Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Massenentlassungen. Begriff der Arbeitnehmer, die ‚in der Regel’ in dem betreffenden Betrieb ‚beschäftigt’ sind. Begriffe ‚Entlassung’ und ‚Beendigungen des Arbeitsvertrags, die einer Entlassung gleichgestellt werden’. Methode zur Berechnung der Zahl entlassener Arbeitnehmer
Normenkette
Richtlinie 98/59/EG Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a; Richtlinie 98/59/EG Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 2
Beteiligte
Fondo de Garantía Salarial |
Tenor
1. Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen ist dahin auszulegen, dass Arbeitnehmer mit einem für eine bestimmte Zeit oder Tätigkeit geschlossenen Vertrag zu den Arbeitnehmern gehören, die im Sinne dieser Bestimmung „in der Regel” in dem betreffenden Betrieb beschäftigt sind.
2. Im Hinblick auf die Feststellung, ob eine „Massenentlassung” im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59 vorliegt und diese damit anwendbar ist, ist die in Unterabs. 2 dieser Bestimmung enthaltene Voraussetzung, dass „die Zahl der Entlassungen mindestens 5 beträgt”, dahin auszulegen, dass sie sich nicht auf Beendigungen des Arbeitsvertrags bezieht, die einer Entlassung gleichgestellt werden, sondern nur auf Entlassungen im eigentlichen Sinne.
3. Die Richtlinie 98/59 ist dahin auszulegen, dass es unter den Begriff „Entlassung” im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie fällt, wenn ein Arbeitgeber einseitig und zulasten des Arbeitnehmers aus nicht in dessen Person liegenden Gründen eine erhebliche Änderung der wesentlichen Bestandteile des Arbeitsvertrags vornimmt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de lo Social nº 33 de Barcelona (Arbeitsgericht Barcelona Nr. 33, Spanien) mit Entscheidung vom 1. September 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 12. September 2014, in dem Verfahren
Cristian Pujante Rivera
gegen
Gestora Clubs Dir SL,
Fondo de Garantía Salarial
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Vizepräsidenten A. Tizzano in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer, der Richter F. Biltgen (Berichterstatter), A. Borg Barthet und E. Levits sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Pujante Rivera, vertreten durch V. Aragonés Chicharro, abogado,
- der Gestora Clubs Dir SL, vertreten durch L. Airas Barreal, abogado,
- der spanischen Regierung, vertreten durch J. García-Valdecasas Dorrego als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Vidal Puig, M. Kellerbauer und J. Enegren als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 3. September 2015
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. L 225, S. 16).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Pujante Rivera einerseits und seinem Arbeitgeber, der Gestora Clubs Dir SL (im Folgenden: Gestora), sowie dem Fondo de Garantía Salarial (Lohngarantiefonds) andererseits über die Rechtmäßigkeit seiner Entlassung.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 2 und 8 der Richtlinie 98/59 lauten:
„(2) Unter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer ausgewogenen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in der Gemeinschaft ist es wichtig, den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen zu verstärken.
…
(8) Es empfiehlt sich, im Hinblick auf die Berechnung der Zahl der Entlassungen gemäß der Definition der Massenentlassungen im Sinne dieser Richtlinie den Entlassungen andere Arten einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die auf Veranlassung des Arbeitgebers erfolgt, gleichzustellen, sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt.
…”
Rz. 4
Art. 1 („Begriffsbestimmungen und Anwendungsbereich”) dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Für die Durchführung dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:
‚Massenentlassungen’ sind Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt und bei denen – nach Wahl der Mitgliedstaaten – die Zahl der Entlassungen:
i) entweder innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen
- mindestens 10 in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Arbeitnehmern,
- mindestens 10 v. H. der Arbeitnehmer in Betrieben mit in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmern,
- mindestens 30 in Betrieben mit in der Regel mindestens 300 Arbeitnehmern,
ii) oder innerhalb eines Zeitrau...