Entscheidungsstichwort (Thema)
Minderung der Anspruchsdauer nach Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld. keine tatsächliche Befriedigung des auf BA übergegangenen Arbeitentgeltanspruchs. Versäumung tariflicher Ausschlussfristen. nachträgliche Verlängerung des geminderten Arbeitslosengeldanspruchs aus Billigkeitsgründen bzw aufgrund sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
Orientierungssatz
Es besteht auch dann ein Anspruch auf Rückabwicklung der Minderung der Anspruchsdauer des Arbeitslosengeldes nach Gleichwohlgewährung, wenn der auf die Bundesagentur für Arbeit (BA) übergegangene Arbeitsentgeltanspruch nur deshalb nicht tatsächlich befriedigt wurde, weil die BA ihn nicht selbst beigetrieben und den Arbeitslosen - trotz dessen konkreter Anfrage und Hinweises auf tarifliche Ausschlussfristen - nicht zur gerichtlichen Geltendmachung im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft ermächtigt als auch nicht ausreichend informiert hat.
Nachgehend
BSG (Vergleich vom 06.12.2012; Aktenzeichen B 11 AL 23/11 R) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 5. März 2009 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten in einem Fall der sog. Gleichwohlgewährung darum, ob der Klägerin noch ein Anspruch auf Arbeitslosengeld zusteht.
Die 1948 geborene Klägerin war bei der Firma CD. Gebäudeservice GmbH seit 12. August 1991 als Objektleiterin beschäftigt. Ihr letztes Bruttogehalt betrug 2.643,29 Euro.
Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis erstmals mit Schreiben vom 10. Juni 2005 zum 30. September 2005, da sie betriebsbedingt keine Möglichkeit sehe, die Klägerin über den 31. Juli 2005 hinaus zu beschäftigen. Mit außerordentlicher Kündigung vom 30. August 2005 (hilfsweise ordentlicher Kündigung zum 31. Januar 2006) kündigte die Arbeitgeberin der Klägerin erneut. Gegen beide Kündigungen erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage.
Nach einer Zeit der Erkrankung mit Arbeitsunfähigkeit meldete sich die Klägerin am 19. September 2005 zum 1. Oktober 2005 bei der Beklagten arbeitslos.
Die Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheiden vom 26. und 27. Oktober 2005 zunächst vorläufig Arbeitslosengeld ab 1. Oktober 2005, unter Zugrundelegung eines Arbeitsentgelts in Höhe von 45,00 Euro täglich für eine Anspruchsdauer von 960 Tagen.
Mit Schreiben vom 26. Oktober 2005 machte die Beklagte gegenüber der Firma CD. Gebäudeservice GmbH den Anspruchsübergang gemäß § 143 Abs. 3 bzw. § 143a Abs. 4 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) i. V. m. § 115 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geltend, mit der Folge, dass eventuelle Ansprüche der Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis bis zur Höhe der gezahlten Leistung auf sie übergingen. Ebenfalls mit Schreiben vom 26. Oktober 2005 teilte die Beklagte auch der Klägerin den Anspruchsübergang mit und wies sie darauf hin, dass sie über ihre Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nicht verfügen dürfe, soweit sie im gleichen Zeitraum Leistungen von der Beklagten erhalten habe. In dieser Höhe seien ihre Ansprüche auf die Beklagte übergegangen.
Mit Urteil vom 9. November 2005 entschied das Arbeitsgericht E-Stadt über die Kündigungsschutzklage der Klägerin und gab der Klage teilweise statt. Die Beklagte erhielt am 2. Dezember 2005 vom damaligen Bevollmächtigten der Klägerin im arbeitsgerichtlichen Verfahren, Rechtsanwalt F., eine Abschrift des Urteils. Gegen das Urteil legte die Klägerin Berufung zum Landesarbeitsgericht ein.
Mit Schreiben vom 8. Dezember 2005 fragte die Beklagte bei der Firma CD. Gebäudeservice GmbH an, ob der arbeitsgerichtliche Rechtsstreit zwischenzeitlich beendet sei bzw. wann mit seiner Erledigung zu rechnen sei.
Nach Vorlage der Arbeitsbescheinigung der CD. Gebäudeservice GmbH bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Verfügung vom 13. Januar 2006 Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt von 80,57 Euro / Leistungssatz 35,83 Euro. Nachdem die Klägerin am 15. März 2006 gegenüber der Beklagten die Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld unter den erleichterten Voraussetzungen des § 428 SGB III erklärt hatte, bewilligte die Beklagte mit Verfügung vom 20. April 2006 erneut Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von 80,57 Euro / Leistungssatz 35,83 Euro für eine (verbleibende) Anspruchsdauer von 750 Tagen.
Mit Urteil vom 23. Oktober 2006 änderte das Hessische Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts vom 9. November 2005 ab und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der CD. Gebäudeservice GmbH durch keine der bisher erfolgten Kündigungen beendet worden ist. Die Arbeitgeberin wurde außerdem verurteilt, die Klägerin zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen und an sie einen (Teil-) Betrag in Höhe von 3.648,06 Euro zu zahlen.
Mit Schreiben vom 30. Oktober 2006 kündigte die Firma CD. Gebäudeservice GmbH der Klägerin erneut, diesmal zum 30. April 2007. Auch dagegen erhob die...