtlichen Arbeitsaufwand und dem steuerlichen Erfolg abgestellt werden (vgl. Paulick in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Finanzgerichtsordnung usw., II, 1, bis 6. Aufl., § 204 Anm. 2; Tipke-Kruse, a.a.O., § 204 Rdnr. 3). Dabei dürfen die FÄ auch berücksichtigen, in welchem Maße sie durch ein zu erwartendes finanzgerichtliches Verfahren belastet werden, sofern sie bei vorhandenen tatsächlichen oder rechtlichen Zweifeln dem Begehren des Steuerpflichtigen im Vorverfahren nicht entsprechen und zu seinem Nachteil entscheiden. Demgegenüber kann die finanzgerichtliche Klage nach §§ 100 und 102 FGO nur dann Erfolg haben, wenn der erlassene Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Die FG dürfen nicht etwa unter Abwägung des Arbeitsaufwands und des steuerlichen Erfolgs von einer weiteren Aufklärung absehen (BFH 100, 390 [392] = BStBl 1971 II S. 92; BFH 98, 210 [212] = BStBl 1970 II S. 338; BFH 90, 82 [86] = BStBl 1967 III S. 794).
Diese verschiedenen Maßstäbe im Vorverfahren und im finanzgerichtlichen Verfahren lassen es – wie bei der Regelung nach der Verwaltungsgerichtsordnung (BVerfGE 27, 175) – als gerechtfertigt erscheinen, daß der Steuerpflichtige nur bei Obsiegen im finanzgerichtlichen Verfahren auch einen Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für einen Bevollmächtigten im Vorverfahren hat.
3. Die Kostenregelung für das isolierte Vorverfahren der Abgabenordnung verstößt auch nicht etwa deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil andere bundesrechtlich geregelte (nicht abgaberechtliche) Verwaltungsvorverfahren einem betroffenen Staatsbürger anders als im abgaberechtlichen Vorverfahren in verschiedenem Umfang einen Kostenerstattungsanspruch einräumen oder ihm keine Gebühr oder Kosten auferlegen, wie dies z.B. nach § 33 des Wehrpflichtgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. September 1969 – BGBl I S. 1773 –, nach § 334 des Lastenausgleichsgesetzes in der Fassung vom 1. Oktober 1969 – BGBl I S. 1909 – und nach § 27 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes in der Fassung vom 2. September 1971 – BGBl I S. 1545 – der Fall ist. Für das Verwaltungsvorverfahren auf dem Gebiet des Sozialrechts bestehen zwar keine bundesrechtlichen, zumeist auch keine landesrechtlichen Bestimmungen über Kostenerhebung und Erstattung. Das Bundessozialgericht geht daher von dem Grundsatz aus, vom Antragsteller seien im Vorverfahren keine Gebühren und kein Kostenersatz zu fordern, dessen notwendige Auslagen seien jedoch ebenfalls nicht zu erstatten (BSGE 24, 207).
a) Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob der Gesetzgeber nach dem Gleichheitssatz verpflichtet sein kann, die Staatsbürger in den verschiedenen Verfahren kostenrechtlich gleichzustellen. Eine solche Verpflichtung könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn sich für die Vorverfahren der verschiedensten Art ein allgemeiner Rechtsgedanke für die Zubilligung von Erstattungsansprüchen herausgebildet hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Es besteht kein allgemeiner Rechtssatz, der dem in einem Verwaltungsvorverfahren obsiegenden Bürger einen Anspruch auf Erstattung seiner Kosten zubilligt (BVerwGE 22, 281; 40, 313 [321]; BGH, NJW 1971, S. 1752).
b) Im übrigen wäre der Gesetzgeber nach dem Gleichheitssatz nicht gehalten, für die verschiedenen Vorverfahren nur eine einheitliche Kostenregelung oder völlig identische Kostenregelungen zu treffen. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet allenfalls, soweit nicht schon wegen der Verschiedenheit der einzelnen Verfahren oder aus anderen Gründen eine unterschiedliche Behandlung sachlich gerechtfertigt erscheint, eine Gleichbehandlung im Ergebnis herbeizuführen. Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, nicht nur das Kostenrisiko des einen Rechtsbehelf einlegenden Bürgers im Vorverfahren abzuwägen, sondern dabei auch das anschließende Gerichtsverfahren einzubeziehen, zu dem das Verwaltungsverfahren im allgemeinen die notwendige Voraussetzung bildet. Es muß dem Gesetzgeber freigestellt sein, eine etwa für zweckmäßig erachtete Benachteiligung einzelner Bürger im Vorverfahren durch besondere Vorteile in nachfolgenden gerichtlichen Verfahren wieder auszugleichen und umgekehrt Dies ist im Vergleich zwischen der Kostenregelung für das finanz- und verwaltungsrechtliche Verfahren geschehen (vgl. § 139 FGO, § 162 Abs. 1 und 2 VwGO). Die davon abweichende günstigere Kostenregelung im Sozialgerichtsgesetz (§§ 183, 193 SGG) rechtfertigt sich aus der besonderen sozialen Stellung der Betroffenen.
Fundstellen
Haufe-Index 1074951 |
BStBl II 1973, 720 |
BVerfGE 35, 283 |
BB 1973, 1056 |