Rz. 23
Gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 MiLoG gehen die Regelungen des AEntG, des AÜG und die auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet.
Rz. 24
§ 1 Abs. 3 MiLoG beinhaltet damit eine klare Kollisions- und Vorrangregelung, jedoch nur für Rechtsverordnungen oder Tarifverträge nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz und nur, soweit diese den durch das MiLoG bestimmten Mindestlohn nicht unterschreiten. Die "normalen" Verbands- oder Haustarifverträge sind hiervon nicht erfasst.
Die Regelung des § 1 Abs. 3 i. V. m. § 20 MiLoG hat für die Praxis weitreichende Folgen: Ungünstigere Tarifverträge werden durch das MiLoG verdrängt.
Ein Arbeitgeber muss auch dann den Mindestlohn gewähren, wenn er als Mitglied eines Arbeitgeberverbands oder im Falle des Haustarifvertrags als Tarifvertragspartei nach § 3 TVG einem Tarifvertrag unterliegt, der niedrigere Stundensätze beinhaltet.
Diese Vorrangregelung des MiLoG erfasst damit auch sog. Sanierungstarifverträge. Das nimmt den Arbeitgebern die Möglichkeit, die Personalkosten zeitweise zu reduzieren und zeitweise den gesetzlichen Mindestlohn zu unterschreiten. Selbst allgemein verbindliche Tarifverträge, die gerade nicht dem AEntG unterfallen, werden damit – soweit die Höhe der Branchenmindestlöhne oder die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns unterschritten wird – ebenfalls verdrängt.
3.1 Verhältnis des MiLoG zu tarifvertraglichen Lohnvereinbarungen
Rz. 25
Auch für Tarifverträge gilt der gesetzliche Mindestlohn. Aber auch die übrigen Regeln des Gesetzes, wie z. B. über Zeitkonten, sind bei Tarifverträgen zu beachten. Für sie gibt es keine Ausnahme. Der gesetzliche Mindestlohn gilt auch für Haustarifverträge und Sanierungstarifverträge, sodass insoweit unter Umständen die Sanierung von Unternehmen durch Tarifverträge, die mit Lohnabsenkungen verbunden sind, erschwert wird. Tarifverträge, die den Mindestlohn unterschreiten, sind insoweit unwirksam. Hier hat der Arbeitnehmer dann einen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, sofern nicht ausnahmsweise die übliche Vergütung höher ist als der Tariflohn.
Rz. 26
Nach § 1 Abs. 3 gehen die Regelungen des AEntG, des AÜG und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen den Regelungen des MiLoG vor, allerdings nur soweit durch sie die Höhe des gesetzlichen Mindestlohnes nicht unterschritten wird.
Rz. 27
Der Vorrang solcher Regelungen ist eigentlich selbstverständlich, weil nach allgemeinen Grundsätzen für den Arbeitnehmer günstigere Regelungen immer Vorrang haben. In § 2 Abs. 2 MiLoG sind besondere Vorschriften für Zeitkonten kodifiziert. Hier gehen die oben genannten Tarifverträge ohne Einschränkung vor. Die Tarifvertragsparteien können von § 2 Abs. 2 MiLoG auch zum Nachteil des Arbeitnehmers abweichen, indem sie z. B. regeln, dass Vergütung für Mehrarbeit für einen längeren Zeitraum als nur 12 Monate auf dem Arbeitszeitkonto des Arbeitnehmers verbleibt. Zudem ist auch die Regelung von Ausschlussfristen, die auch den Mindestlohn erfassen sollen, nur in Tarifverträgen möglich, die unter das AEntG fallen.
Rz. 28
Unabhängig davon bleibt es beim sog. Günstigkeitsprinzip: Günstigere und damit höhere Löhne, als der gesetzliche Mindestlohn können weiterhin wirksam vereinbart werden.
Im Hinblick auf das Vorrangprinzip des MiLoG gem. § 1 Abs. 3 bestehen Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit, da dies einen Eingriff in die verfassungsrechtlich nach Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Koalitionsfreiheit und auch in die Tarifautonomie der jeweiligen Tarifvertragsparteien bzw. der Gewerkschaft darstellt.