6.1 Allgemeines

 

Rz. 39

§ 1 Abs. 3 EStG, eingeführt durch G. v. 11.10.1995[1] mit Wirkung ab Vz 1996, bringt eine allgemeine Regelung zur Besteuerung von Stpfl., die ihre Einkünfte überwiegend aus dem Inland beziehen. Betroffen sind damit die sog. Grenzpendler; die Vorschrift löst insoweit den für Vz 1995 geltenden § 50 Abs. 4 EStG ab. Grenzpendler sind Personen, die in dem einen Staat ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, in dem anderen Staat jedoch im Wesentlichen ihren Lebensunterhalt verdienen. Grenzpendler können Einkünfte aus allen Einkunftsarten haben. I. d. R. wird es sich um Arbeitnehmer handeln, es können aber auch Gewerbetreibende und Freiberufler sein.[2]

§ 1 Abs. 3 EStG behandelt nur Grenzpendler, die nach § 1 Abs. 1 EStG nicht unbeschränkt stpfl. wären, also im Inland weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt haben. Diese Personen werden unter bestimmten Voraussetzungen einer fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht unterworfen. Die unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG oder die nach § 1 Abs. 2 EStG geht der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG vor.

Die Vorschrift gilt aber auch für Personen, die keine Grenzpendler sind, sondern entweder keiner aktiven Tätigkeit nachgehen (Pensionäre) oder im Ausland arbeiten, ihre Einkünfte aber überwiegend aus dem Inland beziehen.[3] Es besteht ein Antragserfordernis. Der Antrag ist formlos und für jedes Veranlagungsjahr neu zu stellen. Er kann bis bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung beim FG gestellt werden. Der Antrag erfolgt generell durch Abgabe einer Steuererklärung. Wird der Antrag nicht gestellt, verbleibt es bei der beschr. Steuerpflicht nach § 1 Abs. 4 EStG, wenn der Stpfl. inländische Einkünfte i. S. d. § 49 EStG hat.

[1] BStBl I 1995, 438.
[2] Ruiner, NWB 2019, 362.
[3] Diese Regelung geht zurück auf EuGH v. 14.2.1995, Rs. C-279/93 (Schumacker) IStR 1995, 126; zur Neuregelung vgl. Waterkamp-Faupel, FR 1995, 766; Kaefer, BB 1995, 1615; Kischel, IStR 1995, 368; Saß, DB 1996, 295; Schulze zur Wiesche, IStR 1996, 105; Lüdicke, IStR 1996, 111.

6.2 Tatbestand

 

Rz. 40

§ 1 Abs. 3 EStG erfasst natürliche Personen, die im Inland weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt haben, also nicht bereits nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt stpfl. sind. Weitere Voraussetzung ist, dass diese Personen Einkünfte i. S. d. § 49 EStG aus dem Inland beziehen, also ohne die Regelung des § 1 Abs. 3 EStG der beschr. Steuerpflicht unterliegen würden.

Die inländischen Einkünfte gem. § 49 EStG können aus allen Einkunftsarten entstehen; die Regelung ist also nicht auf Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit beschränkt. Ausgenommen sind daher sämtliche Einkünfte des Stpfl., die im Ausland bezogen werden oder auch inländische Einkünfte, die nicht unter § 49 EStG fallen. Die unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG umfasst damit nicht das Welteinkommen. Nicht erforderlich ist auch, dass der Stpfl. persönlich im Inland tätig wird. Erfasst werden daher z. B. auch Einkünfte aus Vermietung von im Inland belegenem Grundbesitz.

Im Übrigen bestehen hinsichtlich der nach § 1 Abs. 3 EStG berechtigten Personen keine Einschränkungen; sie brauchen also nicht die Staatsangehörigkeit eines EG- oder EWR-Staates aufzuweisen oder dort ansässig zu sein. Die Staatsangehörigkeit erlangt erst bei der Erweiterung nach § 1a EStG Bedeutung. Dieses Besteuerungswahlrecht eröffnet die Möglichkeit, personen- und familienbezogene Vorteile, die beschr. Stpfl. nicht zustehen, in Anspruch zu nehmen (z. B. Splittingtarif, Sonderausgabenabzug).

Auch hinsichtlich des Staats des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts macht das Gesetz keine Einschränkung. Es braucht sich nicht um einen Anrainerstaat der Bundesrepublik zu handeln; ein physisches "Pendeln" über die Grenze ist nicht erforderlich. Der Stpfl. kann nur dann als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werden, wenn er einen entsprechenden Antrag für einen bestimmten Vz bei dem nach § 19 Abs. 2 AO zuständigen FA gestellt hat. Zuständig ist das Betriebsstätten-FA des Arbeitgebers.[1] Stellt der Antragsteller in einem Verfahren, das auf Festsetzung des Kindergelds gerichtet ist, dagegen einen "Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG" gegenüber der Familienkasse, wird hierdurch die Rechtsfolge des § 1 Abs. 3 EStG nicht ausgelöst. Der Antrag kann bis Schluss der mündlichen Verhandlung beim FG gestellt werden.

 

Rz. 41

Weitere Voraussetzung der Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG ist, dass die Einkünfte des Stpfl. mindestens zu 90 % der deutschen Steuer unterliegen (relative Wesentlichkeitsgrenze) oder, wenn dies nicht der Fall ist (d. h. die der deutschen ESt unterliegenden Einkünfte weniger als 90 % der Gesamteinkünfte des Stpfl. betragen), die nicht der deutschen ESt unterliegenden Einkünfte einen bestimmten Betrag im Kj. nicht übersteigen (absolute Wesentlichkeitsgrenze). Wird der Betrag überschritten, wird angenommen, dass die personen- und familienbezogenen Entlastungen, die im Inland unbeschränkt Stpfl. gewährt werden, durch den Wohnsitzstaat berücksic...

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