(1) Der EuGH hat am 5.3.1998 in der Rechtssache C-160/96 Molenaar bestätigt, dass es nicht gegen Artikel 6 und Artikel 48 Abs. 2 des EU-Vertrages verstößt, wenn ein Mitgliedsstaat Personen, die in seinem Gebiet arbeiten, jedoch in einem anderen Mitgliedsstaat wohnen, zu Beiträgen zu einem System der sozialen Sicherheit zur Deckung des Risikos der Pflegebedürftigkeit heranzieht. Ist daher aufgrund der Koordinierungsregelungen des Gemeinschaftsrechts deutsches Sozialversicherungsrecht anzuwenden, sind bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 SGB XI Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung zu entrichten.

(2) Wie der EuGH in seinem Urteil festgestellt hat, handelt es sich beim Pflegegeld nach dem SGB XI um eine Geldleistung im Sinne der europäischen Verordnungen über soziale Sicherheit. Damit kommt für Versicherte deutscher Pflegekassen, die sich in einem anderen EU-/EWR-Staat oder der Schweiz aufhalten, der Export von Pflegegeld in Betracht.

(3) Der Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem in Frankreich wohnende und in der Bundesrepublik Deutschland erwerbstätige sowie krankenversicherte Arbeitnehmer niederländischer Staatsangehörigkeit sich gegen die Heranziehung zur Versicherungs- und Beitragspflicht in der sozialen Pflegeversicherung wandten, nachdem sie davon Kenntnis erhalten hatten, dass die Leistungsgewährung nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI grundsätzlich vom Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland abhängig ist.

(4) Betroffen von der Entscheidung des EuGH sind insbesondere folgende Personenkreise

  • Grenzgänger aus einem EU-/EWR-Staat oder der Schweiz, die in der Bundesrepublik Deutschland in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stehen. Diese unterliegen, wenn die Beschäftigung ausschließlich in Deutschland ausgeübt wird, den deutschen Rechtsvorschriften (Artikel 11 Abs. 3 Buchst. a VO – EG – Nr. 883/04).
  • Bezieher ausschließlich deutscher Rente mit Wohnort bzw. gewöhnlichem Aufenthalt in einem anderen EU-/EWR-Staat oder der Schweiz. Voraussetzung ist, dass ein anderweitiger Krankenversicherungsschutz aufgrund der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bzw. einer selstständigen Erwerbstätigkeit oder eines Rentenbezugs nicht besteht (Artikel 24, 25 und 31 VO (EG) Nr. 883/04).
  • Angehörige, die mit oder ohne den Versicherten im anderen EU-/EWR-Staat oder der Schweiz leben und zu Lasten der deutschen Krankenkassen im Rahmen der Sachleistungsaushilfe vom Träger des Wohnorts betreut werden, wenn für sie im Wohnstaat keine Vorrangversicherung besteht.

(5) Nach den Europäischen Verordnungen erhält ein Versicherter, der im Gebiet eines anderen Staates als des zuständigen Staates wohnt und die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen erfüllt,

  1. Geldleistungen, vom zuständigen Träger nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften;
  2. Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers, bei dem das Mitgliedschaftsverhältnis besteht, vom Träger des Wohnorts (aushelfender Träger) nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei diesem Träger versichert wäre.

(6) Daher ist zu unterscheiden, ob der Versicherte im europarechtlichen Sinne eine Geldleistung oder eine Sachleistung beansprucht.

  1. Als Geldleistung ist das Pflegegeld nach § 37 SGB XI zu verstehen. Voraussetzung für die Zahlung des Pflegegeldes ist, dass die Pflege selbst sichergestellt wird bzw. werden kann. Bei Aufenthalt des Pflegebedürftigen in einer stationären Pflegeeinrichtung im Ausland ist davon auszugehen, dass die Pflege selbst sichergestellt wird. Insofern kommt die Zahlung des Pflegegeldes nach § 37 SGB XI auch in diesen Fällen in Betracht. Die Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI ist als zeitlich und der Höhe nach begrenztes Surrogat für das Pflegegeld zu qualifizieren, wodurch sich die Nähe zum Pflegegeld zeigt. Aufgrund dieser Nähe zum Pflegegeld ist auch die Verhinderungspflege als Geldleistung zu verstehen (BSG, Urteil v. 20.4.2016, B3 P 4/14 R, Rn. 36). Das Pflegeunterstützungsgeld nach § 44a SGB XI stellt ebenfalls eine Geldleistung im Sinne der VO (EG) Nr. 883/04 dar. Bei vorübergehendem oder dauerhaftem Aufenthalt des pflegebedürftigen nahen Angehörigen bzw. des Beschäftigten im EU-/EWR-Ausland oder der Schweiz besteht ein Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld. Entscheidend ist, dass der Pflegebedürftige in Deutschland pflegeversichert ist. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der Beschäftigte einen Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld nach den deutschen Rechtsvorschriften hat (vgl. GR v. 20.12.2022, Zu § 44a Abs. 3 SGB XI, Ziffer 2 ff.). Die Beiträge zur Rentenversicherung nach § 44 Abs. 1 SGB XI und zur Arbeitslosenversicherung nach § 44 Abs. 2b SGB XI sind ebenfalls als Geldleistungen zu verstehen.
  2. Zur Sachleistung gehören Leistungen, die zur Sicherstellung der häuslichen oder stationären Pflege des Versicherten oder den Kauf von Pflegehilfsmitteln bestimmt sind. Dazu zähle...

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