Ein Anspruch auf eine Gratifikation/Sonderzahlung besteht nur, wenn hierfür eine besondere Rechtsgrundlage vorhanden ist. Als Anspruchsgrundlagen kommen in Betracht:

2.1 Einzelvertragliche Abreden als Anspruchsgrundlage

Gratifikationen werden häufig individuell in Arbeitsverträgen vereinbart. Eine übliche Klausel lautet etwa wie folgt:

 
Praxis-Beispiel

Gratifikationsvereinbarung im Arbeitsvertrag

"Der Arbeitnehmer erhält eine Weihnachtsgratifikation sowie ein Urlaubsgeld, jeweils in Höhe eines halben Monatsgehalts, zahlbar Ende November (Weihnachtsgratifikation) bzw. Ende Juni (Urlaubsgeld) eines Jahres."

Hier handelt es sich um eine Gratifikationszusage, die ohne jede Einschränkung einen Rechtsanspruch auf die Gratifikationen schafft. Soll die Gratifikation von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig gemacht werden (z. B. ungekündigtes Arbeitsverhältnis), um bestimmte Zwecke zu erreichen (z. B. Festigung der Betriebstreue), muss dies ausdrücklich vereinbart werden.

2.2 Tarifverträge als Anspruchsgrundlage

Gratifikationen/Sonderzahlungen können auch in Tarifverträgen enthalten sein. Dort finden sie sich meistens in speziellen Sondertarifverträgen, so z. B. bei der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg im "TV Soza" (Tarifvertrag über die Absicherung betrieblicher Sonderzahlungen).

Ein solcher Tarifvertrag enthält dann gegebenenfalls auch die zusätzlichen Voraussetzungen, von denen die Gratifikationszahlung abhängig gemacht wird.

Der Arbeitgeber, der über den tariflich abgesicherten Teil einer Sonderzahlung hinaus freiwillig mehr bezahlt, kann den freiwilligen Teil der Leistung auch um tarifliche Einmalzahlungen kürzen. Dies betrifft keine Frage der Anrechenbarkeit tariflicher Leistungen auf übertarifliche Lohnbestandteile, sondern die jedes Jahr neu zu treffende Entscheidung, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Gratifikation gezahlt werden soll. Solange keine betriebliche Übung auf Zahlung erhöhter Sonderzahlungen besteht, ist der Arbeitgeber in dieser Entscheidung frei. Zahlt der Arbeitgeber die "volle" Sonderzahlung aus und trifft zuvor eine entsprechende Tilgungsbestimmung, erfüllt dies den tariflichen Anspruch.[1] Wird jedoch ohne Rechtspflicht eine übertarifliche Weihnachtszuwendung bezahlt, kann nach dreimaliger vorbehaltloser Zahlung eine betriebliche Übung entstehen.[2]

2.3 Betriebliche Übung als Anspruchsgrundlage

Ein Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf eine Gratifikation entsteht häufig auch ohne ausdrückliche Vereinbarung, d. h. ohne dass es eine tarifvertragliche oder ausdrückliche arbeitsvertragliche Regelung gibt, durch betriebliche Übung beim Arbeitgeber und damit oft vom Arbeitgeber ungewollt. Die betriebliche Übung ist nicht gesetzlich geregelt, sondern eine Anspruchsgrundlage, die von der Rechtsprechung entwickelt worden ist. Unter einer betrieblichen Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer gewährt werden.

Der zur gefestigten, ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG)[1] seit 1963 gewordene Grundsatz lautet:

Hat ein Arbeitgeber wiederholt und vorbehaltlos eine Gratifikation gewährt, so ist er nach dreimaliger vorbehaltloser Gewährung für die Zukunft gebunden.

 
Praxis-Beispiel

Betriebliche Übung

Gewährt der Arbeitgeber also in den Jahren 2020, 2021 und 2022 jeweils vorbehaltlos ein Weihnachtsgeld an sämtliche Arbeitnehmer des Unternehmens, haben sämtliche Mitarbeiter im Dezember 2023 auch dann einen Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes für dieses Jahr.

Dabei kann eine betriebliche Übung auch für die Arbeitnehmer entstehen, die neu eingestellt wurden, soweit gegenüber den "Alt- Arbeitnehmern" bereits wirksam eine betriebliche Übung begründet wurde.[2]

Eine betriebliche Übung kann zudem gegenüber Betriebsrentnern entstehen, z. B. durch regelmäßige, vorbehaltlose Weihnachtsgeldzahlungen an ehemalige Arbeitnehmer im Rentenstand.[3]

Der entstandene Rechtsanspruch der begünstigten Arbeitnehmer ist bindend und kann nicht einfach wieder vom Arbeitgeber einseitig, z. B. durch einen Aushang im Betrieb oder ein Rundschreiben beseitigt werden.

Der Arbeitgeber kann sich von der zum Gegenstand des Arbeitsverhältnisses gewordenen Verpflichtung zur Zahlung einer Gratifikation ohne Mitwirkung des Arbeitnehmers nur im Wege der Änderungskündigung wieder lösen.[4] Die Hürden, die das Bundesarbeitsgericht beim Abbau von sozialen Leistungen durch Änderungskündigung aufstellt, sind allerdings sehr hoch.

Eine einmal entstandene betriebliche Übung kann auch nicht durch eine "gegenläufige betriebliche Übung" geändert werden.[5] Die frühere, arbeitgeberfreundlichere Rechtsprechung wurde insoweit aufgegeben. Auch wenn der Arbeitgeber unwidersprochen 3 Jahre in Folge darauf hinweist, dass er künftig nur noch freiwillig und ohne Schaffung eines...

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