Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtbarkeit fiktiver Kündigungszustimmung der Hauptfürsorgestelle zur außerordentlichen Kündigung von Schwerbehinderten; Anhörung des Arbeitsamtes; ≪Rest-≫Ermessen
Leitsatz (redaktionell)
1. Fingierte Zustimmungen nach § 18 Abs. 3 Satz 2 SchwbG F. 1979 (*= § 21 Abs. 3 Satz 2 SchwbG F. 1986) sind - ebenso wie tatsächlich erteilte - als (privatrechtsgestaltende) Verwaltungsakte mit Widerspruch und Anfechtungsklage angreifbar.
2. § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG F. 1979 (*= § 17 Abs. 2 Satz 1 SchwbG F. 1986) gilt gemäß § 18 Abs. 1 SchwbG F. 1979 (*= § 21 Abs. 1 SchwbG F. 1986) auch im Verwaltungsverfahren der Hauptfürsorgestelle über die Zustimmung zu außerordentlichen Kündigungen.
3. Erfolgt die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten aus einem Grunde, der nicht mit der Behinderung im Zusammenhang steht, hat nach der Soll-Vorschrift des § 18 Abs. 4 SchwbG F. 1979 (*= § 21 Abs. 4 SchwbG F. 1986) die Hauptfürsorgestelle im Regelfall die Zustimmung zu erteilen. Nur bei Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, darf die Hauptfürsorgestelle nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden. Ob ein atypischer Fall vorliegt, der eine Ermessensentscheidung ermöglicht und gebietet, ist als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden (wie BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1992 - BVerwG 5 C 39.90 -).
Orientierungssatz
(Zu LS 2) Die vorherige Einholung einer Stellungnahme des Arbeitsamtes durch die Hauptfürsorgestelle ist für die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten zwingende Voraussetzung und wird nicht dadurch geheilt wird, daß gem. § 38 Abs. 1 Satz 1 SchwbG F. 1979 ein Vertreter des Landesarbeitsamtes als Mitglied des Widerspruchsausschusses bei der Hauptfürsorgestelle am Verfahren beteiligt ist.
Normenkette
SchwbG § 18 Abs. 4 Fassung 1979-10-08, § 21 Abs. 4 Fassung 1986-08-26, § 18 Abs. 1 Fassung 1979-10-08, § 21 Abs. 1 Fassung 1986-08-26, § 14 Abs. 2 S. 1 Fassung 1979-10-08, § 17 Abs. 2 S. 1 Fassung 1986-08-26, § 18 Abs. 3 S. 2 Fassung 1979-10-08, § 21 Abs. 3 S. 2 Fassung 1986-08-26
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Entscheidung vom 10.02.1988; Aktenzeichen 6 S 2745/87) |
VG Karlsruhe (Entscheidung vom 15.09.1987; Aktenzeichen 2 K 261/85) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt als Schwerbehinderter von der Hauptfürsorgestelle des Beklagten Sonderkündigungsschutz nach dem Schwerbehindertengesetz.
Der 1932 geborene Kläger, ein Spätaussiedler aus der Sowjetunion, arbeitete seit 1973 in der Ausbesserungswerkstätte der Beigeladenen in K. Nach dem Bescheid des Versorgungsamts K. vom 13. Januar 1983 ist der Kläger wegen Verletzungen an der linken Hand, Hepatopathie, koronarer Herzbeschwerden, Rhythmusstörungen, Hypotonie bei depressiven Verstimmungen und degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule mit rezidivierendem Lumbalsyndrom zu 70 v.H. in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Am 18. Dezember 1984 beantragte die Beigeladene die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle des Beklagten zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger. Zur Begründung führte sie aus: Das Arbeitsverhältnis leide in zunehmendem Maße unter unbefriedigenden Arbeitsleistungen und wiederholten Verstößen des Klägers gegen arbeitsvertragliche Pflichten. Der Kläger sei am 15. November 1984 wegen Einbruchs in die Schlosserei der Ausbesserungswerkstätte K. zu einer Geldstrafe von 600 DM verurteilt worden. Zum endgültigen Verlust des für das Arbeitsverhältnis erforderlichen Vertrauens habe der begründete Verdacht einer erneuten strafbaren Handlung (Scheckdiebstahl aus dem Spind eines Mitarbeiters in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Betrug) geführt. Hiervon habe die Beigeladene am 6. Dezember 1984 durch Übermittlung der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft K. gegen den Kläger erfahren.
