13.1 Verwaltungsakt

Nach der bisherigen Rechtsprechung des 1. Senats hatte eine fingierte Genehmigung die Qualität eines Verwaltungsaktes. Sie sollte daher – so wie ein von der Krankenkasse erlassener und bekannt gegebener Verwaltungsakt – wirksam bleiben, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (vgl. § 39 Abs. 2 sowie §§ 45, 47 und 48 SGB X). Diese Rechtsprechung hat der Senat mit seinem Urteil vom 26.5.2020 nun aufgegeben.

13.2 Rechtsposition sui generis

[1] Die aktuelle Rechtsprechung des 1. und 3. Senats ordnet die Genehmigungsfiktion neu ein und bescheinigt ihr nicht mehr die Qualität eines Verwaltungsaktes. Sie vermittelt dem Versicherten lediglich eine Rechtsposition sui generis, die es ihm erlaubt sich die beantragte Leistung – im Falle der Gutgläubigkeit – selbst zu beschaffen (vgl. BSG, Urteil vom 26.5.2020, B 1 KR 9/18 R, Rn. 9, 10 und vom 18.6.2020, B 3 KR 14/18 R, Rn. 16, 17). Daraus wird nun abgeleitet, dass allein mit dem Eintritt der Genehmigungsfiktion das durch den Antrag in Gang gesetzte Verwaltungsverfahren nicht abgeschlossen wird. Die Krankenkasse ist somit weiterhin berechtigt und verpflichtet, über den Leistungsantrag zu entscheiden und damit das laufende Verwaltungsverfahren abzuschließen. Der Eintritt der Genehmigungsfiktion beendet also nicht das Verfahren auf Bewilligung einer beantragten Naturalleistung, der gestellte Antrag auf Naturalleistung existiert vielmehr fort (vgl. BSG, Urteil vom 26.5.2020, B 1 KR 9/18 R, Rn. 29, 30).

[2] Damit stellt sich die von der bisherigen Rechtsprechung diskutierte Frage nach den Voraussetzungen für die Rücknahme einer fingierten Genehmigung nach § 45 SGB X nun nicht mehr. Wenn die Genehmigungsfiktion keinen Verwaltungsakt darstellt, kann und muss sie auch nicht nach § 45 SGB X zurückgenommen werden. Sollte die Krankenkasse bereits einen Rücknahmebescheid erlassen haben, wäre dieser von ihr aufzuheben, da es an einem "Rücknahmeobjekt" mangelt (vgl. BSG, Urteil vom 18.6.2020, B 3 KR 14/18 R, Rn. 9).

[3] Nach der aktuellen Rechtsprechung kommt es für die "Wirksamkeit" der Genehmigungsfiktion mit der Folge eines Rechts zur Selbstbeschaffung auf Kosten der Krankenkasse vielmehr entscheidend darauf an, ob bei den Versicherten im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung zumindest eine grob fahrlässige Unkenntnis über den ihnen materiell-rechtlich nicht zustehenden Leistungsanspruchs (Bösgläubigkeit) vorlag oder nicht.

[4] Die Umstände, aus denen sich eine Bösgläubigkeit der Versicherten ergeben können, sind dabei von der Krankenkasse nachzuweisen. In diesem Zusammenhang wird auf die Ausführungen unter Abschnitt 12.1.2 verwiesen. Weitere Überprüfungskriterien zur bösgläubigen Selbstbeschaffung der Leistungen durch die Versicherten im Zusammenhang mit der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V werden sich möglicherweise durch die zukünftige Rechtsprechung ergeben.

[5] Machen Leistungsberechtigte von ihrem Recht auf Selbstbeschaffung keinen Gebrauch und entscheidet die Krankenkasse abschließend begünstigend über den gestellten Leistungsantrag, weil ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch vorliegt, so begründet dies weiterhin einen Naturalleistungsanspruch.

13.3 Erledigung auf andere Weise

[1] Das durch die Genehmigungsfiktion vermittelte Recht auf Selbstbeschaffung der beantragten Leistung zulasten der Krankenkasse kann auch dadurch enden, dass sich der Leistungsantrag auf andere Weise erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X analog), wenn dieses Recht für die Versicherten erkennbar von vornherein an den Bestand einer bestimmten Situation gebunden ist.

[2] Dies kann etwa der Fall sein, wenn vor der Selbstbeschaffung die ursprünglich behandlungsbedürftige Krankheit, wegen der der Leistungsantrag gestellt wurde, nach ärztlicher – den Antragstellenden bekannten – Einschätzung vollständig geheilt ist.

[3] Die Genehmigungsfiktion gilt stets nur bis zum Ende des Versicherungsverhältnisses.

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