Rz. 74

Der vom FA als Haftender herangezogene Arbeitgeber hat im Innenverhältnis gegen den Arbeitnehmer einen privatrechtlichen Rückgriffsanspruch aus Auftrag nach § 670 BGB. Der Anspruch ist zunächst auf Freistellung und nach der Erfüllung der Haftungsschuld auf Erstattung gerichtet. Der Rückgriffsanspruch ist privatrechtlicher Natur. Für seine Geltendmachung sind die Arbeitsgerichte zuständig.[1]

Der Anspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer auf Erstattung nachentrichteter Lohnsteuer nach § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 EStG, § 44 Abs. 1 S. 1 AO i. V. m. § 426 Abs. 1 S. 1 BGB wird im Sinne einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist fällig mit tatsächlicher Zahlung des Steuerbetrags. Der Arbeitgeber kann dann die Erstattung der auf die Haftungsbescheide des FA von ihm geleisteten LSt-Nachzahlungen vom Arbeitnehmer verlangen.[2]

 

Rz. 75

Der Arbeitnehmer kann gegen den Rückgriffsanspruch des Arbeitgebers einwenden, es liege eine Nettolohnvereinbarung vor, aufgrund deren sich der Arbeitgeber verpflichtet habe, die LSt selbst zu tragen (Rz. 54).[3]

 

Rz. 76

Weiter kann der Arbeitnehmer u. U. auch mit einem Schadensersatzanspruch gegen den Rückgriffsanspruch des Arbeitgebers aufrechnen. Denn der Arbeitgeber ist aufgrund seiner arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht gehalten, die LSt richtig einzubehalten und den Arbeitnehmer vor Schaden zu bewahren. Aufgrund dessen obliegt es dem Arbeitgeber, den Arbeitnehmer von einer geltend gemachten LSt-Nachforderung zu unterrichten, damit der Arbeitnehmer sich gegen den Haftungsbescheid wehren kann (zu seiner Rechtsbehelfsbefugnis vgl. Rz. 91). Ohne eine rechtzeitige Unterrichtung des Arbeitnehmers ist der Arbeitgeber nur rückgriffsberechtigt, wenn er alles Zumutbare zur Abwehr des Haftungsanspruchs unternommen hat und das FA die LSt zu Recht nachgefordert hat.[4] Hierfür ist der Arbeitgeber beweispflichtig.

 

Rz. 77

Kann der Arbeitnehmer einen Rückgriff des Arbeitgebers nicht erfolgreich abwehren, so muss er sich an das FA wenden, um dort eine Anrechnung der LSt, die der Arbeitgeber als Haftender gezahlt hat, auf die zu veranlagende ESt nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG zu erreichen. Denn die Zahlung der LSt durch den haftenden Arbeitgeber ist der letzte Akt des LSt-Einbehalts. Ist die ESt-Veranlagung bereits bestandskräftig durchgeführt, so muss der Arbeitnehmer beim FA einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO beantragen.

 

Rz. 78

Der Rückgriffsanspruch des Arbeitgebers unterliegt, sofern auf das Arbeitsverhältnis ein Tarifvertrag anwendbar ist, regelmäßig tariflichen Ausschlussfristen nach § 4 Abs. 4 S. 3 TVG. Der Lauf der Ausschlussfrist beginnt grundsätzlich mit der Zustellung des Haftungsbescheids. Wenn sich ein solcher nach § 42d Abs. 4 EStG erübrigt, beginnt sie mit der Anmeldung der einzubehaltenden LSt oder mit der schriftlichen Anerkennung der Zahlungsverpflichtung zu laufen. Ohne eine tarifvertragliche Verfallfrist bzw. eine arbeitsvertraglich vereinbarte Verfallklausel[5] verjährt der Rückgriffsanspruch in 3 Jahren (Regelverjährung nach §§ 195ff. BGB).

 

Rz. 79

Der Arbeitgeber kann auf einen Rückgriffsanspruch gegen den Arbeitnehmer verzichten. Ob ein solcher Verzicht im Einzelfall vorliegt, bedarf einer sorgfältigen Auslegung. Denn nur wenn sich tatsächlich ein Rückgriffsverzicht bejahen lässt und der Arbeitgeber die einzubehaltende LSt, für die er haftet, tatsächlich bezahlt hat, kann ein weiterer Zufluss von Arbeitslohn beim Arbeitnehmer i. S. v. § 11 Abs. 1 EStG angenommen werden.[6]Kein Verzicht ist gegeben, wenn der Arbeitgeber einen Rückgriff gegen den Arbeitnehmer tatsächlich nicht durchsetzen kann oder aus rechtlichen Gründen – wie z. B. infolge Verstreichens einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist – nicht mehr geltend machen kann[7] oder der Rückgriff für den Arbeitgeber unwirtschaftlich wäre, etwa weil der Arbeitnehmer inzwischen aus dem Betrieb ausgeschieden ist oder keine pfändbaren Gegenstände besitzt.[8] In Ermangelung eines Verzichts ist die Höhe der Haftungsschuld des Arbeitgebers mit dem niedrigeren Bruttosteuersatz und nicht mit dem höheren Nettosteuersatz zu berechnen.[9]

 

Rz. 80

Hat der Arbeitgeber die Haftungsschuld bezahlt und auf einen Rückgriff gegen den Arbeitnehmer verzichtet, so führt dies zu einem weiteren Zufluss von Arbeitslohn beim Arbeitnehmer.[10] Denn der Arbeitnehmer kann nunmehr vom FA verlangen, dass dieses die vom Arbeitgeber nachentrichtete LSt nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG auf seine Jahres-ESt anrechnet (Rz. 77).[11] Das FA hat dann nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob es gegen den Arbeitgeber aufgrund des dem Arbeitnehmer zugewendeten weiteren Vorteils einen zusätzlichen Haftungsbescheid erlassen will.[12]

[1] BAG v. 9.12.1976, AZR 371/75, BStBl II 1977, 581; BAG v. 16.6.2004, 5 AZR 521/03, BFH/NV 2005, Beil. 1, 70.
[2] BAG v. 14.11.2018, 5 AZR 301/17, NJW 2019, 872; Westermann, DStR 2021, 873; Groeger, NZA 2020, 1371; Wagner, in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 42d EStG Rz. 122; Fuhlrott/Garden, NJW 2019, 810.

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