Entscheidungsstichwort (Thema)
Glaubhaftmachung bzw Nachweis von in Kasachstan zurückgelegten Beitragszeiten nach FRG-Recht. Eingliederungsfähigkeit iS des FRG bei fremden beitragslosen Beitragszeiten. Verfassungsmäßigkeit der Nichtbewertung von Zeiten der Hochschulausbildung. Unvereinbarkeit des § 22 Abs 4 FRG in der Fassung vom 25.9.1996 mit Art 2 Abs 1 GG iVm dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip. Verfassungsmäßigkeit der Kürzung des Zugangsfaktors bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung
Orientierungssatz
1. Zur Glaubhaftmachung bzw zum Nachweis von in Kasachstan zurückgelegten Beitragszeiten nach FRG-Recht.
2. Die Eingliederungsfähigkeit iS des FRG fehlt bei fremden beitragslosen Beitragszeiten, wenn ihre Anrechnung der Anrechnung von Ersatz- und Ausfallzeiten nach innerstaatlichem Recht entspricht oder zumindest nahe kommt (vgl BSG vom 9.11.1982 - 11 RA 64/81 = SozR 5050 § 15 Nr 23).
3. Die rentenrechtliche Nichtbewertung von Zeiten der Hochschulausbildung verstößt weder gegen Art 14 Abs 1 GG noch gegen Art 3 Abs 1 GG und auch nicht gegen Art 3 Abs 3 S 2 GG oder das Sozialstaatsprinzip (vgl BSG vom 19.4.2011 - B 13 R 27/10 R = BSGE 108, 126 = SozR 4-2600 § 74 Nr 3).
4. Zur Unvereinbarkeit des § 22 Abs 4 FRG in der Fassung vom 25.9.1996 mit Art 2 Abs 1 GG iVm dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip (vgl BVerfG vom 13.6.2006 - 1 BvL 9/00 ua = BVerfGE 116, 96 = SozR 4-5050 § 22 Nr 5).
5. Die Kürzung des Zugangsfaktors bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist mit dem GG vereinbar (vgl BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3588/08 ua = BVerfGE 128, 138 = SozR 4-2600 § 77 Nr 9).
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 10. Juli 2017 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer höheren Erwerbsminderungsrente.
Der 1957 geborene Kläger, deutscher Staatsangehöriger kasachischer Herkunft, siedelte am 21. November 1993 in die Bundesrepublik Deutschland über. Er ist als Spätaussiedler nach § 4 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) anerkannt.
Ausweislich der Eintragungen in seinem russischen Arbeitsbuch war der Kläger im Herkunftsgebiet wie folgt beschäftigt:
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03.09.1973 bis 30.11.1973 |
Ausbildung im Lehrpunkt beim Verkehrsbautrust C-Stadt |
03.12.1973 bis 26.09.1974 |
Zimmerer 3. Stufe |
10.09.1974 bis 23.08.1979 |
eingeschrieben als Student an der Direktstudienabteilung der Ökonomischen Fakultät der Landwirtschaftlichen Hochschule C-Stadt |
05.09.1979 bis 12.09.1979 |
X.-Getreidesowchose Ökonom |
14.09.1979 bis 29.09.1979 |
Landwirtschaftliche Hochschule D-Stadt Assistent am Lehrstuhl Organisation der Landwirtschaft, wegen Zuweisung nach Abschluss der Hochschule |
09.10.1979 bis 02.04.1982 |
Sowchose „Y.“ Oberökonom für Arbeit und Arbeitslohn |
02.04.1982 bis 10.11.1993 |
Z.-Sowchose Hauptökonom |
Mit Bescheid vom 14. Februar 2001 stellte die Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen als Rechtsvorgängerin der Beklagten die im Versicherungsverlauf (Anlage 2) enthaltenen Daten bis zum 31. Dezember 1994 verbindlich fest. In der ebenfalls beigefügten Anlage 10 heißt es, nach dem Fremdrentengesetz (FRG) werden die Zeiten des Klägers in der ehemaligen Sowjetunion vom 3. Dezember 1973 bis 26. September 1974, 5. September 1979 bis 12. September 1979, 14. September 1979 bis 28. September 1979 und 8. Oktober 1979 bis 10. November 1993 als Beitragszeiten in der Rentenversicherung der Arbeiter berücksichtigt und zu 5/6 angerechnet. Diese Zeiten seien nur glaubhaft gemacht, nicht jedoch nachgewiesen. Darüber hinaus waren die Zeiten bis 26. September 1974 der Qualifikationsgruppe 5 der Anlage 13 zum Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI), ab 5. September 1979 der Qualifikationsgruppe 1, ab 14. September 1979 der Qualifikationsgruppe 2 und ab 8. Oktober 1979 erneut der Qualifikationsgruppe 1 zugeordnet.
Anlässlich einer Überprüfung seines Versicherungsverlaufs gab der Kläger unter dem 24. Mai 2007 an, die gespeicherten Daten seien unrichtig, weil er in der Zeit vom 4. Mai 1979 bis 15. August 1979 im Anschluss an sein Hochschulstudium verkürzten Militärdienst geleistet habe, der als Pflichtbeitragszeit zu berücksichtigen sei. Er verfüge hierüber zwar über keine Unterlagen mehr, allerdings könnten die Zeugen A. E. und F. A. seinen Militärdienst bestätigen.
Mit weiterem Bescheid vom 21. Juni 2007 stellte die Beklagte die im Versicherungsverlauf (Anlage 2) enthaltenen Daten bis zum 31. Dezember 2000 verbindlich fest, soweit sie nicht bereits früher festgestellt worden sind. Da der Kläger bisher angegeben habe, vom 10. September 1974 bis 23. August 1979 ein Studium absolviert zu haben, sei es nicht glaubhaft, dass er nunmehr in der Zeit vom 4. Mai 1979 bis 15. August 1979 Wehrdienst in der ehemaligen UdSSR abgeleistet habe. Für diese...