Rz. 4
Einen durch Gesetz festgelegten, für jeden in Deutschland tätigen Arbeitnehmer geltenden, allgemeinen Mindestlohn kannte das deutsche Recht vor Einführung dessen nicht. Zwingend für das Arbeitsverhältnis zu beachtende Löhne ergaben sich nach bisheriger Rechtslage nur dann, wenn auf das Arbeitsverhältnis nach § 3 TVG ein Tarifvertrag Anwendung fand. Das setzt aber grundsätzlich die beiderseitige Tarifgebundenheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer voraus, die in Deutschland rückläufig ist. Dadurch werden immer weniger Arbeitsverhältnisse durch die zwingenden Regelungen eines Tarifvertrages gestaltet. Unabhängig von einer beiderseitigen Tarifgebundenheit fanden Tarifverträge nur dann Anwendung, wenn diese für allgemeinverbindlich erklärt wurden, vgl. § 5 TVG oder aber das Arbeitsverhältnis entsprechend den Regelungen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz normativ wirkenden Rechtsverordnungen unterworfen war.
Rz. 5
Insoweit gab es auch in der Vergangenheit die Möglichkeit, durch einen staatlichen Akt branchenbezogene Mindestlöhne festzusetzen. Hierfür standen 2 Wege zur Verfügung:
- Nach § 5 TVG können Tarifverträge auf Antrag einer der Tarifvertragsparteien für allgemeinverbindlich erklärt werden, sodass sie für alle Arbeitgeber und alle Arbeitnehmer, die unter ihren fachlichen, räumlichen und persönlichen Geltungsbereich fallen, verbindlich gelten. Die Allgemeinverbindlicherklärung ersetzt die fehlende Tarifgebundenheit von Arbeitgeber oder Arbeitnehmer und schafft auf diese Art und Weise im Geltungsbereich des Tarifvertrags nicht nur einen Mindestlohn, sondern insgesamt einheitliche Mindestarbeitsbedingungen.
- Zum anderen besteht nach dem AEntG für bestimmte Branchen die Möglichkeit, durch Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags über Mindestarbeitsbedingungen (§ 3 AEntG) oder durch den Erlass einer Rechtsverordnung (§§ 7, 7a AEntG) Mindestentgelte für alle in Deutschland tätigen Arbeitnehmer festzusetzen, und zwar auch solche, die von ausländischen Arbeitgebern nur vorübergehend nach Deutschland entsandt worden sind. Der bisherige Branchenbezug des AEntG wurde mit Wirkung zum 30.7.2020 aufgehoben; es gilt nun branchenunabhängig. Darüber hinaus gibt es Sondervorschriften über die Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche, die ebenfalls durch eine Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales festgelegt worden sind (§ 10 AEntG), inzwischen durch die Fünfte Pflegearbeitsbedingungenverordnung.
Rz. 6
Eine dritte Möglichkeit bestand schließlich nach dem MiArbG, das jedoch durch das sog. Tarifautonomiestärkungsgesetz aufgehoben wurde. Nach diesem Gesetz gab es die Möglichkeit, auf Empfehlung eines Expertengremiums in bestimmten Wirtschaftszweigen durch Rechtsverordnung einen Mindestlohn festzusetzen, wenn in dem Wirtschaftszweig bundesweit die an Tarifverträge gebundenen Arbeitgeber weniger als 50 Prozent der unter den Geltungsbereich dieser Tarifverträge fallenden Arbeitnehmer beschäftigen. Wenn das Expertengremium unter Berücksichtigung der sozialen und ökonomischen Auswirkungen durch Beschluss feststellt, dass in einem Wirtschaftszweig soziale Verwerfungen vorliegen und deshalb Mindestentgelte festgesetzt, geändert oder aufgehoben werden sollen, konnte die Bundesregierung auf Vorschlag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die von einem branchenspezifischen Fachausschuss vorgeschlagenen Mindestarbeitsentgelte als Rechtsverordnung erlassen.
Damit bestand schon nach früherem Recht die Möglichkeit, auch außerhalb der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen oder Rechtsverordnungen nach dem AEntG branchenbezogene Mindestlöhne festzusetzen. Von dieser gesetzlichen Möglichkeit ist jedoch nie Gebrauch gemacht worden.
Ein staatlich reglementierter Mindestlohn war also auch in Deutschland keineswegs etwas Neues. Durch das MiLoG wurde allerdings ein flächendeckender Mindestlohn – und zwar branchenunabhängig – eingeführt.