Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesarbeitsgericht (Deutschland). Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer, Anerkennung einer Arbeitsunfähigkeit. Krankenversicherung, Arbeitnehmer, der sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat aufhält, Anspruch auf die Leistungen, die der Zustand des Kranken erfordert, Tragweite, Geldleistungen, die zum Ausgleich des Verdienstausfalls des kranken Arbeitnehmers bestimmt sind, Einbeziehung, Lohnzahlung nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, Unerheblichkeit (Verordnung Nr. 1408/71 des Rates, Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer ii). Arbeitsunfähigkeit, Anerkennungspflicht, Grenzen, Erbringung von Nachweisen durch den Arbeitgeber, anhand deren sich feststellen lässt, daß der Arbeitnehmer mißbräuchlich oder betrügerisch gehandelt hat, Zulässigkeit, Erfordernis zusätzlichen Beweises seitens des Arbeitnehmers, Unzulässigkeit (Verordnung Nr. 574/72 des Rates, Artikel 18 Absätze 1 bis 5)
Leitsatz (amtlich)
1. Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/71 gilt für eine nationale Regelung, nach der ein Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit für eine bestimmte Zeit Anspruch auf Lohnfortzahlung hat, auch dann, wenn die Vergütung erst eine bestimmte Zeit nach dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zu zahlen ist.
In dem diese Bestimmung voraussetzt, daß der Zustand des Kranken unverzueglich Leistungen erfordert, verlangt sie nämlich zum einen die Feststellung, daß medizinisch gesehen eine unverzuegliche Leistung erforderlich ist. Zum anderen gilt sie insofern nicht nur für unverzueglich erforderliche Sachleistungen, sondern bedeutet darüber hinaus, daß die betroffene Person in einem solchen Notfall auch entsprechende Geldleistungen beanspruchen kann, die im wesentlichen dazu bestimmt sind, den Verdienstausfall des kranken Arbeitnehmers auszugleichen und damit seinen Lebensunterhalt zu sichern, der sonst gefährdet sein könnte.
2. Die Auslegung von Artikel 18 Absätze 1 bis 5 der Verordnung Nr. 574/72, die der Gerichtshof im Urteil vom 3. Juni 1992 in der Rechtssache C-45/90 (Paletta) vorgenommen hat und wonach der zuständige Träger, auch wenn es sich dabei um den Arbeitgeber und nicht um einen Träger der sozialen Sicherheit handelt, in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht an die vom Träger des Wohn- oder Aufenthaltsorts getroffenen ärztlichen Feststellungen über den Eintritt und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit gebunden ist, sofern er die betroffene Person nicht durch einen Arzt seiner Wahl untersuchen lässt, wozu ihn Artikel 18 Absatz 5 ermächtigt, verwehrt es dem Arbeitgeber nicht, Nachweise zu erbringen, anhand deren das nationale Gericht gegebenenfalls feststellen kann, daß der Arbeitnehmer mißbräuchlich oder betrügerisch eine gemäß Artikel 18 festgestellte Arbeitsunfähigkeit gemeldet hat, ohne krank gewesen zu sein. Die mißbräuchliche oder betrügerische Geltendmachung von Gemeinschaftsrecht ist nämlich nicht gestattet.
Wenn der Arbeitgeber Umstände darlegt und beweist, die zu ernsthaften Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit Anlaß geben, ist es aber nicht mit den Zielen des Artikels 18 der Verordnung Nr. 574/72 vereinbar, vom Arbeitnehmer zusätzlichen Beweis für die durch ärztliche Bescheinigung belegte Arbeitsunfähigkeit zu verlangen. Dies hätte nämlich für den Arbeitnehmer, der in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat arbeitsunfähig geworden ist, Beweisschwierigkeiten zur Folge, die die Gemeinschaftsregelung gerade vermeiden soll.
Normenkette
EWGV 1408/71 Art. 22 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii; VERORDNUNG Nr. 574/72 DES RATES Art. 18 Abs. 1, 5
Beteiligte
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
1. Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer ii der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 gilt für eine nationale Regelung, nach der ein Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit für eine bestimmte Zeit Anspruch auf Lohnfortzahlung hat, auch dann, wenn die Vergütung erst eine bestimmte Zeit nach dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zu zahlen ist.
2. Die Auslegung von Artikel 18 Absätze 1 bis 5 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, die der Gerichtshof im Urteil vom 3. Juni 1992 in der Rechtssache C-45/90 (Paletta, Slg. 1992, I-3423) vorgenommen hat, verwehrt es dem Arbeitgeber nicht, Nachweise zu erbringen, anhand deren ...