Arbeitsplatzbedingte Gesundheitsbelastungen sind mehr denn je von gesellschaftlicher Relevanz. Im Rahmen des gesellschaftlichen Wandels hin zu einer Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft in Deutschland haben sich auch die Belastungen am Arbeitsplatz verändert. Die beobachtbare Intensivierung von Arbeit ist besonders durch eine zunehmende Flexibilisierung und einen erhöhten Zeit- und Leistungsdruck gekennzeichnet.
Eine gesunde und produktive Mitarbeiterschaft zu fördern und aufrechtzuerhalten sollte im Interesse jedes zukunftsorientierten Unternehmens liegen und kann zudem als Alleinstellungsmerkmal im Bewerbermarkt wahrgenommen werden. Um den (arbeitsbezogenen) Belastungen entgegenzuwirken, kann ein interessiertes Unternehmen zum einen interne Arbeitsbedingungen und -prozesse analysieren, zum anderen seine Mitarbeiter beim Aufbau sowie Erhalt von gesundheitsfördernden Ressourcen unterstützen – u. a. im Rahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung und des Handlungsfelds "Gesundheitsförderlicher Arbeits- und Lebensstil" inkl. des Präventionsprinzips "Stressbewältigung und Ressourcenstärkung" (§ 20a SGB V).
1.1 Krankheitsspektrum
Parallel zu der sich verändernden Arbeitswelt hat sich auch das Krankheitsspektrum in den letzten Jahrzehnten verändert. Neben dem allgemeinen Trend des stetigen Anstiegs des Krankenstandes ist der Anteil der Arbeitsunfähigkeitstage durch psychische Erkrankungen deutlich gestiegen – in den letzten 10 Jahren um fast 50 % – und nach den Atemwegs- sowie Muskel-Skelett-Erkrankungen der dritthäufigste Grund für Fehltage. Gleichzeitig sind durch psychische Erkrankungen bedingte Ausfälle im Schnitt mit längeren Ausfallzeiten assoziiert und nehmen einen erheblichen Anteil am Langzeit-Arbeitsunfähigkeitsgeschehen ein. Nach aktuellen Fehlzeiten-Reporten dauerten Krankheitsfälle aufgrund psychischer Erkrankungen mit ca. 30 Tagen je Fall mehr als doppelt so lang wie der durchschnittliche nicht psychisch bedingte Arbeitsausfall mit ca. 14 Tagen je Fall. Der deutliche Anstieg der Atemwegserkrankungen ist auch im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu interpretieren.
Als psychische arbeitsbezogene Beschwerden werden am häufigsten
- Erschöpfung,
- Wut,
- Verärgerung und
- Lustlosigkeit
genannt. Eine Vielzahl von Studien deutet darauf hin, dass die Zunahme der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen eine Folge der zunehmenden Arbeitsbelastungen sein kann – in welchem Umfang bleibt jedoch umstritten. Ein wesentlicher Grund für den Anstieg wird außerdem in der Entstigmatisierung psychischer Störungen und Krankheiten gesehen.
Gleichzeitig haben Betriebe und Organisationen, die von ihren Mitarbeitern als zukunftsfähig eingeschätzt werden, im Schnitt weniger berufliche Fehlzeiten und gesündere Beschäftigte.
1.2 Ausfallkosten
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) bewertet seit 1994 die volkswirtschaftlichen Kosten durch Arbeitsunfähigkeit – die Tendenz ist steigend und die Summe beachtlich.
Für 2022 schätzt die BAuA die volkswirtschaftlichen Produktionsausfälle auf insgesamt 118 Mrd. EUR bzw. den Ausfall an Bruttowertschöpfung auf 207 Mrd. EUR. Den deutlichen Anstieg begründet die BAuA in den im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegenen Zahlen für Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Atemwegserkrankungen.
Für 2021 beliefen sich die Schätzungen der BAuA noch auf 89 Mrd. EUR bzw. für den Ausfall an Bruttowertschöpfung auf 153 Mrd. EUR. 2020 lagen die Ausfallschätzungen bei 87 Mrd. EUR bzw. 144 Mrd. EUR.
Ausfallkosten durch Präsentismus
Auch durch Präsentismus können Ausfallkosten entstehen. Unter Präsentismus versteht man die Anwesenheit am Arbeitsplatz, obwohl ein Fehlen legitim wäre. Im Rahmen einer Studie hat eine große Unternehmensberatung Kosten in Höhe von 2.400 EUR pro Jahr errechnet, die einem Unternehmen durch Mitarbeiter entstehen, die trotz Krankheit am Arbeitsplatz erscheinen. Kostenfaktoren waren hier eingeschränkte Leistungsfähigkeit, Fehler und Unfälle. Damit verursachen sie doppelt so hohe Kosten wie kranke Beschäftigte, die zu Hause bleiben, oder fallen ggf. später umso länger aus, da der Erholungsbedarf ignoriert wurde (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Eisberg-Modell – Kostenentwicklung bei Präsentismus und Absentismus
1.3 Zusammenhang von psychischer Belastung und Gesundheit
Die moderne Arbeitswelt erfordert Geschwindigkeit, Flexibilität, hohe Kunden- und Mitarbeiterorientierung und einen konstruktiven Umgang mit ständigen Veränderungen.
Der Begriff "psychische Belastung" ist nach der Norm DIN EN ISO 10075-1 als die "Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken" definiert. Psychische Arbeitsanforderungen sind hiernach Anforderungen an kognitive, emotionale und motivationale Prozesse, wie Gedächtnisleistung, Aufmerksamkeit und Wahrnehm...