Verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für die gewerkschaftliche Betätigung im Allgemeinen und das betriebliche Zugangsrecht im Besonderen ist Art. 9 Abs. 3 GG. Koalitionen – und damit auch Gewerkschaften – werden umfassend in ihrem Bestand, ihrer inneren Ordnung und ihrer koalitionsspezifischen Betätigung geschützt.[1] Es obliegt der Gewerkschaft zu wählen, mit welchen Mitteln und Tätigkeiten sie ihre verfassungsrechtliche Aufgabe der Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wahrzunehmen beabsichtigt.[2] Zu den verfassungsrechtlich geschützten Tätigkeiten gehören etwa die Selbstdarstellung, die Information von Arbeitnehmern und die Werbung.[3] Insbesondere die Werbung neuer Mitglieder ist Grundvoraussetzung für die Erfüllung der in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Aufgaben.[4] Nur durch eine ausreichende Mitgliederzahl können Gewerkschaften ihren Fortbestand sichern und ein Gegengewicht zu den Arbeitgeberverbänden darstellen. Auch wenn die Mitgliederwerbung als solche für den Bestand von Gewerkschaften unerlässlich ist, ist sie nicht nur dann verfassungsrechtlich geschützt, wenn sie auch im Einzelfall unerlässlich ist. Art. 9 Abs. 3 GG schützt vielmehr alle Verhaltensweisen, die koalitionsspezifisch sind; er ist nicht auf das Unerlässliche beschränkt.[5]

Das Zugangsrecht der Gewerkschaft durch nicht betriebsangehörige Beauftragte (Gewerkschaftsvertreter) zu Werbezwecken ist nicht auf bestimmte Betriebsbereiche, wie etwa das Betriebsratsbüro, den Ort der Betriebsversammlung oder die Pausen- und Sozialräume der Arbeitnehmer, beschränkt.[6] Das Verlangen einer Gewerkschaft, wenigstens einmal im Kalenderhalbjahr in Pausen im Betrieb zu werben, ist i. d. R. nicht unangemessen.[7] Verlangt die Gewerkschaft häufiger und unabhängig von Pausenzeiten Zutritt, muss sie die Notwendigkeit weiterer Werbemaßnahmen darlegen.[8]

Das Recht auf Zutritt geht bei Arbeitskampfmaßnahmen über diesen Rahmen hinaus, damit die gewerkschaftliche Betätigungsfreiheit gewahrt werden kann. Das Besitzrecht der Arbeitgeber muss dann weiter zurücktreten (z. B. Streikposten auf dem Betriebsparkplatz bei Amazon), wie das BAG und das BVerfG bestätigt haben.[9]

Das Zutrittsrecht zu Werbezwecken hat grds. auch eine nicht tariffähige Arbeitnehmerorganisation.[10]

Weitgehend unbestritten und durch die frühere restriktive Rechtsprechung des BAG unberührt ist das Recht der Gewerkschaften zur koalitionsmäßigen Betätigung durch betriebsangehörige Gewerkschaftsmitglieder (und Arbeitnehmer), außerhalb der Arbeitszeit und während der Pausen Mitglieder zu werben, Informationsmaterial zu verteilen, Informationen an Schwarze Bretter anzubringen

Beauftragten einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft[11], von der also zumindest ein Gewerkschaftsmitglied im Betrieb beschäftigt ist, hat der Arbeitgeber nach § 2 Abs. 3 BetrVG Zugang zum Betrieb zur Wahrnehmung der nach dem BetrVG genannten Aufgaben und Befugnisse zu gewähren. Der Gewerkschaft sind im BetrVG ausdrücklich zahlreiche Initiativ-, Teilnahme-, Beratungs- und Kontrollrechte eingeräumt. Dabei handelt es sich insbesondere um folgende Bestimmungen des BetrVG (entsprechende Regelungen enthalten das BPersVG und die Landespersonalvertretungsgesetze):[12]

  • § 2 Abs. 1: Allgemeine Unterstützungspflicht.
  • § 3 Abs. 3 Satz 2: Veranlassung einer Abstimmung über die Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebrats.
  • § 4 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 i. V. m. § 3 Abs. 3 Satz 2: Veranlassung einer Abstimmung in einem Betriebsteil über die Teilnahme an der Betriebsratswahl im Hauptbetrieb.
  • § 14 Abs. 3: Wahlvorschläge für BR-Wahl.
  • § 16 Abs. 1 Satz 6: Entsendungsrecht in Wahlvorstand.
  • § 16 Abs. 2 Satz 1: Antragsrecht auf Bestellung eines Wahlvorstands.
  • § 17 Abs. 3: Einladung zur Betriebsversammlung zur Bestellung eines Wahlvorstands.
  • § 17 Abs. 4: Antragsrecht auf Bestellung eines Wahlvorstands.
  • § 18 Abs. 1 Satz 2: Antragsrecht auf Ersetzung eines untätigen Wahlvorstands.
  • § 18 Abs. 2: Antragsbefugnis auf arbeitsgerichtliche Entscheidung über das Vorliegen einer betriebsratsfähigen Organisationseinheit.
  • § 19 Abs. 2 Satz 1: Berechtigung zur Anfechtung Betriebsratswahl.
  • § 23 Abs. 1 Satz 1: Antragsbefugnis auf Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds oder auf Auflösung des Betriebsrats.
  • § 23 Abs. 3 Satz 1: Antragsbefugnis gegen Arbeitgeber bei grober Pflichtverletzung auf Unterlassung, Duldung oder Vornahme einer Handlung. Das Zugangsrecht besteht in diesem Fall, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen groben Pflichtenverstoß vorliegen.[13]
  • § 31: Teilnahme an Betriebsratssitzungen auf Antrag von einem Viertel der Betriebsratsmitglieder (für Gesamtbetriebsrat i. V. m. § 51 Abs. 1; für Konzernbetriebsrat i. V. m. § 59; für JAV i. V. m. § 65 Abs. 1; für GesJAV i. V. m. § 73 Abs. 2; für KJAV i. V. m. § 73b Abs. 2). Die Bestimmung ist auf Sitzungen des Wirtschaftsausschusses nach § 108 Abs. 2 entsprechend anwendbar.[14]
  • § 35 Abs. 1: Hilfe bei Verständigung zwischen Betriebsrat und JAV oder Schwerbehindertenvertretung.
  • § 37 Abs. 7: Hinzuziehung de...

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