Entscheidungsstichwort (Thema)
Interessenausgleichsverhandlungen. Anwaltsvergütung. Gegenstandswert
Leitsatz (amtlich)
Die Hinzuziehung eines Beraters (Rechtsanwalts) im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung nach § 111 Satz 2 BetrVG bedarf keiner Vereinbarung mit dem Arbeitgeber nach § 80 Abs. 3 BetrVG.
Der Arbeitgeber muss die Kosten für die Hinzuziehung eines Beraters nur dann tragen, wenn dies erforderlich war, woran bei der Hinzuziehung des Beraters zu Interessenausgleichsverhandlungen kein Zweifel besteht.
Für eine beratende Tätigkeit im Sinne des § 111 Satz 2 BetrVG, in deren Rahmen der Anwalt an Interessenausgleichsverhandlungen teilnimmt, erhält er eine Geschäftsgebühr nach RVG-VV 2300, keine Beratungsgebühr nach § 34 RVG (hier: 1,6).
Orientierungssatz
1. Eine Honorarzusage, die zu einer höheren Vergütung des Rechtsanwalts führt, insbesondere auch die Vereinbarung eines Zeithonorars, darf der Betriebsrat regelmäßig nicht für erforderlich halten.
2. Hat die Beratung das Ziel, die vom Arbeitgeber geplante Betriebsänderung zu erfassen und beschäftigungssichernde Alternativen zu entwickeln, ist das Recht des Betriebsrats auf Hinzuziehung eines Beraters auf den Interessenausgleich im Sinne des § 112 Abs 1 S 1 BetrVG beschränkt
3. Bei der Auseinandersetzung um Beteiligungsrechte des Betriebsrats ist in Hinblick auf den Gegenstandswert für je zwanzig betroffene Arbeitnehmer einmal der Ausgangswert des § 23 Abs 3 S 2 RVG anzusetzen.
Normenkette
BetrVG § 111 S. 2, § 40 Abs. 1; RVG § 34 Abs. 1 S. 2; BGB § 612 Abs. 2; RVG-VV Nr. 2300; BetrVG § 80 Abs. 3, § 111 Abs. 3 Nr. 2; BGB § 398 S. 1; BetrVG § 111 S. 1, § 112 Abs. 1 S. 1; RVG § 14 Abs. 1 S. 1, § 23 Abs. 3 S. 2; ZPO § 3
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Beschluss vom 16.12.2008; Aktenzeichen 16 BV 655/08) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 16. Dezember 2008 – 16 BV 655/08 – teilweise abgeändert:
Die Beteiligte zu 2) wird verurteilt, an den Beteiligten zu 1) EUR 2.161,99 (in Worten: Zweitausendeinhunderteinundsechzig und 99/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Juni 2008 zu zahlen.
Im Übrigen wird der Antrag des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen.
Die darüber hinausgehende Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird für keine/n der Beteiligten zugelassen.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller und Beteiligte zu 1), der Fachanwalt für Arbeitsrecht ist, macht gegenüber der zu 2) beteiligten Arbeitgeberin aus abgetretenem Recht Vergütungsansprüche aus einer Tätigkeit für den Betriebsrat geltend.
Durch Beschluss vom 28. Jan. 2008 beauftragte der Betriebsrat die Kanzlei A & B, an Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen mit der Beteiligten zu 2) wegen der beabsichtigten Verlegung der Niederlassung vom Standort C nach D teilzunehmen. Es fanden drei Verhandlungsrunden am 20. Febr., 3. und 31. März 2008 statt, an denen Rechtsanwalt B als Sachverständiger für den Betriebsrat teilnahm. Hierüber schlossen der Betriebsrat und die Rechtsanwaltskanzlei eine Honorarvereinbarung über ein Stundenhonorar in Höhe von EUR 250,– zzgl. Mehrwertsteuer (Bl. 7,8 d. A.).
Der Beteiligte zu 1) wurde darüber hinaus vom Betriebsrat beauftragt, die Arbeitgeberin aufzufordern, den geplanten Umzug vom Standort C zum neuen Standort …straße in D nicht durchzuführen, ohne dass mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über den Arbeits- und Gesundheitsschutz gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG abgeschlossen worden ist. Mit Schreiben vom 15. April 2008 forderte der Beteiligte zu 1) die Arbeitgeberin auf, Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zum Arbeits- und Gesundheitsschutz gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG aufzunehmen und drohte ihr gleichzeitig an, es werde ein einstweiliges Verfügungsverfahren eingeleitet werden, wenn der Umzug gleichwohl von Statten gehen würde. Nachdem die Arbeitgeberin nach dem Scheitern der Verhandlungen mitgeteilt hatte, sie halte nach wie vor an dem Umzug fest, leitete der Beteiligte zu 1) für den Betriebsrat am 14. Mai 2008 bei dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main ein einstweiliges Verfügungsverfahren ein, das auf Unterlassung des Umzugs gerichtet war (15 BVGa 354/08) und mit einem Vergleich endete. Bezüglich der außergerichtlichen Verhandlungen über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG erstellte der Beteiligte zu 1) unter dem 16. Mai 2008 eine Vergütungsrechnung auf der Basis eines Gegenstandswertes von EUR 200.000 und einer 1 ‚8-Geschäftsgebühr gemäß VV RVG 2300 in Höhe eines Gesamtbetrages von EUR 3.913,67. Die Arbeitgeberin lehnte den Ausgleich der Kostennote ab.
Nach Abschluss der Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen erstellte die Kanzlei die Kostennote vom 29. Mai 2008 über EUR 3.718,75. In Rechnung gestellt wurden 10 Stunden für die drei Verhandlungen und Fahrtzeit im Umfang von 2 Stunden 24 Minuten. Der Betriebsrat beschloss in seiner Sitzung vom 9. Juni 200...