Rz. 32
Art. 70 VO (EG) 883/2004 regelt die Exportierbarkeit der besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen innerhalb der Europäischen Union (zur Grundrente im internationalen Vergleich siehe auch bei Geppert, Deutschlands Rentensystem im internationalen Vergleich und Reformvorbilder im Ausland, DRV 1/2020, 145, 161 f.). In der gegenwärtigen Ausgestaltung mit der besonderen Einkommensanrechnung nach § 97a bestehen Zweifeln, ob der Grundrentenzuschlag innerhalb der Mitgliedstaaten der EU exportierbar ist. Zwar hängt die Grundrente von der Zurücklegung von Beitragszeiten und der Zahlung von Beiträgen ab. Nach § 76g Abs. 1 soll ein Zuschlag an Entgeltpunkten ermittelt werden, wenn mindestens 33 Jahre mit Grundrentenzeiten vorhanden sind. Der Zuschlag hängt also von Dauer der geleisteten Beiträge ab. Die mit § 76g angestrebte Sicherung übertrifft nach gegenwärtigem Erkenntnisstand außerdem das Mindestsicherungsniveau (so die ausdrückliche gesetzgeberische Zielsetzung, vgl. BT-Drs. 19/20711 S. 2, vgl. auch oben Rz. 5 ff.). Für die Einordnung einer Leistung in das koordinierungsrechtliche System und damit für die Qualifizierung einer Leistung als beitragsunabhängige Sonderleistung nach Art. 70 VO (EG) 883/2004, die grundsätzlich nicht exportierbar ist, ist jedoch eine Gesamtabwägung anzustellen. Und hierbei sind gewichtige Umstände zu berücksichtigen, die für die Einstufung der Grundrente als beitragsunabhängige Sonderleistung sprechen, so z. B. die Finanzierung aus öffentlichen Mitteln (vgl. Rz. 8), der Zweck einer Mindestsicherung i. S. d. Art. 70 Abs. 2 lit. a) i) VO (EG) 883/2004, der letztlich auch dem Gedanken des Grundrentenzuschlags innewohnt (der Gesetzgeber räumt letztlich selbst ein, dass insbesondere bei hohen Wohnkosten das Mindestsicherungsniveau auch bei Gewährung eins Grundrentenzuschlags unterschritten werden kann, vgl. BT-Drs. 19/20711 S. 4), und eine nötige Einkommensprüfung nach § 97a. Auch wenn es sich bei der Einkommensprüfung nach § 97a nicht um eine Bedürftigkeitsprüfung im engeren Sinne handelt (hierauf hat der Gesetzgeber ausdrücklich hingewiesen, vgl. BT-Drs. 19/20711 S. 2), welche sich am Recht der Sozialhilfe oder Grundsicherung orientiert, so sprechen im Rahmen der anzustellenden Gesamtabwägung doch erhebliche Umstände dafür, den Grundrentenzuschlag als besondere beitragsunabhängige Geldleistung zu qualifizieren. Die Berücksichtigung von Beitragsabhängigkeiten steht der Einordnung als beitragsunabhängige Leistung im Übrigen auch nicht entgegen. Art. 70 Abs. 2 lit. b Satz 2 VO (EG) 883/2004 bestimmt, dass auch eine nach Beitragsdauer und -höhe bemessene aufstockende Leistung trotz ihres Bezuges zu geleisteten Beiträgen als beitragsunabhängige Geldleistung zu qualifizieren ist. Die Grundrente als beitragsunabhängige Geldleistung einzustufen, könnte also mit ihrer Steuerfinanzierung und ihrer möglichen Mindestsicherungsfunktion begründet werden; letztlich vermischt der Grundrentenzuschlag Versicherungselemente mit Elementen der staatlichen Fürsorge (vgl. insoweit zutreffend auch Glombik, DVP 2022, 72; Eichenhofer, ZESAR 2019, 359, 362; so auch Kador, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl., Art. 70 VO (EG) 883/2004, Stand: 9.6.2020, Rz. 29_3, a. A. Matlok/Jovanovic, Die Grundrente der Großen Koalition – quo vadis?, RVaktuell 2018, 183, der – allerdings ohne nähere Prüfung von Art. 70 VO (EG) 883/2004 – die Auffassung vertritt, der Grundrentenzuschlag erfülle nicht die Voraussetzungen für eine besondere beitragsunabhängige Geldleistung; deshalb sei der Anspruch exportierbar. Eine solche Rente müsse daher sehr wahrscheinlich – wie eine Rente – ins Ausland gezahlt werden). Soweit allerdings die Einstufung des Grundrentenzuschlags als besondere beitragsunabhängige Geldleistung i. S. d. Art. 70 VO (EG) 883/2004 mit dem Argument der Bedürftigkeitsprüfung unter Hinweis auf § 97a begründete wird (Eichenhofer, ZESAR 2019, 359, 362), verkennt das die Tatsache, dass die Einkommensanrechnung nach § 97a gerade keine Bedürftigkeitsprüfung i. S. der Leistungen der Fürsorgesysteme darstellt (BT-Drs. 19/18473 S. 2, BR-Drs. 85/20 S. 2, BT-Drs. 19/20711 – Beschlussempfehlung und Bericht S. 2). Vielmehr sieht § 97a Abs. 2 Satz 2 bis 5 eine Anrechnung von Einkommen losgelöst vom Kriterium der Bedürftigkeit vor. So kommt eine Anrechnung (für Alleinstehende) – zunächst in Höhe von 60 % nach § 97a Abs. 2 Satz 2 – überhaupt erst in Betracht, wenn das anrechenbare Einkommen des Berechtigten monatlich das 36,56fache des aktuellen Rentenwertes übersteigt. Der aktuelle Rentenwert West wurde zum 1.7.2020 auf 34,19 EUR festgesetzt, sodass ein Einkommen bei Alleinstehenden aktuell unschädlich ist, wenn es einen Betrag von 1.249,99 EUR (bei Paaren knapp 1.950,00 EUR; § 97a Abs. 2 Satz 4) nicht übersteigt. Erst ein Einkommen über 1.600,00 EUR (2.300,00 EUR bei Paaren) wird zu 100 % angerechnet. Berücksichtigt man den in 2020 geltenden Hartz IV-Satz für Alleinstehende in Höhe 424,00 EUR entspricht ein Betrag von r...