Entscheidungsstichwort (Thema)
Ruhen des Arbeitslosengelds. Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe. Abschluss eines Altersteilzeitvertrages im Blockmodell. wichtiger Grund. beabsichtigter nahtloser Übergang in den Rentenbezug. Prognoseentscheidung. maßgeblicher Zeitpunkt. geänderte Rentenpläne wegen nachträglicher Änderung der Rechtslage
Orientierungssatz
1. Löst ein Arbeitnehmer sein Beschäftigungsverhältnis durch Abschluss eines Altersteilzeitvertrags, kann er sich auf einen wichtigen Grund für die Arbeitsaufgabe berufen, wenn er im Anschluss an die Altersteilzeit nahtlos in den Rentenbezug wechseln will und dies prognostisch, gestützt auf objektive Umstände möglich erscheint.
2. Eine zwischenzeitliche Änderung des ursprünglichen Planes kommt keine maßgebliche Bedeutung zu, denn es bedarf bezüglich des wichtigen Grundes keiner retrospektiven Prüfung, sondern allein einer in die Zukunft gerichteten Prognose und damit einer ex-ante-Betrachtung ausgehend vom Zeitpunkt des Lösungstatbestandes.
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 12. Oktober 2016 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 8. April 2015 sowie unter Änderung des Bewilligungsbescheides vom 9. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2015 sowie der Änderungsbescheide vom 18. Juni 2015 und 8. Juli 2015 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld ohne Minderung der Anspruchsdauer auch für die Zeit vom 1. Juni bis 23. August 2015 und vom 23. Februar bis 29. Mai 2017 zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine Sperrzeit mit Minderung der Anspruchsdauer beim Arbeitslosengeld (ALG) nach dem Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB III), wegen Arbeitsaufgabe infolge Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch einen Altersteilzeitvertrag und beansprucht noch ALG vom 1. Juni 2015 bis 23. August 2015 und vom 23. Februar bis 29. Mai 2017.
Der 1952 geborene Kläger war langjährig bei der C. AG beitragspflichtig beschäftigt. Er schloss mit seinem früheren Arbeitgeber am 19.12.2006 einen Altersteilzeitvertrag (ATZ-Vertrag), beginnend mit dem 01.06.2009 im Blockmodell, wonach sein Beschäftigungsverhältnis am 31.05.2015 endete. Das Recht zur Kündigung im Rahmen der gesetzlichen oder arbeitsvertraglichen Bestimmungen blieb gemäß § 9 Nr. 3 des ATZ-Vertrages unberührt. Entsprechend der Verpflichtung gemäß § 8 Nr. 1, 2. Absatz des ATZ-Vertrages legte er seinem Arbeitgeber mit Schreiben vom 21. Januar 2007 eine Bestätigung der DRV-Bund über den möglichen Bezug einer vorgezogenen Altersrente mit Vollendung des 63. Lebensjahres vor. Anschließend war der Kläger bis zum Beginn seiner Altersrente am 1. Juni 2017 arbeitslos und erzielte noch aus einer wöchentlich weniger als 15-stündigen Nebentätigkeit als Rechtsanwalt ein Nebeneinkommen.
Mit Schreiben vom 19. September 2009 und 19. November 2010 wandte er sich an die DRV Bund und bat um Bestätigung, dass er aufgrund der inzwischen festgestellten Schwerbehinderteneigenschaft ab dem 63. Lebensjahr Altersrente ohne Abschläge beziehen könne. Bereits mit Schreiben vom 18. Februar 2014 teilte der Kläger der Beklagten seine Absicht mit, ab 1. Juni 2015 wieder arbeiten zu wollen, und bat um Auskunft, wann er sich arbeitslos melden müsse, um keine Fristen zu versäumen (Bl. 1 elektronische Leistungsakte - LA).
Auf Antrag und Arbeitslosmeldung des Klägers vom 12. Januar 2015 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 09.04.2015 vorläufig ALG mit einer Anspruchsdauer von „720 Kalendertagen“ vom 01.06.2015 bis 22.2.2017, allerdings bis 23. August 2015 ohne Leistungsbetrag. Mit Sperrzeitbescheid vom 08.04.2015 stellte die Beklagte eine 12-wöchige Sperrzeit vom 01.06.2015 bis 23.08.2015 fest, weil der Kläger ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes durch den Abschluss des Altersteilzeitvertrages seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt habe. Hierdurch verkürze sich die ursprüngliche Anspruchsdauer von 720 Tagen um 180 Tage.
Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, ein wichtiger Grund für den Abschluss des ATZ-Vertrages liege vor, wenn durch den Vertrag eine drohende Kündigung verhindert werde. Auch die Sicherung zukünftiger Leistungen müsse als wichtiger Grund anerkannt werden ebenso wie wirtschaftlichen Entwicklungen, die ihn dazu zwängen, wieder arbeiten zu gehen.
Er habe durch Umstrukturierungen bei seinem früheren Arbeitgeber die Position des Niederlassungsleiters mit Gesamtprokura verloren und sei zu einem Transaktionsmanager mit Handlungsvollmacht degradiert worden. Das Unternehmen sei in eine wirtschaftliche Schieflage geraten. Durch den Abschluss des ATZ-Vertrages habe er sich damals auch gegen eine Insolvenz des Unternehmens absichern wollen. Bei Abschluss des Vertrages habe er tatsächlich vorgehabt, in Rente zu gehen. Erst im Jahr 2014 habe er erfahren, dass er einen Anspruch auf ALG habe. Zudem sei er davon ...