Der Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung stimmten der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung zu. Das Arbeitsamt wurde von der Hauptfürsorgestelle nicht angehört. Mit Schreiben vom 2. Januar 1985 teilte die Hauptfürsorgestelle dem Kläger und der Beigeladenen mit, daß sie eine Entscheidung über den Antrag innerhalb von zehn Tagen nicht habe treffen können; damit gelte die Zustimmung gemäß § 18 Abs. 3 SchwbG als erteilt.
Den hiergegen vom Kläger eingelegten Rechtsbehelf wies der Widerspruchsausschuß mit Bescheid vom 29. Juli 1985 zurück, und zwar im wesentlichen aus folgenden Gründen: Die dem Kläger zur Last gelegten strafrechtlichen Verfehlungen stünden zwar möglicherweise in einem strafmildernden Zusammenhang mit der Alkoholabhängigkeit des Klägers. Ein Zusammenhang mit den im Bescheid des Versorgungsamtes K. vom 13. Januar 1983 aufgeführten Behinderungen bestehe aber nicht. Daraus resultiere im Regelfall ein Anspruch auf Erteilung der Zustimmung. Zwar verdienten das Lebensschicksal des Klägers, der Umstand, daß er sich derzeit in einer Therapiemaßnahme befinde, deren Erfolg nicht zuletzt auch vom Bestand eines Arbeitsverhältnisses berührt werden könne, und die sozialen Auswirkungen einer Kündigung entsprechende Würdigung, doch stellten diese nach Lage der Dinge keine ganz besonderen, eine Ausnahme vom Regelfall rechtfertigenden Gründe dar.
Auf die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht die durch Fristablauf erteilte Zustimmung und den Widerspruchsbescheid aufgehoben. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. Zur Begründung hat er folgendes ausgeführt:
Das Verwaltungsgericht habe die Anfechtungsklage des Klägers zu Recht als zulässig und begründet angesehen. Auch die wegen Zeitablaufs fingierte Zustimmung sei als Verwaltungsakt zu behandeln, welcher der Anfechtung durch Widerspruch und Klage unterliege. Dies bedeute zugleich, daß auf das zulässige Rechtsmittel hin eine volle Sachprüfung stattzufinden habe und nicht nur etwa eine, welche sich darauf beschränke, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Fiktion nach § 18 Abs. 3 SchwbG a.F. gegeben seien. Damit sei auch zu prüfen, ob die - unstreitig - unterbliebene Anhörung des Arbeitsamts die angefochtene Kündigungszustimmung rechtswidrig mache. Das sei der Fall. Dieser Mangel sei im Widerspruchsverfahren nicht geheilt worden. Daß gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 SchwbG a.F. ein Vertreter des Landesarbeitsamts als Mitglied des Widerspruchsausschusses am Verfahren beteiligt gewesen sei, lasse den Mangel der Anhörung des örtlichen Arbeitsamtes nicht unbeachtlich werden, weil dieses die konkreten Vermittlungschancen des von einer Kündigung bedrohten Schwerbehinderten am besten beurteilen könne. Der Anhörungsmangel sei auch nicht nach § 42 Satz 1 SGB X unbeachtlich. Denn im Rahmen des § 18 Abs. 4 SchwbG a.F. habe die Hauptfürsorgestelle zumindest bei der Beurteilung, ob trotz fehlenden Ursachenzusammenhangs zwischen Kündigungsgründen und Behinderungen ein atypischer Fall gegeben sei, der es rechtfertige, die Kündigungszustimmung zu versagen, ein Ermessen. Es lasse sich daher wie auch sonst bei Ermessensentscheidungen nicht sagen, daß bei einer vorschriftsmäßigen Anhörung des Arbeitsamtes keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten, mit der er die Abweisung der Klage erstrebt. Er rügt Verletzung des § 18 Abs. 3 SchwbG a.F. Bei der dort vorgesehenen Fiktion handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt. Der jeweils Betroffene sei vielmehr auf den arbeitsgerichtlichen Kündigungsrechtsschutz verwiesen. Aber auch wenn man sich auf den Standpunkt des Berufungsgerichts stelle, könne der festgestellte Verfahrensmangel nicht zur Aufhebung führen. Denn in den Fällen, in denen zwischen dem Kündigungsgrund und der Behinderung kein Zusammenhang bestehe, sei der Hauptfürsorgestelle nach § 18 Abs. 4 SchwbG a.F. kein Ermessen eingeräumt, so daß eine andere Entscheidung in der Sache nicht hätte getroffen werden können.