Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Freier Kapitalverkehr. Nationale Regelung über die Erbschaftsteuer. Im Inland belegene Immobilien. Beschränkte Steuerpflicht. Unterschiedliche Behandlung von Gebietsansässigen und Gebietsfremden. Anspruch auf einen Freibetrag auf die Bemessungsgrundlage. Anteilige Kürzung im Fall der beschränkten Steuerpflicht. Verbindlichkeiten aus Pflichtteilen. Kein Abzug im Fall der beschränkten Steuerpflicht
Normenkette
AEUV Art. 63, 65
Beteiligte
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Art. 63 und 65 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats über die Berechnung der Erbschaftsteuer nicht entgegenstehen, die vorsieht, dass im Fall des Erwerbs von im Inland belegenen Grundstücken, wenn zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers weder dieser noch der Erbe seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat hatte, der Freibetrag auf die Steuerbemessungsgrundlage gegenüber dem Freibetrag, der zur Anwendung gekommen wäre, wenn zumindest einer von ihnen zu diesem Zeitpunkt seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat gehabt hätte, um einen Betrag gemindert wird, der dem Verhältnis des Wertes des nicht der Steuer in diesem Mitgliedstaat unterliegenden Vermögens zum Gesamtwert des Nachlasses entspricht.
2. Die Art. 63 und 65 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats über die Berechnung der Erbschaftsteuer entgegenstehen, die vorsieht, dass im Fall des Erwerbs von im Inland belegenen Grundstücken, wenn zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers weder dieser noch der Erbe seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat hatte, die Verbindlichkeiten aus Pflichtteilen nicht als Nachlassverbindlichkeiten vom Nachlasswert abzugsfähig sind, während diese Verbindlichkeiten vollständig abgezogen werden können, wenn zumindest einer von ihnen zu diesem Zeitpunkt seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat hatte.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 20. Juli 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 18. August 2020, in dem Verfahren
XY
gegen
Finanzamt V
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan (Berichterstatter), des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Fünften Kammer, des Präsidenten der Vierten Kammer C. Lycourgos sowie der Richter I. Jarukaitis und M. Ilešič,
Generalanwalt: J. Richard de la Tour,
Kanzler: C. Di Bella, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juni 2021,
unter Berücksichtigung der Erklärungen:
- von XY, vertreten durch Steuerberater R. Weller,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, R. Kanitz und S. Costanzo als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch J. Ruiz Sánchez als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. September 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 63 und 65 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen XY und dem Finanzamt V (Deutschland) über die Berechnung der Erbschaftsteuer auf in Deutschland belegene Grundstücke.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
§ 1 („Steuerpflichtige Vorgänge”) des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 1997 (BGBl. 1997 I S. 378), geändert durch das Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 23. Juni 2017 (BGBl. 2017 I S. 1682) (im Folgenden: ErbStG), sieht vor:
„(1) Der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) unterliegen
- der Erwerb von Todes wegen;
- die Schenkungen unter Lebenden;
…”
Rz. 4
§ 2 („Persönliche Steuerpflicht”) ErbStG bestimmt:
„(1) Die Steuerpflicht tritt ein
1. in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes, der Schenker zur Zeit der Ausführung der Schenkung oder der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuer (§ 9) ein Inländer ist, für den gesamten Vermögensanfall (unbeschränkte Steuerpflicht). Als Inländer gelten
- natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
- deutsche Staatsangehörige, die sich nicht länger als fünf Jahre dauernd im Ausland aufgehalten haben, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben,
…
3. in allen anderen Fällen, vorbehaltlich des Absatzes 3, für den Vermögensanfall, der in Inlandsvermögen im Sinne des § 121 des Bewertungsgesetzes besteht (beschränkte Steuerpflicht).
…”
Rz. 5
§ 3 ErbStG („Erwerb von Todes wegen”) Abs. 1 sieht vor:
„Als Erwerb von Todes wegen gilt
1. der Erwerb durch...