Rz. 30
Die Vollstreckungsorgane haben vor Beginn der Zwangsvollstreckung zu prüfen, ob die Zwangsvollstreckung zulässig ist. Vollstreckungsmaßnahmen dürfen nur dann ergriffen und Vollstreckungshandlungen nur dann vorgenommen werden, wenn die Zwangsvollstreckung zulässig ist. Zu einem großen Teil stimmen die Verfahrensvoraussetzungen der Zwangsvollstreckung mit den Sachurteilsvoraussetzungen (Prozessvoraussetzungen) des Erkenntnisverfahrens überein. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen werden von Amts wegen geprüft. Bei Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung sind vorgenommene Vollstreckungsmaßnahmen fehlerhaft. Es sind von den Vollstreckungsorganen zu prüfen:
- die Zuständigkeit,
- das Vorliegen eines ordnungsgemäßen Vollstreckungsantrags; auch durch Verwendung der gesetzlich vorgesehenen Formulare,
- die allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen,
- die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen,
- das Fehlen von Vollstreckungshindernissen und
- der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
6.1 Die Zuständigkeit
Rz. 31
Zunächst ist die Frage der funktionellen Zuständigkeit zu klären. Sie bezeichnet die Verteilung der verschiedenen Rechtspflegefunktionen in ein und derselben Sache an verschiedene Rechtspflegeorgane. Bei der Zwangsvollstreckung ist mithin zu prüfen, welche Vollstreckungstätigkeit (Geld- oder Individualvollstreckung, Fahrnis- oder Mobiliarvollstreckung, Abnahme der Vermögensauskunft) welchem Vollstreckungsorgan (vgl. Rn. 20 bis 26) im Einzelnen zugewiesen ist. Die Frage der sachlichen Zuständigkeit betrifft im Grunde die Eingangszuständigkeit des Gerichts. Sie ist deshalb bei der Tätigkeit des Gerichtsvollziehers nicht zu prüfen. Die örtliche Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers bestimmt sich nach § 14 GVO. Die örtliche Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts bestimmt sich grundsätzlich nach dem allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners, und sonst ist das Amtsgericht zuständig, bei dem nach § 23 ZPO gegen den Vollstreckungsschuldner Klage erhoben werden kann (§ 828 Abs. 2 ZPO); die Zuständigkeiten sind ausschließlich (§ 802 ZPO), so dass auch nicht durch Parteivereinbarung ein anderes Gericht zuständig werden kann.
6.2 Antrag
Rz. 32
Notwendig ist ein wirksamer Antrag des Vollstreckungsgläubigers. Der Antrag ist Prozesshandlung. Hinsichtlich der Form gilt beim Gerichtsvollzieher, dass er grundsätzlich formlos, schriftlich oder mündlich gestellt werden kann (§ 754 ZPO; § 4 Satz 1 GVGA). Aufträge an den Gerichtsvollzieher bedürfen allerdings dann einer Form, wenn durch Rechtsverordnung gemäß § 753 Abs. 3 ZPO verbindliche Formulare für den Auftrag eingeführt sind. Formulare sind durch die Verordnung über Formulare für die Zwangsvollstreckung (ZVFV) vom 23. August 2012 (BGBl. I S. 1822) mit verbindlicher Wirkung für den Antrag auf Erlass einer richterlichen Durchsuchungsanordnung (§ 758a ZPO) und für den Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (§ 829 ZPO) mit verbindlicher Wirkung ab dem 1. März 2013 eingeführt worden (§§ 1 – 5 ZVFV). Nicht schriftlich erteilte Aufträge sind von Gerichtsvollzieher aktenkundig zu machen (§ 1 Satz 2 GVGA). Zugleich mit dem Antrag hat der Vollstreckungsgläubiger dem Gerichtsvollzieher die vollstreckbare Ausfertigung des Titels zu übergeben (§ 754 ZPO). Sind das Vollstreckungsgericht, das Grundbuchamt, das Prozessgericht oder die Registerbehörde zuständig, ist grundsätzlich die Schriftform und Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle einzuhalten.
6.3 Allgemeine Verfahrensvoraussetzungen
Rz. 33
Da – im Regelfall – auch das Verfahren der Zwangsvollstreckung ein sog. Zweiparteienverfahren ist, gelten grundsätzlich auch die Bestimmungen des Ersten Buches der Zivilprozessordnung. Es müssen daher auch die aus dem Erkenntnisverfahren bekannten Sachurteilsvoraussetzungen (Prozessvoraussetzungen) – hier besser: allgemeine Verfahrensvoraussetzungen – vorliegen. Als wichtigste sind zu nennen: die Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit (§§ 18 bis 20 GVG), die Parteifähigkeit (§ 50 ZPO), die Prozess- und Postulationsfähigkeit (§§ 50, 51, 78, 79 ZPO) und das allgemeine Rechtsschutzinteresse.
6.4 Allgemeine Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
Rz. 34
Die Zwangsvollstreckung darf nur beginnen, wenn die Personen, für und gegen die sie stattfinden soll, in dem Urteil oder der ihm beigefügten Vollstreckungsklausel bezeichnet sind und das Urteil bereits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt wird (§ 750 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
6.4.1 Der Vollstreckungstitel
Rz. 35
Der Vollstreckungstitel ist diejenige öffentliche Urkunde, in der der vollstreckbare (und zu vollstreckende) Anspruch des Gläubigers gegen den Schuldner verbrieft ist. Er allein bestimmt Inhalt und Umfang der Zwangsvollstreckung und legt auch die Parteien des Zwangsvollstreckungsverfahrens fest. Er muss erkennen lassen, dass er vollstreckbar ist.
Rz. 36
Die wichtigsten Vollstreckungstitel sind:
- Endurteile, soweit sie einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben (sog. Leistungsurteile), § 704 ZPO (auch die dem Endurteil gleichgestellten Vorbehaltsurteile, § 302 Abs. 3, § 599 Abs. 3 ZPO). Von dem Titel "Endurteil" geht das Gesetz bei der Regelung der Vollstreckung aus und wendet...