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beigeladene unterstützt die Auffassung des Beklagten, der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht die des Klägers.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Auffassung, die Hauptfürsorgestelle habe im Rahmen der Sollvorschrift des § 18 Abs. 4 SchwbG in der hier noch anzuwendenden Fassung vom 8. Oktober 1979 (BGBl. I S. 1649) bei der Beurteilung, ob trotz fehlenden Zusammenhangs zwischen Kündigungsgrund und Behinderung ein atypischer Fall gegeben sei, Ermessen. Das verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hätte deshalb die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob zwischen den Behinderungen des Klägers und den Kündigungsgründen ein Zusammenhang besteht, nicht unaufgeklärt lassen dürfen. Das nötigt zur Zurückverweisung (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Zu Unrecht bestreitet allerdings der Beklagte die Zulässigkeit der Klage. Nach § 18 Abs. 3 SchwbG F. 1979 hat die Hauptfürsorgestelle die Entscheidung über die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung innerhalb von zehn Tagen vom Tage des Eingangs des Antrags an zu treffen. Wird innerhalb dieser Frist eine Entscheidung nicht getroffen, gilt die Zustimmung als erteilt. Die Ansicht des Berufungsgerichts, Zustimmungen, die nach § 18 Abs. 3 Satz 2 SchwbG F. 1979 als erteilt gelten, unterlägen den Anfechtungsrechtsbehelfen nach den §§ 68, 42 Abs. 1 VwGO, entspricht der Rechtslage.
Die Zustimmung nach § 18 Abs. 1 in Verbindung mit § 12 SchwbG F. 1979 ist ein privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt mit Doppelwirkung (vgl. BAGE 38, 42 ≪46≫ sowie BAG, Urteil vom 16. Oktober 1991 - 2 AZR 332/91 - ≪NZA 1992, 503/504≫). Ihre Erteilung ist öffentlich-rechtliches Wirksamkeitserfordernis der vom Arbeitgeber beabsichtigten außerordentlichen Kündigung. Denn die Zustimmung beseitigt eine öffentlich-rechtliche Verbotsschranke, deren Anordnung den Zweck hat, bereits im Vorfeld der außerordentlichen Kündigung die spezifischen Schutzinteressen schwerbehinderter Arbeitnehmer zur Geltung zu bringen und eine mit den Schutzzwecken des Gesetzes unvereinbare Kündigung präventiv zu verhindern (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1992 - BVerwG 5 C 39.90 - ≪UA S. 15≫). Wenn der Gesetzgeber mit § 18 Abs. 3 Satz 2 SchwbG F. 1979 lediglich eine Verschweigungsfrist hätte normieren wollen, mit deren fruchtlosem Verstreichen der fürsorgerechtliche Zustimmungsvorbehalt für die Kündigung des Arbeitgebers gewissermaßen entfällt, hätte eine Regelung des Inhalts ausgereicht, daß die Kündigung nach Fristablauf - nunmehr - ohne Zustimmung zulässig ist. Damit wäre der Schwerbehinderte nach Ablauf der Verschweigungsfrist allein auf den repressiven Kündigungsschutz durch die Arbeitsgerichte verwiesen. Hierfür hat sich jedoch der Gesetzgeber nicht entschieden, sondern für die Fiktion einer positiven Entscheidung zugunsten des antragstellenden Arbeitgebers (vgl. BVerwGE 81, 84 ≪90≫). Das führt zur Anwendbarkeit aller der Vorschriften und Grundsätze, die maßgebend wären, wenn die zuständige Hauptfürsorgestelle eine entsprechende Zustimmung ausdrücklich erteilt hätte (vgl. BVerwGE 31, 274 ≪276≫; 48, 87 ≪90 f.≫ zur vergleichbaren Regelung des § 19 Abs. 4 Satz 3 BBauG *= § 19 Abs. 3 Satz 6 BauGB).
