Um die Komplexität des Präventions-Thema-Dilemmas zu reduzieren, liegt der Fokus im Folgenden auf den Personenvariablen. Es erscheint zielführend, zunächst die Motivationslage von Beschäftigten nach der oben genannten Definition von Ralf Schwarzer zu klären. Entsprechend der Motivationslage bedarf es verschiedener Strategien, um Mitarbeiter zu arbeitssicherem Verhalten zu motivieren.
Handelnde Personen
Handelnde Personen brauchen keine weitere besondere Ansprache. Sie handeln korrekt und sind Vorbilder für andere. Ggf. kann man wertschätzend kommunizieren, wenn es in einem bestimmten Bereich keine (Beinahe-)Unfälle gegeben hat und/oder wenn es keine Verstöße gegen Arbeitsschutzvorschriften gegeben hat.
Unmotivierte Mitarbeiter
Unmotivierte Mitarbeiter sind sich oftmals nicht bewusst, welche Gefahren und Gefährdungen ihr riskantes Verhalten mit sich bringt. Sie kennen diese nicht, unterschätzen oder leugnen sie (Präventionsparadox). Sie beabsichtigen nicht, ihre Gewohnheiten zu ändern.
Ein Motivationsprozess nach Schwarzer kann in Gang gesetzt werden, wenn die 3 Parameter
- Risikowahrnehmung,
- Handlungsergebniserwartung und
- Selbstwirksamkeit
aktiviert werden.
Das Konzept der Risikowahrnehmung beinhaltet das Bewusstsein für die eigene Gefährdung durch unsichere Verhaltensweisen oder bereits erlebte Auswirkungen von sicherheitskritischem Verhalten, zum Beispiel in Form von Beinahe-Unfällen ("Das hätte auch schiefgehen können").
Eine Bewusstseinsschärfung für Gefahren reicht aber noch nicht aus, um eine Verhaltensänderung herbeizuführen. Im nächsten Schritt müssen Kontingenzen (= Möglichkeiten) zwischen Aufgeben oder Beibehalten des Verhaltens und den möglichen Konsequenzen erlebt werden. Werden positive Erfahrungen gemacht, steigert das die Motivation, Verhalten zu ändern und künftig beizubehalten ("Wenn ich mich sicher verhalte, erspare ich mir viele Uannehmlichkeiten").
Diese Willensbildung wird umso mehr gestärkt, je höher der Grad an Selbstwirksamkeit ist – damit ist die Überzeugung einer Person gemeint, Situationen und Herausforderungen allein aus eigener Kraft und dank der eigenen Kompetenz erfolgreich bewältigen zu können ("Ich kriege das schon hin, wenn ich das will").
Motivierte Mitarbeiter
Motivierte Mitarbeiter müssen nicht überzeugt werden. Ihnen kann man begegnen, indem ihnen die Umsetzung ihrer Intention ("Ich will sicher arbeiten") in konkretes Verhalten erleichtert wird. Wann, wo und wie kann ich mich sicher verhalten? Was mache ich, wenn sich Schwierigkeiten in der Umsetzung arbeitssicherem Verhalten ergeben (Maschine steht plötzlich still, Schutzbrille ist defekt oder Mitarbeiter ist verspätet). Konkrete Handlungs- und Bewältigungspläne für problematische Situationen erleichtern motivierten Mitarbeitern, ihre Ziele beizubehalten.
Auch bei motivierten Mitarbeitern richten sich die angebotenen Handlungspläne nach den Kompetenzen der Mitarbeiter, damit die geplante Handlung ausgeführt wird und Frustrationserlebnisse vermieden werden. Das Erleben der Selbstwirksamkeit kann beispielsweise durch messbare Handlungserfolge (keine Arbeitsunfälle in der Abteilung) gezielt verstärkt werden.
Die Vorschläge gelten natürlich auch für bereits handelnde Personen, denen zum einen keine Hürden in den Weg gelegt werden sollten, wenn es um die Praktikabilität von arbeitssicherem Verhalten geht und die zum anderen auch Erfolgserlebnisse in Bezug auf kompetentes Verhalten erfahren sollten.
Insbesondere die Selbstwirksamkeits-Überzeugungen können eine wichtige Stellschraube im Motivationsprozess sein. Erlebt sich jemand als kompetent und einflussreich in Hinblick auf selbstbestimmtes Handeln, bringt das Erfolgserlebnisse, die wiederum sowohl zu einer Stärkung der Selbstwirksamkeit als auch des gezeigten Verhaltens führen. Misserfolge hingegen führen zu einer Schwächung der Selbstwirksamkeit, so der Lerntheoretiker Albert Bandura. Das Verhalten wird in der Folge weniger gezeigt.
Weiterhin beschreibt Bandura, dass das Beobachten von erfolgreichen Modellpersonen und der Einfluss sozialer Gruppen einen wichtigen Einfluss auf das Selbstwirksamkeits-Empfinden haben. Der Erfolg wichtiger Bezugspersonen stärkt die eigene Selbstwirksamkeit, insbesondere dann, wenn ihr Verhalten öffentliche Anerkennung findet.
Für alle drei Personengruppen gilt, sie "dort abzuholen, wo sie gerade aus motivationaler Sicht stehen". Auch diese Aussage Schwarzers kann durch die emotionale Komponente ergänzt oder erweitert werden, indem man die Ansprache gezielt formuliert: verständlich, an den Bedürfnisse der Betroffenen orientiert und die Umsetzung von Maßnahmen nicht allzu kompliziert gestaltet.