Prof. Dr. Gerrit Frotscher
7.4.1 Tatbestand: Gläubiger ist nicht Zurechnungssubjekt
Rz. 279
Der Tatbestand der Vorschrift setzt voraus, dass der Gläubiger der Kapitalerträge oder der Vergütungen nach § 50a EStG eine Person ist, der die Kapitalerträge oder Vergütungen nach deutschem Recht oder dem Recht des anderen Vertragsstaats nicht zugerechnet werden. Es muss also eine Situation vorliegen, nach der die dem Steuerabzug unterliegenden Einkünfte nicht dem Gläubiger steuerlich zugerechnet werden, sondern einer anderen Person, dem "Zurechnungssubjekt". Der Begriff des "Gläubigers" ist dabei zivilrechtlich zu verstehen; Gläubiger ist also derjenige, dem zivilrechtlich der Erstattungsanspruch zusteht. Zivilrechtliche Gläubigerstellung und Stellung als steuerliches Zurechnungssubjekt müssen also auseinanderfallen. Dies kann auf deutschem Recht oder dem Recht des anderen Vertragsstaats beruhen. Unklar ist dabei die Bedeutung des Wortes "oder". Dies kann so verstanden werden, dass zwischen Quellenstaat (Deutschland) und Ansässigkeitsstaat des Gläubigers ein Qualifikationskonflikt hinsichtlich der Zurechnung der Erträge oder Vergütungen bestehen muss. Die Vorschrift wäre dann nicht anwendbar, wenn der Zahlungsempfänger sowohl nach deutschem Recht als auch nach dem Recht des Ansässigkeitsstaats entweder als transparent oder als intransparent beurteilt würde. Das Wort "oder" hat aber eine solche ausschließliche Bedeutung nicht. Vielmehr besagt es nur, dass es für die Anwendung der Vorschrift genügt, wenn die Stellung als Gläubiger und als Zurechnungssubjekt nach einem der Rechte der beteiligten Staaten auseinanderfällt, schließt aber nicht aus, dass dies auch nach dem Recht beider Staaten der Fall sein kann. Die Vorschrift ist daher anwendbar, wenn die Einkünfte steuerlich einer anderen Person zugerechnet werden als dem Gläubiger, unabhängig davon, ob dies nach dem Recht des Quellenstaats, des Ansässigkeitsstaats oder beider der Fall ist.
Rz. 280
Die Regelung greift für solche Erstattungsberechtigte ein, denen die Kapitalerträge oder Vergütungen als Einkünfte oder Gewinne einer "ansässigen Person" zugerechnet werden. Bei dieser Formulierung könnte unklar sein, ob Ansässigkeit in dem DBA-Staat Voraussetzung ist, oder ob Ansässigkeit in einem Drittstaat genügt. Sollte das Gesetz so ausgelegt werden, dass Ansässigkeit in irgendeinem Staat genügt, wäre die Regelung sinnlos und überflüssig, da i. d. R. jede Person in irgendeinem Staat ansässig ist. Gemeint sein kann daher nur, dass die Regelung nur dann gelten soll, wenn die zurechnungsberechtigte Person in dem anderen Vertragsstaat ansässig ist. Einen Sinn hat die Regelung nämlich nur, wenn man die Ansässigkeit auf den davor stehenden Begriff des "anderen Vertragsstaats" bezieht. Dann bedeutet die Regelung, dass das Zurechnungssubjekt in demjenigen Staat ansässig sein muss, aus dessen DBA mit Deutschland sich der Erstattungsanspruch ergibt. Sie soll also nicht eingreifen, wenn die Person, der nach dem Recht des anderen Vertragsstaats die Kapitalerträge oder Bezüge zugerechnet werden, in einem dritten Staat ansässig ist. Es soll also vermieden werden, dass eine Weiterverweisung auf einen Drittstaat erfolgt. In diesen Fällen dürfte auch keine Erstattungsberechtigung nach dem DBA mit dem anderen Vertragsstaat bestehen, da die in dem Drittstaat ansässige Person nicht abkommensberechtigt unter dem DBA mit dem anderen Vertragsstaat ist. Möglich wäre nur eine Erstattungsberechtigung unter einem DBA zwischen Deutschland und dem Drittstaat. Dann richtet sich die Erstattungsberechtigung nach der Zurechnung dieses Drittstaats, der dann aber "anderer Vertragsstaat" i. S. d. § 50d Abs. 11a EStG wäre. Andererseits ist die Regelung anwendbar, mit der Folge, dass eine Erstattungsberechtigung gegeben ist, wenn die hybride Gesellschaft nach deutschem Steuerrecht in einem Drittstaat ansässig ist, der nach dem Recht des anderen Vertragsstaats Zurechnungsberechtigte aber in dem Vertragsstaat. Die Zurechnung des entsprechenden Gewinns bzw. der Einkünfte führt dann zur Einbeziehung in den Abkommenschutz. Im Ergebnis regelt § 50d Abs. 11a EStG nur Zwei-Staaten-Fälle, also das Verhältnis zwischen Deutschland als Quellenstaat und dem jeweiligen Vertragsstaat, wobei das Zurechnungssubjekt in diesem Vertragsstaat ansässig sein muss. Außerhalb der Regelung stehen damit Fälle, in denen Deutschland oder der Vertragsstaat nach dem jeweiligen Steuerrecht die Erträge oder Vergütungen einem Zurechnungssubjekt zurechnet, der nicht in dem Vertragsstaat ansässig ist.
Rz. 281
Die Zurechnung nach dem Recht des anderen Vertragsstaats muss als "Einkünfte oder Gewinne" erfolgen. Damit wird berücksichtigt, dass sich die Abzugsteuer, für die die Erstattungsberechtigung besteht, auf die Einnahmen bezieht, die Zurechnung im anderen Vertragsstaat aber die Einkünfte bzw. den Gewinn erfasst. Die Vorschrift ist so zu verstehen, dass die Erträge und Vergütungen im Rahmen der Einkünfte oder des Gewinns im anderen Vertragsstaat berücksichtigt werden.