Dr. Matthias Geurts, Dr. Hans Joachim Herrmann
Rz. 104
Wird der Entleiher als Haftungsschuldner in Anspruch genommen, so ist wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen zu unterscheiden, ob er als Arbeitgeber der Leiharbeitnehmer oder als Dritter nach § 42d Abs. 6 EStG neben dem Verleiher als Arbeitgeber der Leiharbeitnehmer haftet. Nach § 42d Abs. 6 EStG haftet der Entleiher beschränkt auf die LSt für die Zeit, für die ihm der Leiharbeitnehmer überlassen worden ist (§ 42d Abs. 6 S. 4 EStG). Der Entleiher haftet nach § 42d Abs. 6 S. 1 EStG grundsätzlich neben dem Verleiher als Arbeitgeber. Aus dem Wort "neben" in § 42d Abs. 6 S. 1 EStG lässt sich folgern, dass der Entleiher nur dann haftet, wenn der Verleiher als Arbeitgeber nach § 42d Abs. 1 EStG haftet. Die Haftung des Entleihers ist damit doppelt akzessorisch: Sie hängt zum einen davon ab, dass der Leiharbeitnehmer die LSt schuldet, und zum anderen davon, dass der Verleiher als Arbeitgeber nach § 42d Abs. 1 EStG haftet (zur Akzessorietät der Arbeitgeberhaftung vgl. Rz. 17ff.). Die zusätzliche Haftung des Entleihers – neben dem Verleiher – ist durch das Steuerbereinigungsgesetz v. 19.12.1985 eingeführt worden, weil Verleiher, insbesondere bei unerlaubten Arbeitnehmerüberlassungen und bei solchen aus dem Ausland, häufig keine LSt einbehalten.
Rz. 105
Übernimmt der Verleiher pauschaliert die LSt für Leiharbeitnehmer, so findet sich eine Lücke in der Entleiherhaftung nach § 42d Abs. 6 EStG. Mithilfe dieser Lücke lässt sich die Entleiherhaftung umgehen. Nach dem Zweck des Gesetzes wäre hier gleichfalls eine Entleiherhaftung geboten. Gegenwärtig muss eine Inanspruchnahme des Entleihers jedoch daran scheitern, dass er für die pauschale LSt nicht neben dem Verleiher haften kann. Denn der Verleiher ist nach § 40 Abs. 3 S. 2 EStG Schuldner der pauschalen LSt.
Rz. 106
Eine Haftung des Entleihers nach § 42d Abs. 6 EStG setzt eine gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung voraus, die erlaubt oder unerlaubt sein kann. Die Gewerbsmäßigkeit richtet sich nach Gewerberecht. Gewerbsmäßig handelt derjenige Verleiher, der Arbeitnehmerüberlassung nicht nur gelegentlich, sondern auf Dauer betreibt und damit wirtschaftliche Vorteile erstrebt.Keine gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung ist gegeben, wenn Arbeitnehmer gelegentlich zur Deckung eines kurzfristigen Personalbedarfs ausgeliehen werden oder wenn die Überlassung eine bloße Nebenleistung darstellt, z. B. wenn mit der Vermietung von Maschinen zugleich Bedienungspersonal überlassen wird. Nicht als gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung wird auch die Arbeitnehmerentsendung im Konzern angesehen (Rz. 100a). Ab Vz 2014 wurde das Wort "gewerbsmäßig" in § 42d Abs. 6 S. 1 EStG durch "i. S. d. § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG" ersetzt.
Rz. 107
Eine gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung wird nicht selten durch Scheindienst- oder Scheinwerkverträge verschleiert. Zu gesetzgeberischen Erwägungen zur missbräuchlichen Nutzung von Werkverträgen in der Arbeitnehmerüberlassung wird auf die Ausführungen von Däubler hingewiesen. Nur wenn es sich tatsächlich nach dem Geschäftsinhalt und der tatsächlichen Durchführung um einen echten Dienst- oder Werkvertrag handelt, entfällt eine LSt-Haftung des Entleihers.
Rz. 107a
Für einen Werkvertrag (§ 631 BGB) spricht, wenn der Auftragnehmer die unternehmerische Dispositionsfreiheit bei der Auswahl der eingesetzten Arbeitnehmer und der Arbeitszeit sowie das Weisungsrecht besitzt, das unternehmerische Risiko trägt, eine eigene personelle und sachliche Ausstattung hat, ein von vornherein bestimmbares und abgrenzbares Werk erbringen muss und das Werk erfolgsorientiert abrechnet.
Hingegen spricht für eine Arbeitnehmerüberlassung, wenn der Auftraggeber die Rechte und Pflichten eines Werkunternehmers wahrnimmt und der Arbeitnehmer in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert ist.
Zu der rechtlichen Würdigung eines Sachverhalts mit drittbezogener Tätigkeit als Arbeitnehmerüberlassung und ihrer Abgrenzung insbesondere gegenüber einem Werkvertrag ist entscheidend auf das Gesamtbild der Tätigkeit abzustellen. Auf die Bezeichnung des Rechtsgeschäfts, z. B. als Werkvertrag, kommt es nicht entscheidend an. Bei der Prüfung der Frage, ob Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, ist die Auffassung der Bundesagentur für Arbeit zu berücksichtigen.