Prof. Dr. Dr. Julia Krampitz, Anke Mächler-Poppen
Das eine ist die Theorie, aber wie kann dieses theoretische Wissen in die Praxis umgesetzt werden?
Die Vermittlung und Kultivierung von Achtsamkeit erfolgen auf der Basis einer intensiven Schulung in formellen und informellen Meditationspraktiken.
Bei der formellen Achtsamkeit, meist als Meditation bezeichnet, wird die Aufmerksamkeit auf ein Objekt (den Atem und/oder die Körperempfindungen) oder einen Moment gerichtet ("choiceless awareness", "unvermeidliche Bewusstheit").
Achtsamkeit, verstanden als innere Haltung, erschließt neue Zugänge, um die Wirklichkeit umfassender und differenzierter wahrzunehmen und so für die Gestaltung des eigenen Handelns eine neue Basis zu finden.
Obwohl Achtsamkeit als Möglichkeit im menschlichen Bewusstsein angelegt ist, muss sie zur Entfaltung des vollen Potenzials geübt werden. Es werden traditionelle und informelle Übungen unterschieden. Die formellen Übungen haben eine definierte Form, eine umgrenzte Aufgabe und einen vorgesehenen Zeitrahmen. Um die Fähigkeit der Achtsamkeit auf verschiedenen Ebenen zu schulen und zu vertiefen, muss regelmäßig "trainiert" werden. Wird der Achtsamkeit im Alltag kontinuierlich Raum und Zeit gewidmet, stellt sich eine bereichernde Gewohnheit ein. Selbstkontrolle und Selbststeuerung werden gestärkt.
5.2.1 Formelle Achtsamkeitsübungen
- Achtsames Atmen: In einem gewählten Zeitraum von wenigen Atemzügen bis zu einer halben Stunde geht es ausschließlich um die Aufgabe, das Kommen und Gehen des eigenen Atems zu beobachten; die Atemaktivität wird dabei nicht willentlich beeinflusst. Die Aufmerksamkeit wird immer wieder neu auf den Atem und die Eigenaktivität gelenkt. "Achtsames Atmen" stellt eine grundlegende Übung dar.
- Achtsame Körperwahrnehmung: Neben dem Atem stellt der eigene Körper eine weitere wichtige Möglichkeit dar, sich mit der eigenen Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Augenblick einzufinden. Eine klassische Übung zur Körperwahrnehmung ist der Bodyscan.
Durchführung Bodyscan
Allgemeine Hinweise:
Beim Bodyscan handelt es sich um eine Reise durch den Körper, ein gedankliches Abtasten ("scannen") des eigenen Körpers. Die Aufmerksamkeit wird auf verschiedene Bereiche des Körpers gerichtet. Das klingt erst einmal einfach, ist es aber nicht immer. Der Bodyscan kann sehr herausfordernd sein, denn oft springt unser Geist von Gedanke zu Gedanke und kommt nicht zur Ruhe. Beim Bodyscan geht es darum, eigene Körperempfindungen, Gedanken und Gefühle wahrzunehmen und sich dieser bewusst zu werden, ohne sie zu bewerten. Der Bodyscan hilft dabei, die eigene Konzentration zu stärken und uns ganz auf die Gegenwart, das Hier und Jetzt, zu fokussieren, ohne mit den Gedanken in der Vergangenheit oder in der Zukunft zu sein.
Die Durchführung ist im Sitzen oder im Liegen möglich (bequemer Stuhl oder Sessel, Bett, Sofa, Yogamatte oder dicke Decke).
Anleitung:
- Achte darauf, dass du bequem sitzt oder liegst, die Arme liegen neben dem Körper oder liegen bequem auf den Oberschenkeln.
- Beginne, tief ein- und auszuatmen. Schließe mit dem Ausatmen die Augen und komm langsam zur Ruhe.
- Sobald du merkst, dass deine Gedanken abschweifen, komme mit deiner Aufmerksamkeit und deiner Konzentration wieder zurück zur jeweiligen Körperregion.
- Beginne mit deinen Füßen. Fühle, an welchen Stellen die Füße den Boden oder die Unterlagen berühren und nimm deine Fersen, die Fußsohlen, die Zehen und den Fußspann ganz bewusst wahr.
- Spüre dann in deine Unterschenkel hinein, die Waden und die Schienbeine.
- Wandere dann mit deiner Aufmerksamkeit in die Knie, die Oberschenkel und fühle, wo die Oberschenkel die Unterlage oder den Stuhl berühren.
- Wandere dann mit deiner Konzentration in deinen Bauch. Atme tief in den Bauch hinein und dann spüre, wie sich deine Bauchdecke beim Atmen hebt und senkt.
- Fühle, wo der Rücken anliegt. Sind die unteren Rückenmuskeln entspannt?
Weitere Beispiele:
Sitzmeditation: Bei der Sitzmeditation mit dem Fokus auf die Atmung wird die Verbundenheit mit dem gegenwärtigen Moment gestärkt und gefördert, wodurch Bewusstheit entsteht. Dadurch soll auch die Konzentrationsfähigkeit verbessert und der Umgang mit immer wieder auftretenden Gedanken durch Bewusstheit über diese geschult werden. Zudem soll in der regelmäßigen Übung eine sanftmütige Geisteseinstellung hin zu einem liebevollen Umgang mit anderen und sich selbst verbessert werden.