Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Berufungsbegründung. Rechtskraft der Entscheidung über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. Sonderkündigungsschutz des Betriebsratsmitglieds. Ermessensausübung bei Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens
Leitsatz (amtlich)
1. Die Feststellung in einem rechtskräftigen Beschluss, dass eine bestimmte Betriebsratswahl zwar anfechtbar aber nicht nichtig ist wirkt „intern immer“. Das Gericht, das im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens des in dieser Wahl gewählten Betriebsratsmitglieds über das Bestehen von Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 KSchG i.V.m. § 103 BetrVG zu entscheiden hat, ist an die Entscheidung gebunden.
2. Eine Aussetzung des Kündigungsschutzverfahrens wegen einer Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Abweisung der Restintentionsbeschwerde gegen diesen rechtskräftigen Beschluss kommt i.d.R. vor dem Hintergrund des besonderen Beschleunigungsgrundsatz nicht in Betracht.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Berufungsbegründung muss die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben. Sie muss auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen und tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen. Bloße formelhafte Wendungen oder Wiederholungen bisherigen Vorbringens reichen nicht aus.
2. Eine rechtskräftige Entscheidung über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl wirkt nicht nur zwischen den Beteiligten des entsprechenden Beschlussverfahrens, sondern entfaltet auch präjudizielle Bindungswirkung für Dritte.
3. Steht rechtskräftig fest, dass ein Arbeitnehmer in einer wirksamen Betriebsratswahl in dieses Gremium gewählt worden ist, steht ihm der Sonderkündigungsschutz der §§ 15 Abs. 1 KSchG i.V.m. § 103 BetrVG zu.
4. Im Rahmen der Ermessensausübung bei der Entscheidung über eine Verfahrensaussetzung i.S.d. § 148 ZPO bei einem Bestandsschutzverfahren sind das Beschleunigungsgebot, der Stand beider Verfahren, die voraussichtliche Dauer der Aussetzung und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen unter Beachtung der Erfolgsaussichten zu berücksichtigen.
Normenkette
ZPO § 148; KSchG § 15 Abs. 1 S. 1; BetrVG § 103; ArbGG § 9 Abs. 2 S. 2; GVG § 198; ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, § 717 Abs. 2; BGB §§ 133, 157, 612a, 812
Verfahrensgang
ArbG Kassel (Entscheidung vom 13.02.2019; Aktenzeichen 4 Ca 127/18) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 13. Februar 2019 - 4 Ca 127118 - wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Abweisung der Widerklage betreffend die Rückzahlung der Prämie iHv. 21.771,78 € brutto nebst Zinsen richtet. lm Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten auch zweitinstanzlich noch um die Wirksamkeit zweier von der Beklagten ausgesprochener außerordentlicher, hilfsweise ordentlicher Kündigungen, die Rückzahlung von Prämien sowie im Rahmen eines uneigentlichen Hilfsantrags um die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung und Annahmeverzugslohn. Zusätzlich macht die Beklagte zweitinstanzlich für den Fall des Obsiegens gegen die Kündigungsschutzklage die Rückzahlung der im Rahmen der Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil an den Kläger getätigten Zahlungen (Annahmeverzugslohn und Abfindung) geltend.
Der 1964 geborene Kläger ist seit dem 17. Juni 1991 ohne schriftlichen Arbeitsvertrag bei der Beklagten als Maschinenführer mit einer durchschnittlichen Vergütung von zuletzt 2.408,92 € brutto beschäftigt.
Die Beklagte hat gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 13. Juli 2018 und vom 19. Juli 2018 jeweils außerordentlich fristlose, hilfsweise ordentlich fristgerechte Kündigungen ausgesprochen.
Bei der Beklagten fanden zuletzt am 12. Juni 2018 Betriebsratswahlen statt, bei denen der Kläger als Betriebsrat wiedergewählt wurde. Die Beklagte hat die gerichtliche Feststellung der Nichtigkeit dieser Wahl betrieben und ist insofern sowohl vor dem Arbeitsgericht (9 BV 6/18) als auch vor dem Hessischen Landesarbeitsgerichtsgericht (Beschluss vom 17. Juni 2019 - 16 TaBV 12/19) unterlegen. Festgestellt wurde in beiden Instanzen lediglich die Anfechtbarkeit der Wahl. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichtsgerichts vom 17. Juni 2019 im Verfahren 16 TaBV 12/19 hat das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 12. September 2019 (7 ABR 59/19) zurückgewiesen.
Die Beklagte hat im Hinblick auf das Verfahren 16 TaBV 12/19 vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht ein Restitutionsverfahren betrieben (16 TaBV 8/20) in dem sie ebenfalls unterlegen ist. Gegen diese Entscheidung hat sie unter dem 7. April 2020 Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht eingelegt (1 ABN 24/20), die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im hiesigen Verfahren nicht...