Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerliche Privilegierung von Lohnbezügen bei einer Gehaltsumwandlung nach dem so genannten Geldkartenmodell. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: VI R 28/24)
Leitsatz (amtlich)
Eine Gehaltsumwandlung im Rahmen eines Geldkartenmodells erfüllt das "Zusätzlichkeitserfordernis" des § 8 Abs. 4 EStG nicht, wenn der Arbeitslohn zugunsten der monatlichen Aufladungen auf die Geldkarte reduziert wird.
Die Einführung des § 8 Abs. 4 EStG durch das Jahressteuergesetz 2021 stellt eine zulässige unechte Rückwirkung dar, da das Gesetz auf einen noch nicht abgeschlossenen Veranlagungszeitraum der Einkommensteuer angewendet wird.
Der Vertrauensschutz auf eine unveränderte Fortgeltung der früheren Rechtslage wird durch das Interesse des Gesetzgebers an der Klarstellung der steuerlichen Voraussetzungen für Sachbezüge überwogen.
Lohnsteuer und Einkommensteuer sind im Hinblick auf die Anwendung des "Zusätzlichkeitserfordernisses" einheitlich zu betrachten, wobei der Arbeitgeber verpflichtet ist, rückwirkende Gesetzesänderungen beim Lohnsteuerabzug zu berücksichtigen.
Normenkette
EStG § 8 Abs. 4
Tatbestand
Streitig ist die steuerliche Privilegierung von Lohnbezügen bei einer Gehaltsumwandlung nach dem so genannten Geldkartenmodell.
Die Klägerin betreibt ein international operierendes Handelsunternehmen in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft.
Der Beklagte erteilte am 27. August 2018 sowie am 23. Oktober 2018 antragsgemäß (Antrag vom 24. Juli 2018) eine Anrufungsauskunft nach § 42e des Einkommensteuergesetzes (EStG), mit der er den Rechtsstandpunkt des Beklagten in Bezug auf die Lohnsteuerfreiheit der Gehaltsumwandlung im Rahmen des vom Beklagten praktizierten Geldkartenmodells bestätigte. Die Klägerin stellte ihren Mitarbeitern im Rahmen dieses Geldkartenmodells Kreditkarten (…-...card) zur Verfügung. Monatlich wurden den Kreditkartenkonten der Mitarbeiter jeweils 44,-- Euro gutgeschrieben. Dementsprechend wurde nach vertraglich vereinbarter Gehaltsumwandlung der monatliche Bruttoarbeitslohn um 44,-- Euro reduziert. Der einem Kreditkartenkonto zugeführte Betrag durfte nur für die Bezahlung von Sach- oder Dienstleistungen verwendet werden, eine Barauszahlung durfte nicht erfolgen. Der infolge der vom Beklagten bestätigten Steuerfreiheit reduzierte Lohnsteuerbetrag wurde der betrieblichen Altersvorsorge der Mitarbeiter der Klägerin zugeführt.
Diese rechtliche Handhabung entspricht auch einer im Jahre 2019 ergangenen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH, Urteil vom 1. August 2019, VI R 32/18, das Urteil wurde am 24. Oktober 2019 veröffentlicht)zu den Voraussetzungen, nach denen Sachbezüge und Zuschüsse für eine Beschäftigung zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht werden (§ 8 EStG). Nach dieser Entscheidung liege "ohnehin geschuldeter" Arbeitslohn vor, wenn der Lohn verwendungsfrei und ohne eine bestimmte Zweckbindung bezogen werde. Das Tatbestandsmerkmal "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn"(so genanntes Zusätzlichkeitserfordernis) werde im Einkommensteuergesetz in verschiedenen Begünstigungstatbeständen verwendet. Es sei erfüllt bei Bezügen, die der Arbeitgeber (im Zeitpunkt der Lohnzahlung)nur verwendungs- bzw. zweckgebunden leiste, wobei kein arbeitsvertraglicher Anspruch gegeben sein müsse.
Das Bundesministerium der Finanzen wendete das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 1. August 2019 nicht über den Einzelfall hinaus an. Im BMF-Schreiben vom 5. Februar 2020 (GZ IV C 5- S-2334/19/10017 : 002 DOK 2020/0097878) zur Anwendung des Urteils vom 1. August 2019 wurde zu der in der Bestimmung der 44-Euro-Freigrenze bei Gutscheinen und Geldkarten in § 8 Abs. 2 Satz 11 Halbsatz 2 EStG enthaltenen Voraussetzung ausgeführt: "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn im Vorgriff auf eine entsprechende Gesetzesänderung abweichend von der neuen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und über den Einzelfall hinaus zur Gewährleistung der Kontinuität der Rechtsanwendung" gelte weiterhin, dass die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet werden dürfe, der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt werden dürfe, die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht werden dürfe.
Der Beklagte änderte gemäß § 207 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) die der Klägerin erteilte Anrufungsauskunft vom 23. Oktober 2018 am 20. März 2020. Der Einspruch gegen die Änderung wurde vom Beklagten als unbegründet zurückgewiesen (Einspruchsentscheidung vom 30. April 2020).
Der Beklagte setzte ab April 2020 die Lohnsteuer fest und berücksichtigte die im Rahmen des Geldkartenmodells gutgeschriebenen Beträge nicht als steuerfreie Sachbezüge. Für den Voranmeldungszeitraum April 2020 (Festsetzung vom 15. Juni 2020) ergab sich ein Mehr-Steuerbetrag in Höhe von … Euro. Die Klägerin erhob in der Folge jeweils Einspruch gegen die für die Monat...