Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Rücknahme der Leistungsbewilligung. Vermögensberücksichtigung. Nichtangabe von Kapitallebensversicherungen. keine Begrenzung der Rücknahme auf den Teil des verfügbaren Vermögens bzw auf den Zeitraum der möglichen Bedarfsdeckung mit dem Vermögen
Leitsatz (amtlich)
Im Falle eines verschwiegenen Vermögens besteht keine Rechtsgrundlage für die Beschränkung der Leistungsaufhebung und der Erstattung auf den Wert des zu verwertenden Vermögens.
Normenkette
SGB II § 12; SGB X §§ 45, 50
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 18. September 2014 aufgehoben, soweit dieses den Bescheid des Beklagten vom 11. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 2012 aufgehoben hat. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch über die Aufhebung und Erstattung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Höhe von 2.593,06 Euro (3.773,36 Euro - 1.180,30 Euro).
Der Beklagte bewilligte dem Kläger erstmals Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. November 2005 bis 30. April 2006. Auf der Grundlage eines Antrages auf Fortzahlung dieser Leistungen bewilligte der Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 27. April 2006 (Bl. 116 der Gerichtsakte) Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2006 und hob diese Bewilligung durch Bescheid vom 6. September 2006 (Bl. 23 der Verwaltungsakte) für die Zeit ab 1. Oktober 2006 wegen der Erzielung von Einkommen aus einer Beschäftigung auf. Auf der Grundlage eines neuen Antrages bewilligte der Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 9. Juli 2007 (Bl. 73 der Verwaltungsakte) Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Juli bis 30. November 2007. Die Leistungshöhe wurde durch Änderungsbescheide (Bl. 71, 90, 111 der Verwaltungsakte) angepasst. Auf der Grundlage eines Antrages auf Fortzahlung dieser Leistungen bewilligte der Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 23. November 2007 (Bl. 123 der Gerichtsakte) Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Dezember 2007 bis 31. Mai 2008.
Unstreitig verfügte der Kläger im Zeitpunkt vor der ersten Antragstellung am 6. Oktober 2005 (Bl. 1 der Verwaltungsakte) über zwei Kapitallebensversicherungen bei der C. Lebensversicherungs-AG (D., Tarif V2 bzw. A2, Nr. xxx1 und xxx2), die zum 1. Oktober 2005 einen Rückkaufswert von 8.080,33 Euro (Bl. 573, 574 der Verwaltungsakte) hatten. Diese Kapitallebensversicherungen waren bei den jeweiligen Anträgen auf SGB II-Leistungen nicht angegeben worden (Bl. 6, 16, 33, 92 der Verwaltungsakte). Im Rahmen eines Datenabgleiches erfuhr der Beklagte im Dezember 2009 von den Lebensversicherungen und stellte Ermittlungen an. Diese Versicherungen wurden nach einem Teilrückkauf in Höhe von 800 Euro und Auszahlung an den Kläger zum 1. August 2008 (Bl. 291 der Verwaltungsakte) zum 1. März 2010 bzw. 1. April 2010 vollständig aufgelöst und der restliche Erlös an die Mutter des Klägers überwiesen (Bl. 416, 417 der Verwaltungsakte). Am 29. September 2007 eröffnete der Kläger außerdem ein Depot bei der E. Bank (Nr. xxx3), das am 31. Oktober 2007 einen Wert von 2.938,65 Euro hatte.
Monatlich wurden davon Wertpapiere im Wert von 35 Euro verkauft und der Erlös an die C-Versicherung für eine fondsgebundene Rentenversicherung (Nr. xxx4) überwiesen (Bl. 281 f., 301 der Verwaltungsakte). Außerdem verfügte der Kläger über eine private Rentenversicherung (Nr. xxx5) bei der F. Raiffeisenbank, die am 4. Juni 2007 einen Rückkaufswert von 513,57 Euro hatte (Bl. 292 der Verwaltungsakte).
Mit Schreiben vom 9. Juli 2010 (Bl. 461 der Verwaltungsakte) wurde der Kläger zu einer Aufhebung und Erstattung angehört. Mit Bescheid vom 11. November 2010 (Bl. 479 der Verwaltungsakte) hob die Beklagte die Entscheidungen vom 27. April 2006, 9. Juli 2007 und 23. November 2007 für die Zeiträume vom 1. August bis 30. September 2006 und vom 1. Juli 2007 bis 31. Januar 2008 ganz auf und forderte die Leistungen in Höhe von 3.773,36 Euro zurück. Zur Begründung wurde angeführt, dass zumindest grob fahrlässig keine Angaben über Vermögenswerte im Antrag erklärt worden seien.
Der Widerspruch vom 29. November 2010 (Bl. 494 der Verwaltungsakte) gegen den Bescheid vom 11. November 2010 wurde damit begründet, dass die Berechnung des Rückforderungsbetrages fehlerhaft sei und der Kläger zudem wegen eines frühkindlichen Hirnschadens keine Erinnerung an die Lebensversicherungen mehr hatte. Diese seien von der Mutter abgeschlossen worden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Widerspruchsschreibens verwiesen. Dieser Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 3. April 2012 (Bl. 611 der Verwaltungsakte) als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde angeführt, dass der Erstattungsbetrag zutreffend berechnet und auch insgesamt zurückgefordert werde...