Rz. 15

Ein besonderes Bedürfnis des Schuldners im Sinne von § 850f Abs. 1 Nr. 2 ZPO setzt voraus, dass dieses konkret und aktuell vorliegt und außergewöhnlich in dem Sinne ist, dass es bei den meisten Personen in vergleichbarer Lage nicht auftritt. Die Vorschrift dient dazu, einen Ausgleich zu schaffen, wenn der individuelle Bedarf durch die pauschal unpfändbaren Einkommensteile aufgrund besonderer Umstände nicht gedeckt werden kann (BGH, NJW 2009, 2313; BGH, WM 2018, 292 = Vollstreckung effektiv 2018, 131; BGH, Vollstreckung effektiv 2020, 25 = NJW-RR 2019, 1383 = NZI 2019, 941 = MDR 2019, 1533 = HFR 2019, 1096 = Rpfleger 2020, 92). Insofern betrifft die Regelung die Befriedigung gegenwärtiger Bedürfnisse des Schuldners; nicht erfasst ist grundsätzlich die Begleichung alter Schulden (BGH, Vollstreckung effektiv 2020, 25 = NJW-RR 2019, 1383 = NZI 2019, 941 = MDR 2019, 1533 = HFR 2019, 1096 = Rpfleger 2020, 92: Steuerschulden; OLG Oldenburg, MDR 1959, 134; OLG Frankfurt, Rpfleger 1978, 265). Denn Pfändungsverbote sind nur aus Gründen des Sozialstaatsprinzips gerechtfertigt (BGH, WM 2017, 2205). Durch sie soll dem Schuldner die wirtschaftliche Existenz erhalten werden, um ein bescheidenes, der Würde des Menschen entsprechendes Leben führen zu können, unabhängig von Sozialleistungen (vgl. BGH, WM 2011, 1418 zu § 811 Abs. 1 ZPO). Sozialleistungen sind aber ihrem Wesen nach nicht dazu bestimmt, der Schuldentilgung zu dienen (BSGE 62, 160, 162). Zwar können Steuern zu einer Erhöhung des unpfändbaren Betrags gemäß § 850f Abs. 1 Nr. 2 ZPO dann führen, soweit sie tatsächlich und für den Schuldner unvermeidlich abgeführt werden. Das ist bei der Einkommensteuer nicht der Fall. Denn diese ist erst am Schluss eines Kalenderjahres vom Gesamteinkommen abzuführen.

 

Rz. 16

Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist auch im Zusammenhang mit einer Entschädigung nach § 16d SGB II (Mehraufwandsentschädigung = Ein-Euro-Job; vgl. auch § 850a Rz. 16) grundsätzlich gegeben. Aufwendungen des Schuldners, die ihre Ursache in der Verrichtung von entsprechenden Arbeiten haben, werden damit zwar nicht im Rahmen einer vollständigen Pfandfreistellung der Zuwendung berücksichtigt, der zusätzliche Aufwand kann jedoch auf Antrag des Schuldners auf Änderung des unpfändbaren Betrages nach § 850f ZPO erfolgen.

3.3.1 Persönliche Bedürfnisse

 

Rz. 17

Hierunter fallen Aufwendungen, die in der Person des Schuldners begründet sind z. B. Kosten für besondere Ernährung zur Wiederherstellung der Gesundheit (Diätverpflegung; LG Essen, Rpfleger 90, 470; Zöller/Herget, § 850f ZPO, Rn. 4), einmalig oder dauerhaft nachgewiesene Aufwendungen für teure Medikamente für die ein Eigenanteil durch den Schuldner zu leisten ist (OLG Celle, InVo 1999, 288), Kosten einer medizinischen Behandlung, wenn der Schuldner Beträge aufwenden muss, ohne dass die Kosten von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden (AG Passau, FoVo 2019, 31). Hierzu gehören auch Krankheitskosten, die aufgrund eines mit der Versicherung vereinbarten Selbstbehaltes beim Schuldner verbleiben. Der mit der Versicherung vereinbarte Selbstbehalt kann aber nicht pauschal und anteilig pro Monat berücksichtigt werden. Er kann nur dann berücksichtigt werden, wenn dem Schuldner auch Kosten in dieser Höhe entstehen (LG Düsseldorf, JurBüro 2006, 156).

Beim beihilfeberechtigten Privatversicherten rechtfertigen Kosten für die medizinische Behandlung, die von der gesetzlichen Krankenkasse für den gesetzlich Versicherten und der Sozialhilfe für den Sozialhilfeberechtigten nicht übernommen würden, in der Regel keine Erhöhung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens (BGH Rpfleger 2018, 341 = DGVZ 2018, 160 = ZVI 2018, 374 = KKZ 2019, 88 = Vollstreckung effektiv 2018, 73). Nimmt der pflegebedürftige Schuldner Pflegegeld nach § 37 SGB XI in Anspruch, kann sein Pfändungsfreibetrag nicht wegen der benötigten Hilfestellungen für die erforderliche Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung erhöht werden (BGH Rpfleger 2018, 341 = DGVZ 2018, 160 = ZVI 2018, 374 = KKZ 2019, 88 = Vollstreckung effektiv 2018, 73: Beschäftigung einer Haushaltshilfe). Nimmt der pflegebedürftige Schuldner Sachleistungen nach § 36 SGB XI in Anspruch, kommt eine Erhöhung des Pfändungsfreibetrages in Betracht, wenn die Leistungen der Pflegeversicherung für eine erforderliche und verhältnismäßige Pflege wegen der in § 36 Abs. 3 SGB XI genannten Höchstbeträge nicht ausreichen, sofern die Sozialhilfe im Fall der Mittellosigkeit des Schuldners für die Pflegeleistungen aufkommen würde.

Sonstige Hilfsmittel wie z. B. Kosten für Rollstuhl, Gehilfe, notwendige Pflegekosten können berücksichtigt werden. Dies gilt nicht für die Kosten einer behindertengerechten Wohnung, wenn hierfür bereits erhöhtes Wohngeld gewährt wird (AG Kassel, JurBüro 1997, 442). Gleiches gilt, wenn dem Schuldner zugemutet werden kann, durch Wohnungswechsel, Vermieten oder auf sonstige Weise seine Aufwendungen zu senken. Dies folgt auch dem Gedanken nach § 29 SGB XII. Soweit diese Kosten den angemessenen Umf...

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