Zu den von der Verweisung des § 18 Abs. 3 Satz 2 SchwbG F. 1979 erfaßten Vorschriften gehören auch diejenigen, die sich mit den Rechtsmitteln des Schwerbehinderten gegen die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur außerordentlichen Kündigung befassen. Fingierte Zustimmungen sind deshalb - ebenso wie tatsächlich erteilte - als (privatrechtsgestaltende) Verwaltungsakte mit Widerspruch und Anfechtungsklage angreifbar. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch § 18 Abs. 5 SchwbG F. 1979, der Rechtsmitteln gegen die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur außerordentlichen Kündigung die aufschiebende Wirkung versagt, ohne dabei zwischen ausdrücklich erklärten und gesetzlich fingierten Zustimmungen zu unterscheiden.
Die Anfechtbarkeit fiktiver Kündigungszustimmungen entspricht auch dem Zweck der Regelung im Kontext des Sonderkündigungsschutzes Schwerbehinderter gegenüber außerordentlichen Kündigungen. § 18 Abs. 3 SchwbG F. 1979 ist Ausdruck des das Recht der außerordentlichen Kündigung beherrschenden Beschleunigungsgrundsatzes (vgl. BVerwGE 81, 84 ≪91≫). Er schützt das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an möglichst kurzfristiger Klärung der Frage, ob die öffentlich-rechtlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung vorliegen und er befugt ist, den Arbeitnehmer aus dem Betrieb auszugliedern. § 18 Abs. 3 Satz 2 SchwbG F. 1979 ist Sanktionsnorm zu § 18 Abs. 3 Satz 1 SchwbG F. 1979; er soll der dort normierten Pflicht, den Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung binnen zehn Tagen zu bescheiden, Nachdruck verleihen (vgl. BVerwGE 81, 84 ≪90≫), indem er nach Ablauf der Entscheidungsfrist die Erteilung der Zustimmung fingiert. In der Fiktion des Vorganges der Erteilung der Zustimmung erschöpft sich jedoch die Wirkung der Vorschrift; eine darüber hinausgehende Bedeutung kommt ihr nicht zu. Anderenfalls könnte sich die Hauptfürsorgestelle durch Untätigkeit ihrer Fürsorgeaufgabe entziehen und den Schwerbehinderten um den Genuß des öffentlich-rechtlichen Sonderkündigungsschutzes bringen. Das wäre mit dem besonderen Schutzanliegen des Schwerbehindertengesetzes nicht vereinbar. Die Eröffnung des Widerspruchs wahrt dagegen die Chance des Schwerbehinderten, durch den Widerspruchsausschuß bei der Hauptfürsorgestelle mittels Versagung der Zustimmung vor außerordentlichen Kündigungen in Schutz genommen zu werden.
