Die grundlegenden Überlegungen zum Präventionsparadox können auf das Dilemma der Prävention im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz übertragen werden.

3.1 Betriebliche Gesundheitsförderung

Überträgt man das Präventionsparadox auf die Gesundheitsförderung im Betrieb könnte man – denkfalsch – schlussfolgern:

  • der Betrieb bietet – und bezahlt – gesundheitspräventive Maßnahmen,
  • gesundheitliche negative Folgen der Mitarbeiter bleiben aus,
  • also ist die betriebliche Gesundheitsförderung überflüssig und die Kosten dafür können eingespart werden.

Dieser Argumentationslogik folgen jedoch vor allem viele größere Unternehmen nicht. Sie bieten ihren Beschäftigten betriebliche Gesundheitsförderung mittels verschiedener Aktionen und Programme an. Dazu zählen Einzelmaßnahmen wie zum Beispiel Gesundheitstage, Grippeschutzimpfungen oder Übungsprogramme zur Vorbeugung von Rückenbeschwerden, Reduktion von Stress und Aufklärung über gesunde Ernährung. Die Maßnahmen sind eingebettet in einen größeren Gestaltungsrahmen. Dieser umfasst Veränderungen der Strukturen und Prozesse in Richtung gesundheitsfördernde Organisationsentwicklung und findet seinen Abschluss im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM), welches Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten als betriebliche Ziele mit Managementstrategien verankern möchte.

Betriebliche Gesundheitsförderung zielt auf die Allgemeinheit der Beschäftigten ab. Hochrisikogruppen werden von den Angeboten wahrscheinlich weniger profitieren, da sie eventuell bereits unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden und kurative (= heilende) statt präventive Maßnahmen benötigen.

ROI

Dass Betriebliche Gesundheitsförderung sich auch wirtschaftlich positiv auswirkt, belegen Studien zum Kosten-Nutzen-Verhältnis. Der ROI (Return on Investment) ist eine Kennzahl, die Nutzen und Gewinn einer Maßnahme in das Verhältnis zum eingesetzten Kapital setzt. Der Gewinn bzw. finanzielle Nutzen sind die eingesparten Krankheitskosten, reduzierte krankheitsbedingten Fehlzeiten und Produktivitätssteigerung. Studien weisen insg. auf einen positiven ROI hin. Bei Einsparungen medizinischer Kosten liegt der ROI bei 1:3,27 und für die Senkung krankheitsbedingter Fehlzeiten bei 1:2,73. Andere internationale Untersuchungen belegen, dass für jeden Dollar, der in Prävention investiert wird, 10 US-Dollar eingespart werden können.[1]

[1] https://www.netzwerk-bgf.at/cdscontent/load?contentid=10008.676358&version=1556100919#:~:text=Die%20Studien%20weisen%20insgesamt%20auf,bei%201 %20 %3A%202 %2C73, Abrufdatum: 15.7.2023.

https://www.hcc-magazin.com/praevention-im-arbeitsschutz-definition-massnahmen-fakten/11803, Abrufdatum: 15.7.2023.

https://www.iga-info.de/fileadmin/redakteur/Veroeffentlichungen/iga_Reporte/Dokumente/iga-Report_16_Analyse_ROI-Kalkulatoren.pdf, Abrufdatum: 15.7.2023.

3.2 Klassischer Arbeitsschutz

Auch die Maßnahmen im klassischen Arbeitsschutz unterliegen dem Phänomen des Präventionsparadoxes oder anders gesagt: dem Dilemma der Prävention. Es gibt gesetzliche Vorschriften und Regeln sowie betriebliche Anweisungen, die befolgt werden müssen, wenn es um gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen geht. Soweit die Theorie, denn die Praxis sieht leider oft anders aus.

Wenn man die Erkenntnisse von Rose zugrunde legt und erweitert, heißt das:

  • Präventionsmaßnahmen die darauf abzielen, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu verhindern, haben für alle Beschäftigten einen positiven Effekt.
  • Einzelne Mitarbeiter werden den Nutzen von Präventionsmaßnahmen aber nur bedingt (an-)erkennen, weil sie diese als nicht notwendig erachten.
  • In den meisten Fällen werden sicherheitskritische Situationen von Beschäftigten entweder nicht bemerkt oder das unerwünschte Ergebnis (= der Arbeitsunfall) bleibt aus.
  • Deshalb werden Vorschriften, Regeln und Anweisungen von "Risikopersonen" nicht befolgt.

Wenn ein Mitarbeiter nicht persönlich von einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit betroffen ist, besteht die Gefahr, dass Risiken nicht erkannt werden und sinnvolle Präventionsmaßnahmen verpuffen.

 
Praxis-Beispiel

PSA

Persönliche Schutzausrüstung (PSA) wird oft als lästig, unbequem oder uncool empfunden und von einzelnen Mitarbeitern als entbehrlich erachtet. Es besteht keine innere Überzeugung hinsichtlich der Schutzwirkung von PSA, weil "noch nie etwas passiert ist". Die Wirksamkeit von PSA hat sich aber für alle Beschäftigten auf einem langen Zeitstrahl als nützlich erwiesen, um Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu verhindern.

Weil Arbeitsunfälle selten sind und/oder Spätfolgen gesundheitsschädigender Verhaltensweisen nicht im unmittelbaren Erfahrungshorizont einer Person liegen, bilden sich Gewohnheiten aus. Gewohnheiten sind veränderungsresistent, das gilt für gute wie schlechte Gewohnheiten gleichermaßen.

"Eine nachhaltige Verhaltensänderung zu erzielen, wird umso schwerer, je weniger Veränderungsdruck verspürt wird, je mehr routinierte Gewohnheitsmuster durchbrochen und neue Kompetenzen erworben werden müssen und je weniger ein direkter Nutzen oder Gewinn erkennbar ist.", sagt Dr. Martine Hof...

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