Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf getrennte Veranlagung als rückwirkendes Ereignis
Leitsatz (redaktionell)
Ein Antrag auf getrennte Veranlagung eröffnet keine Änderungsmöglichkeit nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO, wenn dieser bereits mit der Steuererklärung und damit zeitlich vor der Bekanntgabe des zu ändernden Bescheides gestellt wurde.
Normenkette
EStG § 26 Abs. 2; AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob der Antrag der Kläger (Kl.) auf eine getrennte Einkommensteuerveranlagung rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 42 Abgabenordnung (AO) ist und ob Steuerbescheide, mit welchen die Kl. getrennt zur Einkommensteuer (ESt) 2006 veranlagt wurden, änderbar waren.
Die Kl. sind seit dem 24.10.1986 verheiratet. Soweit ersichtlich wurden sie seither zusammen zur ESt veranlagt. Auf ihren Lohnsteuer (LSt)-Karten ließen sich die Kl. vor vielen Jahren die Steuerklasse III bzw. V eintragen. Seither erteilte die Gemeinde die LSt-Karten jährlich – ohne gesonderten Antrag – mit entsprechend ausgewiesenen LSt-Klassen.
Im Streitjahr 2006 erzielten die Kl. jeweils negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Kl. ./. 1.238 EUR und die Klin. ./. 2.450 EUR) und positive Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit (Kl. 25.198 EUR und Klin. 9.152 EUR).
Am 23.03.2006 wurde über das Vermögen des Kl. ein Insolvenzverfahren eröffnet (Amtsgericht M, …), welches mit Beschluss vom 23.10.2006 eingestellt wurde. Mit Beschluss des Amtsgerichts M vom 04.05.2012 ist dem Kläger Restschuldbefreiung erteilt worden.
Am 25.03.2008 reichten die Kl. dem Beklagten (Bekl.) ihre ESt-Erklärung 2006 zur Bearbeitung ein, wobei sie eine getrennte Veranlagung beantragten. Antragsgemäß veranlagte der Bekl. die Kl. zunächst mit gesonderten Bescheiden vom 15.04.2008 getrennt zu zur ESt für 2006. Gegenüber dem Kl. setzte der Bekl. unter der Steuernummer …/1983 einen ESt in Höhe von 3.188 EUR fest, was unter
Berücksichtigung von anrechenbarer LSt zu einer Nachzahlungsverpflichtung in Höhe von 2.354 EUR führte. Dieser ESt-Bescheid 2006 erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Der gegenüber der Klin. unter der StNr. …/1994 ergangene ESt-Bescheid 2006 setzte eine ESt von 0,00 EUR fest, was unter Berücksichtigung von anrechenbarer LSt zu einem Gesamterstattungsbetrag von 1.568,76 EUR führte. Der gegenüber der Klin. ergangene ESt-Bescheid 2006 erging nicht gemäß § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, sondern gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 AO wegen hier nicht streitgegenständlicher Punkte teilweise vorläufig.
Der gegenüber der Klin. ergangene ESt-Bescheid 2006 erwuchs in Bestandskraft. Das ESt-Guthaben der Klin. in Höhe von 1.568,76 EUR wurde an die Klin. erstattet.
Mit Bescheid vom 06.03.2009 hob der Bekl. die beiden ESt-Bescheide 2006 der Kl. vom 15.04.2008 auf und veranlagte die Kl. gemeinsam zur ESt. Dies führte zu einer (gemeinsamen) ESt-Festsetzung in Höhe von 1.863 EUR. Zur Begründung führte der Bekl. in den Erläuterungen des Bescheides vom 06.03.2009 aus, dass die vorangegangene getrennte Veranlagung gemäß § 42 AO rechtsmissbräuchlich sei. Zur weiteren Begründung verwies der Bekl. auf den Schriftverkehr zur ESt-Veranlagung des Jahres 2007. Mit Abrechnung zur ESt für 2006 sowie Bescheid über Zinsen vom 30.03.2009 forderte der Bekl. die Klin. auf, die an sie erstattete ESt 2006 in Höhe von 1.568,76 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 81 EUR zurück zu zahlen.
Mit getrennten Schreiben vom 31.03.2009, jeweils am 01.04.2009 bei dem Bekl. eingegangen, erhoben die Kl. gegen den ESt-Bescheid vom 06.03.2009 sowie gegen den (Zins-)Bescheid vom 30.03.2009 Einspruch. Zur Begründung führten sie aus, dass die durchgeführte Zusammenveranlagung fehlerhaft sei, da die Kl. im Rahmen der ESt-Erklärung die getrennte Veranlagung gewählt hätten und diese Wahl auch nicht rechtsmissbräuchlich gewesen sei. Zudem sei der Bescheid über die getrennte Veranlagung der Klin. bereits in Bestandskraft erwachsen. Der Bescheid sei daher nicht mehr änderbar gewesen.
Mit Einspruchsentscheidung (EE) vom 14.07.2010 wies der Bekl. den Einspruch gegen den ESt-Bescheid vom 06.03.2009 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass in der Wahl der getrennten Veranlagung eine rechtsmissbräuchliche Steuergestaltung i.S.d. § 42 Abs. 2 AO vorgelegen hätte. Eine getrennte Veranlagung sei nur gewählt worden, da die hieraus folgende ESt-Nachzahlungsverpflichtung des Kl. wegen dessen Insolvenz nicht durchsetzbar sei. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 3 AO sei die Steuerveranlagung daher ohne den missbräuchlichen Antrag durchzuführen. Dies führe zu einer Zusammenveranlagung. Der bereits in Bestandskraft erwachsene ESt-Bescheid der Klin. vom 15.04.2008 sei gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO änderbar, da mit der Fiktion eines anderen Sachverhalts, nämlich der angemessenen Gestaltung, rückwirkend der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt entfalle.
Über den Einspruch gegen den Bescheid über Zinsen zur ESt 2006 vom 30.03.2009 entschied der Bekl. ohne die Mitteilung von Gründen nicht.
Mit der am 13.08.2010 erhobenen...