Die Anfechtbarkeit der fiktiven Zustimmung birgt auch keine unzumutbaren Rechtsunsicherheiten für den Arbeitgeber. Zwar setzt die Fiktion der Erteilung der Zustimmung keine Rechtsbehelfsfrist für den durch sie belasteten Schwerbehinderten in Lauf. Der Eintritt der Bestandskraft bleibt gleichwohl nicht im Ungewissen. § 18 Abs. 3 Satz 2 SchwbG F. 1979 befreit die Hauptfürsorgestelle nämlich nicht von der sich aus § 18 Abs. 1 in Verbindung mit § 15 Abs. 2 SchwbG F. 1979 ergebenden Pflicht, die Entscheidung über die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung dem Arbeitgeber und dem Schwerbehinderten zuzustellen (vgl. BAG, Urteil vom 15. November 1990 - 2 AZR 255/90 - ≪NZA 1991, 553/555≫). Da nur schriftliche Verwaltungsakte zugestellt werden können, folgt hieraus, daß die Hauptfürsorgestelle die als erteilt geltende Zustimmung den Beteiligten schriftlich zu bestätigen hat. § 36 SGB X knüpft hieran die Pflicht zur Rechtsbehelfsbelehrung, so daß der Arbeitgeber im Regelfall der ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung nach einem Monat Gewißheit darüber hat, ob er mit einem Rechtsbehelf des schwerbehinderten Arbeitnehmers rechnen muß.
Zu Recht hat auch das Berufungsgericht die angefochtene Kündigungszustimmung wegen unterbliebener Anhörung des Arbeitsamts für rechtswidrig gehalten. Dem liegt die Annahme zugrunde, daß die vorherige Einholung einer Stellungnahme des Arbeitsamtes durch die Hauptfürsorgestelle für die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten zwingende Voraussetzung ist und nicht dadurch geheilt wird, daß gem. § 38 Abs. 1 Satz 1 SchwbG F. 1979 ein Vertreter des Landesarbeitsamtes als Mitglied des Widerspruchsausschusses bei der Hauptfürsorgestelle am Verfahren beteiligt ist. Das entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 26, 145 ff.), die zwar noch zu § 16 Abs. 2 Satz 1 und § 28 Abs. 1 Satz 1 des Schwerbeschädigtengesetzes in der Fassung vom 14. August 1961 (BGBl. I S. 1234) ergangen, aber auch für die inhaltsgleichen Regelungen des § 14 Abs. 2 Satz 1 und des § 38 Abs. 1 Satz 1 SchwbG F. 1979 maßgebend ist. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch von der Anwendbarkeit des § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG F. 1979 in Verwaltungsverfahren der Hauptfürsorgestelle über die Zustimmung zu außerordentlichen Kündigungen ausgegangen. Nach § 18 Abs. 1 SchwbG F. 1979 gelten die §§ 12 ff. SchwbG F. 1979 mit Ausnahme von § 13 auch bei außerordentlicher Kündigung, soweit sich aus den folgenden Bestimmungen nichts Abweichendes ergibt.
Derartiges Spezialrecht enthalten weder § 18 Abs. 3 noch § 18 Abs. 4 SchwbG F. 1979. Verwaltungsverfahren über die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung stehen unter besonderem Beschleunigungsdruck. Das verpflichtet alle an diesem Verfahren beteiligten Behörden zur zügigen Erledigung der ihnen übertragenen Aufgaben. Der Gesetzgeber geht deshalb davon aus, daß die Anhörung des Arbeitsamtes und der anderen in § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG F. 1979 genannten Stellen auch innerhalb der kurzen Entscheidungsfrist des § 18 Abs. 3 Satz 1 SchwbG F. 1979 durchführbar ist. Ebensowenig ergibt sich aus § 18 Abs. 4 SchwbG F. 1979 Abweichendes im Sinne des § 18 Abs. 1 SchwbG F. 1979. Richtig ist zwar, daß Fragen der Vermittlungsfähigkeit des Schwerbehinderten auf dem Arbeitsmarkt, zu denen das Arbeitsamt gehört wird (vgl. BVerwGE 26, 145 ≪147≫), in aller Regel nur im Ermessensbereich der Sollvorschrift des § 18 Abs. 4 SchwbG F. 1979 von Bedeutung sein können. Das macht ihre Erhebung jedoch nicht überflüssig. Ob der vom Arbeitgeber angegebene Kündigungsgrund mit der Behinderung des Arbeitnehmers im Zusammenhang steht oder nicht und ob ggf. ein atypischer Fall vorliegt, der trotz fehlenden Zusammenhangs ausnahmsweise eine Verweigerung der Zustimmung rechtfertigen könnte, läßt sich von der Hauptfürsorgestelle häufig erst nach Abschluß ihrer Anhörungen und Ermittlungen sicher beurteilen. Würde die Anhörung bis zu diesem Zeitpunkt aufgeschoben, könnte sie innerhalb des dann von der zehntägigen Entscheidungsfrist noch offenen Zeitraums regelmäßig nicht mehr durchgeführt werden. Das Gesetz hat sich deshalb gezwungen gesehen, der Hauptfürsorgestelle eine gleichsam vorsorgliche Anhörungspflicht aufzuerlegen, damit diese das gesamte potentiell entscheidungserhebliche Abwägungsmaterial auch zeitgerecht vor Ablauf der Zehntagefrist verfügbar hat.
