Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer. Arbeitszeitgestaltung. Begriffe ‚Arbeitszeit’ und ‚Ruhezeit’. Verpflichtende berufliche Fortbildung, die auf Veranlassung des Arbeitgebers absolviert wird
Normenkette
Richtlinie 2003/88/EG Art. 2 Nrn. 1 und 2
Beteiligte
Unitatea Administrativ Teritorială D |
Unitatea Administrativ Teritorială D |
Tenor
Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass die Zeit, in der ein Arbeitnehmer eine ihm von seinem Arbeitgeber vorgeschriebene berufliche Fortbildung absolviert, die außerhalb seines gewöhnlichen Arbeitsorts in den Räumlichkeiten des Fortbildungsdienstleisters stattfindet und während der er nicht seinen gewöhnlichen Aufgaben nachgeht, „Arbeitszeit” im Sinne dieser Vorschrift darstellt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curtea de Apel Iaşi (Berufungsgericht Iaşi, Rumänien) mit Entscheidung vom 3. Dezember 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Dezember 2019, in dem Verfahren
BX
gegen
Unitatea Administrativ Teritorială D.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer C. Lycourgos (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zehnten Kammer sowie der Richter I. Jarukaitis und M. Ilešič,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der rumänischen Regierung, vertreten durch E. Gane, A. Wellman und A. Rotăreanu als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Nicolae und M. van Beek als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Nrn. 1 und 2 sowie der Art. 3, 5 und 6 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9) sowie von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen BX und der Unitatea Administrativ Teritorială D. (Gebietskörperschaft D., Rumänien) (im Folgenden: Verwaltung der Gemeinde D.) über das Arbeitsentgelt von BX für Zeiten der beruflichen Fortbildung, die er im Rahmen seines Arbeitsvertrags absolviert hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich”) Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 sieht vor:
„Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung.”
Rz. 4
Art. 2 dieser Richtlinie bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie sind:
- Arbeitszeit: jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt;
- Ruhezeit: jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit;
…”
Rz. 5
Art. 13 der Richtlinie (EU) 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union (ABl. 2019, L 186, S. 105) sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den Arbeitnehmern Fortbildung kostenlos angeboten wird, als Arbeitszeit angerechnet wird und möglichst während der Arbeitszeiten stattfindet, wenn der Arbeitgeber aufgrund von Rechtsvorschriften der Union oder nationalen Rechtsvorschriften oder Kollektiv- bzw. Tarifverträgen verpflichtet ist, den Arbeitnehmern Fortbildung im Hinblick auf die Arbeit anzubieten, die sie ausüben.”
Rumänisches Recht
Rz. 6
Art. 111 des Codul muncii (Arbeitsgesetzbuch) bestimmt:
„Arbeitszeit ist jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den Bestimmungen seines Arbeitsvertrags, des anwendbaren Tarifvertrags und/oder der geltenden Rechtsvorschriften arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt.”
Rz. 7
Nach Art. 112 Abs. 1 des Arbeitsgesetzbuchs beträgt die Regelarbeitszeit für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer 40 Stunden pro Woche und acht Stunden pro Tag.
Rz. 8
Art. 120 des Arbeitsgesetzbuchs, der die Legaldefinition und die Bedingungen der Mehrarbeit betrifft, sieht vor:
„(1) Die Arbeit, die außerhalb der in Art. 112 vorgesehenen wöchentlichen Regelarbeitszeit geleistet wird, gilt als Mehrarbeit.
(2) Mehrarbeit darf nicht ohne Zustimmung des Arbeitnehmers geleistet werden, außer in Fällen höherer Gewalt oder bei dringenden Aufgaben zur Verhütung von Unfällen oder zur Beseitigung der Folgen eines Unfalls.”
Rz. 9
Art. 196 des Arbeitsgesetzbuchs, der die berufliche Fortbildung regelt, bestimmt:
„(1) Die Teilnahme an der b...