Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 11
Ist das Fehlen der Lohnsteuerabzugsmerkmale nicht auf das Verhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen, enthält § 39c Abs. 1 S. 2–5 EStG ein besonderes Verfahren zum Einbehalt der LSt. Die Lohnsteuerabzugsmerkmale können ohne Veranlassung durch den Arbeitnehmer nicht verfügbar sein, wenn eine technische Störung den elektronischen Abruf unmöglich macht oder dem Arbeitnehmer ohne Verschulden die Identifikationsnummer nicht bekannt ist. In diesem Fall hat der Arbeitgeber die voraussichtlichen Lohnsteuerabzugsmerkmale i. S. d. § 38b EStG zugrunde zu legen. Die Anwendung der LSt-Klasse VI wäre insoweit ungerecht, da der Arbeitnehmer das Fehlen der Lohnsteuerabzugsmerkmale nicht veranlasst hat.
Rz. 12
Der Arbeitgeber ist in diesen Fällen des Fehlens der Lohnsteuerabzugsmerkmale nicht verpflichtet, besondere Ermittlungen anzustellen. Er muss aber den Arbeitnehmer befragen, z. B. nach Familienstand und etwaigen Freibeträgen. Es genügt, dass die Angaben des Arbeitnehmers glaubhaft sind. Der Arbeitgeber kann auch die Lohnsteuerabzugsmerkmale des Vorjahres berücksichtigen. Handelt es sich nach den Umständen des Falles (z. B. wegen der besonderen Arbeitszeit oder des Umfanges wegen) um ein zweites Arbeitsverhältnis, ist die LSt nach Steuerklasse VI zu erheben.
Rz. 13
Die voraussichtlichen Lohnsteuerabzugsmerkmale dürfen längstens für 3 Monate dem Lohnsteuerabzug zugrunde gelegt werden. Das Gesetz enthält jedoch in § 39c Abs. 1 S. 3 EStG lediglich Vorschriften, wie nach dem Ablauf der drei Monate zu verfahren ist, wenn der Arbeitnehmer die Identifikationsnummer ohne Verschulden nicht vorlegen konnte, nicht aber für den Fall, dass technische Störungen den Abruf der Lohnsteuerabzugsmerkmale verhindert haben. Kann der Arbeitnehmer die Identifikationsnummer auch nach Ablauf der drei Monate dem Arbeitnehmer nicht mitteilen, etwa weil sie immer noch nicht erteilt worden ist, ist rückwirkend Abs. 1 S. 1 anzuwenden. Das bedeutet, dass die LSt rückwirkend für die drei Monate nach LSt-Klasse VI zu berechnen ist. Der im Gesetz ebenfalls erwähnte Tag der Geburt ist in diesem Zusammenhang gegenstandslos, da der Nichtmitteilung des Geburtsdatums wohl immer ein Verschulden des Arbeitnehmers zugrunde liegt, also unmittelbar zur Anwendung des S. 1 führt. Insgesamt ist die Regelung rechtsstaatlich jedoch bedenklich, da bei dem Arbeitnehmer ein zu hoher Lohnsteuerabzug vorgenommen wird, obwohl die Ursache dafür im Verantwortungsbereich der Behörde (Nichterteilung der Identifikationsnummer) liegt. Der Arbeitnehmer kann die Folge, dass die LSt wegen Fehlens der Identifikationsnummer nach LSt-Klasse VI einbehalten wird, aber vermeiden, indem er eine Bescheinigung nach § 39e Abs. 8 EStG beantragt, die die Lohnsteuerabzugsmerkmale enthält (Rz. 16).
Rz. 14
Keine Regelung enthält § 39c EStG für den Fall, dass die technischen Probleme bei dem Abruf der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale länger als 3 Monate anhalten. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die technischen Probleme innerhalb der Frist von 3 Monaten gelöst werden können. M. E. ist die Regelung, dass S. 1 anzuwenden sei, nicht auf diesen Fall entsprechend zu übertragen. Für die hierin liegende Belastung des Arbeitnehmers fehlt die Rechtsgrundlage, wäre auch rechtspolitisch bedenklich. M. E. sollte in diesem Fall die LSt weiterhin nach den voraussichtlichen Lohnsteuerabzugsmerkmalen einbehalten werden, da der Grund für die fehlenden Lohnsteuerabzugsmerkmale im Verantwortungsbereich der Verwaltung liegt. Die Weiterverwendung der voraussichtlichen Lohnsteuerabzugsmerkmale ist auch deshalb gerechtfertigt, weil eine Veranlagung erfolgen könnte, eine etwa zu wenig einbehaltene LSt also nur zu einem zeitlich begrenzten Steuervorteil für den Arbeitnehmer führen würde.
Rz. 15
Kann der Arbeitnehmer die elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale abrufen, weil die Identifikationsnummer erteilt und ihm mitgeteilt worden ist oder weil die technischen Störungen beseitigt worden sind, hat der Arbeitgeber die Lohnsteuerermittlung nach den vorläufigen Lohnsteuerabzugsmerkmalen zu überprüfen und die LSt, soweit erforderlich, neu zu ermitteln. Infolge der 3-Monats-Frist erfasst diese Pflicht zur Änderung des Lohnsteuerabzugs maximal 3 zurückliegende Monate. Etwaige Änderungen des Lohnsteuerabzugs der vergangenen Monate sind bei der jeweils nächsten Lohnabrechnung auszugleichen, also zu viel einbehaltene LSt zu erstatten, zu wenig einbehaltene LSt nachträglich einzubehalten. Darüber hinausgehende Änderungen des Lohnsteuerabzugs richten sich nach § 41c EStG.