Die rechtlichen Möglichkeiten der Gewerkschaft zur Überwachung der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung werden durch die Rechtsprechung eingeschränkt. Gegen Betriebsvereinbarungen, die entgegen § 77 Abs. 3 BetrVG gegen den Vorrang des Tarifvertrags verstoßen, kann sich eine Gewerkschaft aber dennoch zur Wehr setzen.

 
Praxis-Beispiel

Burda-Entscheidung

Der Arbeitgeber ist Mitglied in einem Arbeitgeberverband Y, der einen Tarifvertrag abgeschlossen hat, wonach die wöchentliche Arbeitszeit 35 Stunden beträgt. In einer Betriebsvereinbarung vereinbaren Arbeitgeber und Betriebsrat die Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit von 35 auf 38 Stunden ohne entsprechenden Lohnausgleich. Im Gegenzug verspricht der Arbeitgeber, seine Produktion nicht an einen Standort im Ausland zu verlagern. Die Betriebsvereinbarung ist zwar wegen eines Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam, wird aber im Betrieb von allen Beteiligten (Arbeitgeber, Betriebsrat und Arbeitnehmern) eingehalten. Die Gewerkschaft X, die mit dem Arbeitgeberverband Y den Tarifvertrag über die Wochenarbeitszeit abgeschlossen hat, möchte gegen die Betriebsvereinbarung vorgehen.

Das Anliegen der Gewerkschaft ergibt sich aus der drohenden Aushöhlung der abgeschlossenen Tarifverträge durch Betriebsvereinbarungen, deren Inhalt in Konkurrenz zu dem eines Tarifvertrags steht. Würden solche Betriebsvereinbarungen in größerer Zahl von den Betriebsparteien praktiziert, so würde letztlich der Tarifvertrag leer laufen und die Funktion der Tarifvertragsparteien (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) infrage gestellt.

Das BAG[1] gewährt der Gewerkschaft deshalb seit der sog. "Burda-Entscheidung" von 1999 einen Unterlassungsanspruch gegen tarifwidrige betriebliche Regelungen (Betriebsvereinbarungen, Regelungsabreden, vertragliche Einheitsregelungen). Der Antrag ist im Beschluss- und nicht im Urteilsverfahren zu verfolgen.[2]

Die Rechtsprechung gilt auch für sog. Regelungsabreden zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Die Regelungsabrede ist eine formlose Absprache zwischen den Betriebsparteien, die nicht der Schriftform bedarf. Zwar ist eine Beschlussfassung auf Seiten des Betriebsrats erforderlich, die Regelungsabrede hat jedoch nicht wie die Betriebsvereinbarung unmittelbare Wirkung auf die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten. Sie erlangt erst dadurch Wirkung für das einzelne Arbeitsverhältnis, dass der Arbeitgeber die mit dem Betriebsrat vereinbarten Regelungen einzelvertraglich in die Arbeitsverträge der Beschäftigten integriert.

Ein Unterlassungsanspruch der Gewerkschaft wird schließlich auch dann anerkannt, wenn der Arbeitgeber nach Absprache mit dem Betriebsrat mit den Arbeitnehmern tarifwidrige vertragliche Einheitsregelungen vereinbart. In dem der o. g. Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat vereinbart, dass anstelle der tariflichen 35-Stunden-Woche eine Arbeitszeit von 39 Stunden gelten solle. Die 36. und 37. Stunde sollten hierbei nicht vergütet werden; dafür gab das Unternehmen eine Beschäftigungsgarantie bis Ende des Jahres 2000. Diese Regelung wurde in den einzelnen Arbeitsverträgen umgesetzt: 95 % der Belegschaft stimmten der Ergänzung der Arbeitsverträge zu; gegenüber den nicht akzeptierenden Mitarbeitern wurde unverändert weiter verfahren. Das BAG sprach der betroffenen Gewerkschaft einen Unterlassungsanspruch zu.

Tarifvertragswidrige Betriebsvereinbarungen, die hinsichtlich der Arbeitszeit von einem Manteltarifvertrag abweichen, können durch eine Öffnungsklausel der Tarifpartner auch rückwirkend genehmigt werden.

Auch wenn ein Unterlassungsanspruch der Gewerkschaft gegen den Arbeitgeber besteht, heißt das jedoch nicht, dass die Gewerkschaft die Zahlung der Tariflöhne bzw. Gewährung tariflicher Arbeitsbedingungen gerichtlich durchsetzen kann. Es kann nur Unterlassung des Abschlusses tarifwidriger Betriebsvereinbarungen verlangt werden, nicht aber Nachzahlung an die Arbeitnehmer.[3] Diese eventuellen Rechte müssen die Arbeitnehmer selbst wahrnehmen.

 
Hinweis

Einwirkungsklage

Bei einem Arbeitgeber, der dem tarifschließenden Arbeitgeberverband angehört, hat die Gewerkschaft noch die Möglichkeit, eine sog. Einwirkungsklage zu erheben. Wird ihr stattgegeben, muss der Verband auf sein Mitglied mit Mitteln des Vereinsrechts einwirken, die tarifwidrige Betriebsvereinbarung nicht mehr durchzuführen.[4] In der Praxis sind Einwirkungsklagen weitgehend wirkungslos und daher nicht sehr verbreitet.

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