Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Länger dauernde Bemühungen des Schuldners aus einem vorläufig vollstreckbaren arbeitsgerichtlichen Urteil, nach dessen Abänderung oder Aufhebung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlte oder vollstreckte Beträge zurückzuerlangen, sind regelmäßig nur ein schwer zu ersetzender, arg. §§ 710, 707 Abs. 1 S. 2 ZPO, kein nicht zu ersetzender Nachteil.

2. Auch wenn ein nicht zu ersetzender Nachteil anzunehmen ist, steht die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem erstinstanzlichen Urteil nach eingelegter Berufung im Ermessen des Berufungsgerichts. Danach steht einer einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung in der Regel entgegen, wenn

  1. der Beklagte nur Gründe vorbringt, die das Arbeitsgericht bereits bei der Prüfung des Ausschlusses der vorläufigen Vollstreckbarkeit im Urteil als nicht ausreichend erachtet hat; oder
  2. gerade die Verurteilung tragende Gründe auch den nicht zu ersetzenden Nachteil begründen sollen; oder
  3. die Berufung nach den im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen nicht mindestens überwiegende Aussicht auf Erfolg hat.
 

Normenkette

ZPO § 719 Abs. 1, § 707 Abs. 1, § 710; ArbGG § 62 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 02.09.1991; Aktenzeichen 4 Ca 2640/90)

 

Tenor

wird der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 02. September 1991 – 4 Ca 2640/90 – ganz oder teilweise vorläufig einzustellen, zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I

Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat die Beklagte mit einem am 02. September 1991 verkündeten Urteil – 4 Ca 2640/90 – zur Zahlung von 465.445,55 DM Schadenersatz nebst Zinsen verurteilt, die Verpflichtung zum Ersatz weiteren materiellen Schadens festgestellt und den Antrag, die vorläufige Vollstreckbarkeit im Urteil auszuschließen, zurückgewiesen. Der Kläger hat mit Schreiben vom 30. Dezember 1991 die Beklagte zur Zahlung aufgefordert und die Zwangsvollstreckung angedroht. Die Beklagte hat gegen das ihr am 29. November 1991 zugestellte Urteil am 23. Dezember 1991 formgerecht Berufung eingelegt. Sie beantragt, mit den im einzelnen aus Seite 2 und 3 des Schriftsatzes vom 03. Januar 1992 ersichtlichen Anträgen, die Zwangsvollstreckung aus dem o.a. Urteil ganz, hilfsweise teilweise einzustellen.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Antrag ist zurückzuweisen, weil er unbegründet ist.

Das Berufungsgericht kann die Zwangsvollstreckung aus einem gem. § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG kraft Gesetzes vorläufig vollstreckbaren Urteil einstellen, §§ 719 Abs. 1 Satz 1, 707 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wenn der Beklagte glaubhaft macht, daß ihm die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde, § 62 Abs. 1 Satz 3 und 2 ArbGG. Weder hat die Beklagte das hinreichend glaubhaft gemacht noch kann, selbst wenn das der Fall wäre, das gegebene Ermessen des Gerichts im Sinne der Beklagten ausgeübt werden.

1) Die Beklagte hat nur eine hypothetische finanzielle Situation des Klägers dargelegt. Maßgeblich könnte allenfalls die tatsächliche sein. Zum einen ist aber weder wahrscheinlich, daß der knapp 50 Jahre alte hochqualifizierte Kläger bis zum Beginn des Rentenanspruchs auf öffentliche Sozialleistungen angewiesen sein wird; zum anderen ist eine Vermögenslosigkeit des Klägers nicht substantiiert dargelegt. Selbst wenn danach eine Zwangsvollstreckung wegen eines angeblichen Rückforderungsanspruchs mehrere Jahre dauern würde, läge allenfalls ein schwer zu ersetzender Nachteil, arg. §§ 710, 707 Abs. 1 Satz 2 ZPO, kein nicht zu ersetzender Nachteil vor.

2) Selbst wenn die Beklagte aber mit ihrem Einstellungsantrag einen nicht zu ersetzenden Nachteil glaubhaft gemacht hätte, käme eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einigen Gründen überhaupt nicht, im übrigen jedenfalls derzeit nicht in Betracht.

a) In Hinblick auf den bei dem Arbeitsgericht gestellten Antrag, die vorläufige Vollstreckbarkeit im Urteil auszuschließen, könnten im Rahmen der Ermessensausübung des Berufungsgerichts nur Gründe Beachtung finden, die nicht bereits das Arbeitsgericht geprüft hat, weil sonst ein Teil der dem Berufungsurteil vorbehaltenen Überprüfung in einem Eilverfahren Vorweggenommen würde. Daß die von der Beklagten behaupteten Tatsachen solcher Art neu sind, hat die Beklagte nicht dargelegt.

b) Weiterhin könnte im vorliegenden Fall eine weitgehende Einkommens- und Vermögenslosigkeit als Grund für einen nicht zu ersetzenden Nachteil keine Beachtung finden, weil es gerade die Grundlage der vorläufig vollstreckbaren Verurteilung ist, daß die Beklagte diese Situation durch rechtswidrig schuldhafte Vertragsverletzung hervorgerufen hat. Es wäre ein Widerspruch in sich, wenn derselbe Umstand, der u.a. zur vorläufig vollstreckbaren Verurteilung führt, dann den Grund für die Einstellung der Zwangsvollstreckung bilden konnte.

c) Schließlich sind nach ständiger R...

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