Entscheidungsstichwort (Thema)
Verordnungen (EWG) Nrn. 1408/71 und 574/72. Familienleistungen. Erziehungsgeld. Anspruch auf gleichartige Leistungen im Beschäftigungsmitgliedstaat und im Wohnmitgliedstaat
Beteiligte
Tiroler Gebietskrankenkasse |
Tenor
1. Eine Person besitzt die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 1386/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 geänderten und aktualisierten Fassung, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Artikel 1 Buchstabe a dieser Verordnung genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Es ist Sache des nationalen Gerichts, die notwendigen Prüfungen vorzunehmen, um festzustellen, ob die Klägerinnen der Ausgangsverfahren in den Zeiträumen, für die die fraglichen Leistungen beantragt wurden, einem Zweig des österreichischen Systems der sozialen Sicherheit angehört haben und damit unter den Begriff „Arbeitnehmer” im Sinne von Artikel 1 Buchstabe a fielen.
2. Räumen die Rechtsvorschriften des Beschäftigungsmitgliedstaats und die des Wohnmitgliedstaats eines Arbeitnehmers diesem für denselben Familienangehörigen und für denselben Zeitraum Ansprüche auf Familienleistungen ein, so ist der für die Gewährung dieser Leistungen zuständige Mitgliedstaat nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung (EG) Nr. 410/2002 der Kommission vom 27. Februar 2002 geänderten und aktualisierten Fassung grundsätzlich der Beschäftigungsmitgliedstaat.
Übt jedoch eine Person, die das Sorgerecht für die Kinder hat, insbesondere der Ehegatte oder der Lebensgefährte des Arbeitnehmers, eine Erwerbstätigkeit im Wohnmitgliedstaat aus, so sind die Familienleistungen nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 574/72 in der durch die Verordnung Nr. 410/2002 geänderten Fassung von diesem Mitgliedstaat zu gewähren, unabhängig davon, wer der in den Rechtsvorschriften dieses Staates bezeichnete unmittelbare Empfänger dieser Leistungen ist. In diesem Fall ruht die Gewährung der Familienleistungen durch den Beschäftigungsmitgliedstaat bis zur Höhe der in den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats vorgesehenen Familienleistungen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Oberlandesgericht Innsbruck (Österreich) mit Entscheidung vom 16. Dezember 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Dezember 2003, in dem Verfahren
Christine Dodl,
Petra Oberhollenzer
gegen
Tiroler Gebietskrankenkasse
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans und A. Rosas sowie der Richter C. Gulmann, J.-P. Puissochet, K. Schiemann (Berichterstatter), J. Makarczyk, P. Kuris, E. Juhász, U. Lõhmus, E. Levits und A. Ó Caoimh,
Generalanwalt: L. A. Geelhoed,
Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Dezember 2004,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Frau Dodl und Frau Oberhollenzer, vertreten durch Rechtsanwalt J. Hobmeier,
- der Tiroler Gebietskrankenkasse, vertreten durch A. Bramböck als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing und A. Tiemann als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch H. Dossi, E. Riedl und G. Hesse als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwältin S. Holzmann,
- der finnischen Regierung, vertreten durch A. Guimaraes-Purokoski als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Martin, H. Kreppel und B. Martenczuk als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. Februar 2005
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Gemeinschaftsverordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Dabei geht es insbesondere um die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2), in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 1386/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 (ABl. L 187, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) sowie um die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 (AB...