André Häusling, Jennifer Rolle
Der Grund für das Zögern, loszulegen, hängt auch stark damit zusammen, dass ein Transformationsprozess in Richtung Agilität eine komplexe Herausforderung ist. Nicht nur, dass die Transformation die unterschiedlichsten Dimensionen einer Organisation betrifft, auch ist schwer vorherzusehen, wie die Menschen in der Organisation auf einzelne Maßnahmen reagieren werden. Sich also abzumühen und im Voraus den perfekten Plan erstellen zu wollen und mit einem Big Bang einzuführen, ist insofern schlecht investierte Zeit. Was liegt also näher, als den Transformationsprozess selbst agil zu gestalten: in Iterationen, kleinen Schritten und einer transparenten Vorgehensweise. Tatsächlich können mit agilen Prozessen und Methoden viele der in der klassischen Change-Literatur beschriebenen Erfolgskriterien für einen Transformationsprozess sehr gut erfüllt werden, denn diese Kriterien sind bei aller Agilität und neuen Prozessideen, die im Folgenden beschrieben werden, nach wie vor gültig und sollten beachtet werden.
Aus den agilen Verfahren und den klassischen Erfolgskriterien im Change Management (Kotter, Scrum und viele andere bestehende Frameworks) haben wir ein Verfahren adaptiert und ein 6-Erfolgsfaktoren-Modell entwickelt. Es bietet einen guten Rahmen und Orientierung, lässt aber genug Freiheiten, um es an die spezifische Situation im Unternehmen anzupassen.
Abb. 1: Das 6-Erfolgsfaktoren-Modell
Die Darstellung der Erfolgsfaktoren ist insofern keine sequentielle Abfolge von Phasen, sondern diese sind häufig durchgehend relevant und werden in sich selbst immer wieder iterativ weiterentwickelt.
2.1 Erfolgsfaktor 1: Gründe haben
Insbesondere sehr große, sehr klassisch arbeitende Unternehmen benötigen häufig eine längere Phase, in der sie sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass die Dinge nicht so bleiben können, wie sie sind, bevor die nötige Energie bereitsteht, sich zu verändern. D. h., die Veränderungsnotwendigkeit allen Organisationsmitgliedern verständlich zu vermitteln und das berühmte "Gefühl der Dringlichkeit" herzustellen, benötigt viel Zeit. Tatsächlich gibt es aber auch in viel späteren Phasen immer wieder die Notwendigkeit, aufzuzeigen, warum der ganze Aufwand betrieben wird. Selbst nach ersten Erfolgen trifft man häufig noch auf Kollegen, die die Transformation infrage stellen und z. B. die Meinung äußern, dass es "früher doch auch immer irgendwie gegangen ist". Hier hat man am besten immer seinen Elevator Pitch parat, in dem man die Gründe für die Transformation nochmals erklärt.
Konkret ist besser als abstrakt
Knüpfen Sie an den Erfahrungshintergrund der Mitarbeiter an! Digitalisierung, Automatisierung, Vernetzung, Mobilität sind Schlagwörter, die in ihrem hohen Abstraktionsgrad in der Kommunikation häufig nicht verfangen. Die Frage bleibt für viele: "Was hat das mit meinem Arbeitsalltag zu tun?" Nutzen Sie für die übergreifende interne Kommunikation konkrete Beispiele aus der Unternehmenspraxis, die die meisten kennen, und in der persönlichen Kommunikation Beispiele aus dem Arbeitsalltag der Kollegen.
2.2 Erfolgsfaktor 2: Zielbild entwickeln
Es ist wichtig, ein Zielbild für die agile Organisation zu entwickeln. Wie weit soll es gehen mit der Agilität? Wie soll die Agilität aussehen? Welche agilen Prinzipien sind für die Organisation besonders wichtig? Wie stellen wir uns die Ausprägung in den 6 Dimensionen der agilen Transformation für unser Unternehmen vor? Wie sieht unser Zielbild für eine agile Organisation zum Beispiel strukturell oder kulturell aus? Wie ist unser Führungsverständnis?
Ein griffiges Zielbild fällt selten einfach vom Himmel. In der Regel bedeutet es harte Arbeit und längere, teils über Monate reichende kontinuierliche Weiterentwicklung, bis ein Zielbild entstanden ist, das
- emotional,
- bildlich vorstellbar,
- für jeden verständlich,
- spezifisch für die Organisation,
- orientierend über das, was getan, aber vor allem auch nicht (mehr) getan werden soll und
- prägnant in wenigen Zeilen zusammengefasst ist.
Warum ist ein Zielbild so wichtig? Ein besonderes Prinzip von Agilität ist die Selbstorganisation. Die Führungskraft gibt also die Aufgabe, zu sagen, wer was wann und wie zu tun hat, an die Mitarbeiter ab. Doch wer sagt mir nun, was ich wann und wie zu tun habe? Wie kann ich Entscheidungen treffen, ob ich rechts herum oder links herum gehe? Diese wichtige Funktion übernimmt neben der Kultur zukünftig das Zielbild. Daher ist es so wichtig, dass es die oben genannten Kriterien erfüllt. Nur so kann man sich als Teil der Organisation damit identifizieren und seine Entscheidungen danach treffen.
Gleichzeitig ist das Zielbild sinngebend. Menschen sind, anders als die klassische Managementliteratur behauptet, nicht nur Nutzenmaximierer. Wir sind vor allem Sinnmaximierer. D. h., man ist nur bereit, sich für eine Sache zu engagieren, wenn man sich damit identifizieren kann und einen Sinn darin sieht. Aber dann ist man auch bereit, sich mit seinen ganz...