Bundesrecht verletzt jedoch die das Berufungsurteil tragende Auffassung, die angefochtene Entscheidung der Hauptfürsorgestelle sei allein wegen dieses Verfahrensfehlers aufzuheben, ohne daß es auf die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob zwischen den Behinderungen des Klägers und den Kündigungsgründen ein Zusammenhang bestehe, einzugehen sei. Dem liegt die Auffassung zugrunde, die Hauptfürsorgestelle habe zumindest bei der Beurteilung, ob trotz fehlenden Zusammenhangs zwischen Kündigungsgründen und Behinderungen ein atypischer Fall gegeben sei, ein Ermessen, das die Unbeachtlichkeit des Verfahrensfehlers nach § 42 Satz 1 SGB X ausschließe. Das entspricht nicht dem Gesetz.
Nach § 18 Abs. 4 SchwbG F. 1979 soll die Hauptfürsorgestelle die nach den §§ 18 Abs. 1, 12 SchwbG F. 1979 erforderliche Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten durch den Arbeitgeber erteilen, wenn die Kündigung aus einem Grunde erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. § 18 Abs. 4 SchwbG F. 1979 ist als "Soll"-Vorschrift im verwaltungsrechtlichen Sinne ausgestaltet. Derartige Normen sind im Regelfall für die mit ihrer Durchführung betraute Behörde rechtlich zwingend und verpflichten sie, grundsätzlich so zu verfahren, wie es im Gesetz bestimmt ist. Im Regelfall bedeutet das "Soll" ein "Muß". Nur bei Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, darf die Behörde anders verfahren als im Gesetz vorgesehen und den atypischen Fall nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden. Dieses Ermessen beschränkt sich jedoch grundsätzlich auf die Frage, was im Ausnahmefalle zu geschehen hat; ob ein atypischer Fall vorliegt, der eine solche Ermessensentscheidung ermöglicht und gebietet, ist dagegen als Rechtsvoraussetzung von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden. Das hat der Senat in seinem zur Aufnahme in die Entscheidungssammlung bestimmten Urteil vom 2. Juli 1992 - BVerwG 5 C 39.90 - (UA S. 8 f., 12) zu § 21 Abs. 4 SchwbG in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl. I S. 1421) entschieden; für die wortgleiche Vorschrift des § 18 Abs. 4 SchwbG F. 1979 gilt nichts anderes.
Das Berufungsgericht hätte nach alledem nur dann wie geschehen entscheiden dürfen, wenn entweder die vom Arbeitgeber geltend gemachten Gründe im Zusammenhang mit der Behinderung des Klägers standen oder aber trotz Nichtvorliegens eines entsprechenden Zusammenhanges ein atypischer Fall gegeben war. Da das Berufungsgericht diese Punkte unaufgeklärt gelassen hat, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 543785 |
Buchholz 436.61 § 18 SchwbG Nr 5, (S, LT) |
BVerwGE 91, 7-13 (LT) |
BVerwGE, 7 |
NVwZ 1993, 272 (L) |
NZA 1993, 76-78 (LT) |
RzK IV 8c, Nr 19 (LT) |
DÖV 1993, 303-305 (LT) |
DVBl 1992, 1604-1606 (LT) |
EzA § 21 SchwbG 1986, Nr 4 (LT) |
ZfSH/SGB 1993, 80 (L) |
br 1993, 17-19 (ST) |